#Die unheilige Familie
Inhaltsverzeichnis
„Die unheilige Familie“
Das Fest der Auferstehung mit einem gewaltsamen Ableben zu krönen ist gute „Tatort“-Tradition. Neuerdings scheint es Krimimacher zu reizen, das Böse am Ostermontag bis zum Horror zu steigern und der Deutschen heidnischen Kraftort, den Wald, zu entweihen. Im letzten Jahr erst wurde im Saarbrücker Forst eine junge Frau wie ein Stück Wild erlegt. Dieses Jahr radeln im Oster-„Tatort“ zwei junge Menschen in den Frankfurter Stadtwald, unterhalten sich giggelnd über Werwölfe, als sie die Todesschreie einer Frau hören, deren blutüberströmter Körper bald vor ihnen liegt. Der Horror beginnt da erst, denn aus dem Dunkel stürzt sich eine Gestalt auf die Zeugen, die mit letzter Kraft entkommen.
Der Horror beginnt im Wald
Man unterschätze die Jugend nicht, denn die beiden haben sich tatsächlich das Kennzeichen eines nahebei im Dunkel geparkten Wagens gemerkt. Er gehört Maria Gombrecht (Victoria Trauttmansdorff), die von ihren nicht sonderlich alarmiert wirkenden Angehörigen beim Fastenwandern in Frankreich vermutet wird. Zwar haben Brix (Wolfram Koch) und Jannecke (Margarita Broich) – am nächsten Morgen; niemand scheint die Ereignisse für dringend befunden zu haben – keinen Wagen und keinen Körper im Wald gefunden, aber durchaus eine Menge Blut, das in der Tat von Maria stammt.
Es mag bis dahin nicht so aussehen, aber der „Tatort“ mit dem zutreffenden Titel „Finsternis“ ist ein betont langsamer, mit großer Präzision arrangierter Psychothriller, der im engsten privaten Kreis spielt. Petra Lüschow, verantwortlich für Buch wie Regie, inszeniert ihren Film wie die Vivisektion einer auf den ersten Blick normalen, von Schicksalsschlägen nicht verschonten, aber füreinander sorgenden Familie. Das Publikum darf sich fühlen, als säße es im Zuschauerraum eines anatomischen Theaters und sehe zu, wie Sehne um Sehne dieser intim vertrauten, sich jedoch zugleich gegenseitig überwachenden und manipulierenden Gemeinschaft freigelegt wird. In einem Fall wird die Theatermetapher sogar Realität, denn eine der Töchter der Verschwundenen, Judith (Julia Riedler), arbeitet als Regisseurin und übernachtet, Schein und Sein überblendend, im Bühnenbild ihres Stücks. Ihre Schwester, die hochschwangere Kristina (Odine Johne), die das Haus gegenüber dem ihrer Eltern gekauft hat, kümmert sich aufopferungsvoll um den an Leukämie erkrankten Vater (Uwe Preuss), einen kurz vor der Pensionierung stehenden Berufsschullehrer, der diese Zuwendung – und die eigene Hilfsbedürftigkeit – jedoch brüsk von sich weist.
Im Stadtwald: Die Frankfurter Kommissare am Tatort.
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Bild: HR/Degeto/Bettina Mueller
Der bedrohliche Eindruck ergibt sich daraus, dass nie alles gezeigt wird. Auch dafür gibt es auf der Bildebene eine Entsprechung: Mehrfach umrunden Jannecke und Brix die verschlossenen Einfamilienhäuser der Gombrechts und lugen durch die Fenster hinein. So ähnlich hält es die Regie mit Einblicken in das von Geheimnissen umstellte Innere des Familienlebens. Was diese verstohlenen Beobachtungen von außen zeigen (uns immerhin mehr als den Kommissaren), müssen wir selbst zusammenfügen. Ausschnitthaft sind viele der Bilder auch ganz real, dafür sorgt die sichere Kamera von Jan Velten. Maria, die eine Erbschaft gemacht hat und mit über fünfzig noch einmal studierte, hatte vor ihrem Verschwinden viel Geld abgehoben, so eine der Andeutungen. Wollte sie ihren kranken Gatten verlassen? Ist Judith zu trauen, die ebenfalls Zugriff auf das Geld hatte? Kristinas Mann Freder (Caspar Kaeser) scheint seiner eigenen Agenda zu folgen. Und dann hat die Polizei auch noch einen verstörten Mann (Frank Casali) geschnappt, der Marias Habseligkeiten mit sich führte. Wir wissen: Es ist der Verfolger der Jugendlichen aus dem Wald.
Trailer
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Tatort „Finsternis“
Video: ARD, Bild: HR/Degeto/Bettina Mueller
Was den Realismus angeht, müssen einige Einschränkungen gemacht werden. So glaubhaft die Figuren psychologisch geraten sind, sowohl in ihrem stillen Konkurrenzkampf als auch in der für alle Beteiligten geltenden Neigung, nicht wahrhaben zu wollen, was offensichtlich scheint: dass ein Verbrechen stattgefunden hat („weil nicht sein kann, was nicht sein darf“, sagt Brix dazu), so unwahrscheinlich wirken manche Details und Zuspitzungen. Aber darauf kommt es auch nicht an. Kaum lichten sich die Nebel im Hinblick auf das Geschehen, steigt die Spannung sogar noch, weil sie sich nun vollends nach innen verlagert. Mehr und mehr schälen sich zwei zentrale Fragen heraus: Wann mutieren engste verwandtschaftliche Bindungen, Krebszellen ähnlich, ins Bösartige? Und gibt es noch eine Möglichkeit, der Tragödie Einhalt zu gebieten, wenn die gewaltigen Binnenkräfte von Familien sich auf deren Zerstörung richten?
Formal und ästhetisch ist das alles ungewöhnlich konzentriert umgesetzt; eine für die Handlung überflüssige Erklärszene zu häuslicher Gewalt stört nur kurz. Obwohl der Hessische Rundfunk sonst gern durch Experimente auffällt, mutet dieses Drama einer unheiligen Familie eher klassisch an. Lüschow zeigt, wie viel bei gutem Skript und überzeugenden Schauspielern mit den Bordmitteln des „Tatorts“ möglich ist. Mit einer österlichen Auferstehung ist, leider, nicht zu rechnen.
Der Tatort: Finsternis läuft am Ostermontag um 20.15 Uhr im Ersten.
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