#Ein Kreischen mit gepresster Lust
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„Ein Kreischen mit gepresster Lust“
Man muss sich Erwin Schulhoffs Aufnahmefähigkeit wie die eines Schwammes vorstellen. Von Richard Strauss’ Oper „Salome“ war er begeistert, als er sie in Prag zum ersten Mal erlebte; getroffen war er ebenso von der Musik Claude Debussys: Ihretwegen fuhr er extra nach Paris; in Leipzig studierte er bei Max Reger; in Dresden kam er in Kontakt mit den Dadaisten um George Grosz und Otto Dix. Und: Er liebte den Jazz.
Schulhoff komponierte Solo-Konzerte, Streichquartette und Symphonien (seine Zweite wurde eben von den Berliner Philharmonikern mit Kirill Petrenko aufgeführt); er schrieb als wohl erster Komponist ein Werk für Kontrafagott solo mit dem schönen Titel „Die Bassnachtigall“, er komponierte mit der dritten seiner „Fünf Pittoresken“ op. 31 ein Werk für Klavier, das nur aus Pausen besteht (Satzbezeichnung: „Zeitmaß – zeitlos“) und damit John Cages „4’ 33’’“ vorwegnimmt; er vertonte, als er sich dem Kommunismus zuwandte, das „Kommunistische Manifest“ von Marx und Engels. Suchte man einen Repräsentanten für den Facettenreichtum der viel besungenen Zwanzigerjahre des zwanzigsten Jahrhunderts, man würde wohl schnell bei Schulhoff landen, der so vieles seiner Zeit in sich aufnahm, um es in explodierender Verwandlung wieder aus sich herauszuschleudern.
Sex wollen hier irgendwie alle
Was ist zu erwarten, wenn so jemand eine Oper schreibt? So ziemlich alles. Eine Handlung im eigentlichen Sinne: gibt es in „Flammen“ nicht, Schulhoffs einziger Oper, die nun erstmals (neunzig Jahre nach ihrer Uraufführung in Brünn) in Prag an der Staatsoper herausgebracht wurde. Elf Szenen folgen hier aufeinander, unterbrochen durch eine Pause, die gut und gerne auch in einer ganz anderen Reihenfolge angeordnet sein könnten: Momente aus dem „Don Juan“-Stoff, der vom tschechischen Dichter Karel Josef Beneš hier neu, expressionistisch-surreal gefasst wurde. Dem Lüstling, der hier aller aristokratischen Insignien befreit und gleichsam als Jedermann auftritt, laufen die Opfer mehr oder weniger mit gespreizten Beinen zu. Sex wollen hier irgendwie alle bis hin zur Nonne, die für Don Juan alles bisherige über den Haufen wirft. Von einer Liebe der Seele spricht derweil nur Don Juan, was die Fallhöhe seines Scheiterns nur höher macht. Er kann die Frauen nicht anders als in ihrer Körperlichkeit wahrnehmen und wird dafür (oder dabei?) mit ewiger Wiederholung bestraft: der Tod, als „La Morte“ ebenfalls weiblich personifiziert, lehnt ihn ab, Don Juan muss weitermachen wie Ahasver.
Das ist nun so sinnlichkeitstrunken wie niederschmetternd deprimierend. Eine Unbehaustheit und zugige Offenheit herrscht in diesem Stück, die Schulhoffs kreative Kräfte allerdings in atemraubender Weise freisetzten. Ein eigentliches Vorspiel, eine ouvertürenhafte Einleitung, gibt es in dieser Schulhoffschen Revision alles Opernhaften nicht. Mit einem tief gurrenden Flötensolo tastet sich die Musik an den Hörer heran, ein paar Frauenstimmen, erotische Schatten, die in diesem „Nocturne“ zu Beginn herumgeistern, kommentieren die Flöte.
Don Juan tut zunächst wenig mehr als zu stöhnen oder zu seufzen, später verlangt Schulhoff ihm einen Part von erheblichen Ansprüchen ab. Der Tenor Denys Pivnickij bewältigt ihn mit heroischer Kraft. Eine ganze Weile dauert es aber, bis sich aus der Geräuschhaftigkeit des Beginns das Orchester emporhebt – um dann bis zum Ende des Stückes das Heft des Handelns nicht mehr aus der Hand zu geben: Der Hauptakteur der „Flammen“ sitzt unten im Graben. Im Orchester entfaltet Schulhoff einen klangfarblichen Zauber, in den die Singstimmen weniger eingebunden sind, als dass sie auf ihm (um im Bild zu bleiben) züngeln wie Flammen auf einer Glut.
Die klanglichen Fluten stehen einem bis zum Hals
Und gar nichts fehlt, wenn Schulhoff zu seinen großen, rein instrumentalen Zwischenmusiken anhebt zwischen den einzelnen Szenen: Die Streicher rauschen auf und ab, nervös tremolierend, gestopfte Trompeten kreischen wie mit gepresster Lust, Glockenspiel und Harfe setzen hart glitzernde Akzente, schwergewichtige Basslinien bewahren das Klanggeschehen vor dem irren Abheben. Die klanglichen Fluten stehen hier allen bis zum Hals und ziehen sich nur zurück, um die Bedrohten immer wieder zu foppen. Der Kreislauf der Dinge, das ewige An- und Abschwellen: Schulhoffs Musik trägt das in so verführerischer wie beängstigender Weise in sich. Und das Orchester der Staatsoper unter dem aufstrebenden tschechischen Dirigenten Jiří Rožeň realisiert es mit einer Präzision und Entschiedenheit, die unmittelbar anrühren. Calixto Bieito wiederum assoziiert dazu einen düsteren Bilderbogen von urtümlich rätselhafter Kraft eingebettet in ein Einmal-Bühnenbild (Anna-Sofia Kirsch), dessen Wände aus riesigen, schwarzen Plastikfolien bestehen. Sie werden nach und nach von den auftretenden Figuren durchrissen und landen dann wohl im Müll. In seiner Wegwerfmentalität ist das gnadenlos, in seiner Umweltbilanz fragwürdig, in der Spiegelung von Don Juans kaum erträglicher Konsumhaltung allerdings schwer zu schlagen.
Die „Flammen“ sind eine weitere Produktion, mit der Per Boye Hansen, der Opernintendant in Prag, die künstlerische Blüte der Stadt in den Zwischenkriegsjahren ins Gedächtnis zurückbringen möchte, damals, als die heutige Staatsoper noch „Neues Deutsches Theater“ hieß. Finanzielle Unterstützung dazu kommt auch vom deutschen Außenministerium. Gut angelegtes Geld, man kann es nicht anders sagen, angesichts dieser Prager Sensation.
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