#Größe macht Großmacht
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„Größe macht Großmacht“
Unser Bild oben zeigt im Zentrum der Komposition ein altes Apartmenthaus in Chicago, das der Zeichner dieser Comicseite selbst bewohnt hat. Nicht, dass das eine Rolle für seine Geschichte spielte. „Building Stories“, der experimentierfreudigste Comic, den Chris Ware bislang publiziert hat (und jede seiner bisherigen Arbeiten wäre geeignet gewesen, alles umzustürzen, was in mehr als hundert Jahren Comiczeichnen zuvor entstanden war), erzählt in erster Linie von dem Haus, erst in zweiter von dessen Bewohnern. Dass Ware selbst dort gelebt hat, kann man nur einer Zeichnung aus einem seiner Notizbücher des Jahres 1995 entnehmen, die jetzt in einer ihm gewidmeten Pariser Ausstellung gezeigt wird: Da ist, ganz im Stil des von ihm vergötterten, aber in Wares Comics als Einfluss sonst unsichtbaren Kollegen Robert Crumb, ebenjenes Haus in Chicago festgehalten, und darunter steht vermerkt: „Our Apartment Building“. Außerdem noch „Drawn w/gloves on“ – es war Dezember. Jemand wie Ware, der noch mit Handschuhen so zeichnen kann wie Crumb ohne (und Crumb wurde von Museen schon als „Bruegel des zwanzigsten Jahrhunderts“ bezeichnet), hat wohl eine Ausstellung im Centre Pompidou verdient.
Genauer gesagt: in dessen Bibliothek, denn da gehören Comics nach Auffassung dieses Museums hin (wenn sie nicht von Hergé oder Jean-Marc Reiser stammen; deren Werke wurden hier jeweils im normalen Ausstellungsbereich gezeigt). Der Vorteil der Bibliothek: freier Eintritt. Der Nachteil: wenig Platz. Alle sechs bislang dort gezeigten Comicschauen haben dieselbe Grundfläche von etwa hundert Quadratmetern zugewiesen bekommen, auf der dann ein vielfach durchbrochener und im Inneren mittels Zwischenwänden variabel gegliederter Kubus errichtet wird. So nun auch bei Chris Ware, zu dessen Werk diese geometrisch-architektonische Herausforderung allerdings perfekt passt. Niemand hat die Kunst, auf Comicseiten so viel Bildinformation unterzubringen wie nur möglich, derart perfektioniert wie der 1967 geborene Amerikaner. Auch das zeigt unser Bild.
Der Nostalgiker: 2006 zeichnete Chris Ware dieses Umschlagbild für die Thanksgiving-Zeitschrift „The New Yorker“.
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Bild: Chris Ware
Etwas mehr als siebzig Originale von Ware sind in Paris zu sehen. Das ist nicht viel, aber einerseits muss man bedenken, dass seit Hal Foster oder Philippe Druillet kein Comiczeichner mehr in solchen Formaten gezeichnet hat. Die größte in Paris gezeigte Einzelseite hat als Originalzeichnung eine Höhe von 1,20 Meter. Publiziert wurde sie ums Vierfache kleiner, aber blieb dabei lesbar, obwohl die Panels nun winzig waren. Auch die Zeichnung zu unserer hier nach der farbigen Druckfassung reproduzierten Seitenarchitektur ist im schwarzweißen (typischerweise allerdings noch mit zahlreichen Blaustiftvorzeichnungen versehenen) Original mehr als siebzig Zentimeter hoch.
Virtuose der klaren Linie
Ware behauptet, er könne gar nicht gut zeichnen; wahre Meister seines Faches erkennt er in Leuten wie Crumb, Winsor McCay, Frank King, George Herriman oder Cliff Sterrett. Bis auf Ersteren sind alle längst tot: Außer Crumb arbeiteten alle in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Ware ist ein Comicnostalgiker, dessen Arbeiten man das aber nur insofern ansieht, als er den kompositorischen Wagemut der Pioniere dieser Kunst zum Vorbild genommen hat. In der abstrahierten Strenge seiner Linien bei aller Verspieltheit der Bildkonstellationen erscheint er als Kind des Computergraphikzeitalters. Nur, dass er so schon zeichnete, als Computer diese Klarheit noch gar nicht hinbekommen hätten.
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