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#Ein architektonisches Wunderwerk

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Ein architektonisches Wunderwerk

In einer Januarnacht des vergangenen Jahres haben zwei Diebe in Kapuzen­sweatshirts ein Fenster des gläsernen Eingangs zur Kathedrale von Coventry zerschmettert und sich mit einer Sammelbüchse davongemacht. Vor dem Hintergrund der Zeitgeschichte wirkte die mutwillige Beschädigung besonders pointenreich: Die Diebe hatten kein gewöhnliches Fenster zerstört, sondern eine von 66 Scheiben jener siebzig Meter hohen Glasfront, die mit den eingeätzten Engeln und Heiligen des neuseeländischen Künstlers John Hutton die symbolkräftige Leitidee dieses in den Fünfzigerjahren aus der Asche des Krieges auferstandenen Gotteshauses akzentuiert.

Gina Thomas

Feuilletonkorrespondentin mit Sitz in London.

Mit seiner Botschaft von Wiedergeburt und Versöhnung hatte der Bau, ebenso wie der im sozialdemokratischen Geist verankerte Wiederaufbau der durch deutsches Bombardement zerstörten Innenstadt von Coventry Signalwirkung. Mit seiner innovativen Fußgängerzone, der Ringstraße und den gemeinschaftlichen Einrichtungen wurde Coventry in aller Welt als Zukunftsmodell gerühmt.

Der anglikanische Dekan John Wit­combe erzählt vor den im Unterbau der Kathedrale auf die Restaurierung wartenden Splittern, wie die Verschandelung des Fensters mit Huttons Engel des ewigen Evangeliums bei ihm wieder jene Gefühle aufkommen ließ, die auch der Feuerhagel vom 14. November 1940 in der Stadt ausgelöst hatte. In einer ein­zigen Nacht lud Hitlers Luftwaffe mehr als 500 Tonnen Sprengbomben, 30.000 Brandsätze und fünfzig Landminen über dem Zentrum der mittelenglischen Industriestadt ab.

Die deutsche Wochenschau zeigte damals Bilder immer neu aufblitzender Einschläge und referierte süffisant die Meldung einer amerikanischen Zeitung, dass Coventry dem Erdboden gleichgemacht sei, während Mr Churchill immer noch von der Unbezwingbarkeit der Royal Air Force brabbele. In der deutschen Propaganda ging aus dem Angriff der Begriff „coventrisieren“ als Synonym für totale Zerstörung hervor.

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Von der mittelalterlichen Kathedrale Sankt Michael blieben nach jener Nacht nur der Turm und die zerfransten Außenmauern stehen. Statt das Alte zu re­konstruieren, entschied sich die Stadt für Basil Spences geniale Idee, die Ruine als Denkmal stehen zu lassen und in Spiegelung des Weges Christi vom Leid zur Hoffnung etwas Neues in rechtem Winkel zur ausgehöhlten Vorläuferkirche zu stellen, einen modernen Sakralbau freilich, der nicht als Zeichen des Trotzes verstanden sein wollte, sondern vom Gedanken der Vergebung und eines Neuanfangs getragen war, den der Domprobst Richard Howard bereits in der Stunde der Zerstörung ausgesprochen hatte.

Durch die Einbindung von führenden Künstlern und Kunsthandwerkern, darunter Graham Sutherland, Jacob Ep­stein, John Piper und der aus Berlin emigrierte Briefschnitzer Ralph Beyer in seine gesamtkunstwerkliche Vision ist es dem Architekten Basil Spence in einer Zeit schwindender Religiosität gelungen, einen vom Glauben durchdrungenen Sa­kralbau zu gestalten, der zugleich, wie der Kunsthistoriker Kenneth Clark damals vermerkte, „die größte und einfallsreichste mäzenatische Leistung seit mindestens einem Jahrhundert“ darstellt.

Kreative Lösungen im Kollektiv finden

Fast sechzig Jahre nach der Weihe der neuen Kathedrale hat das vom Niedergang der Industrie in den Achtzigerjahren schwer gezeichnete Coventry als gegenwärtige britische Kulturstadt (eine nur alle vier Jahre verliehene Auszeichnung) die Chance bekommen, die erhoffte Regenerierung durch kreative Impulse voranzutreiben. Das Gutmenschenpalaver der Kuratoren und Künstler, die das Kulturprogramm gestalten, macht die überragende Integrität und Qualität der Kathedrale umso eklatanter. Sie ist aus ihrer Zeit und spricht dennoch beredt zur Gegenwart. Was daneben geboten wird, sind mit wenigen Ausnahmen hohle Botschaften über die soziale und politische Funktion von Kunst.

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