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#Ich käme jetzt gern, um Dich zu trösten

Ich käme jetzt gern, um Dich zu trösten

Betrachtet man die Korrespondenz der Freundinnen vom Ende her, so wohnt ihr eine Tragik inne. Denn spätestens um das Jahr 1959 herum setzt eine Entfremdung zwischen Ingeborg Bachmann und Ilse Aichinger ein, die schließlich in eine Sprachlosigkeit führt, die umso bestürzender wirkt, da man zuvor in den gut hundert Briefen las, mit welch inniger Zuwendung und geistiger Nähe die beiden Autorinnen sich seit dem Winter 1949 schrieben.

Sandra Kegel

Verantwortliche Redakteurin für das Feuilleton.

Über die Gründe für das Verstummen kann die Literaturwissenschaft nur mutmaßen, wie Irene Fußl und Roland Berbig, die Herausgeber des Briefbands „halten wir einander fest und halten wir alles fest!“ der Salzburger Bachmann Edition, in ihrem instruktiven Nachwort schreiben. Dokumentiert ist hierzu nichts. Ein Wunder scheint es rückblickend für sie vor allem zu sein, dass die beiden wichtigsten deutschsprachigen Schriftstellerinnen der Nachkriegszeit ihre Freundschaft über die räumliche Distanz, aber auch über die verschiedenen Lebensentwürfe und den Literaturbetrieb hinweg, der sie zu Konkurrentinnen machte, mehr als zwölf Jahre lang aufrechterhalten konnten.

Vom Zwilling getrennt

Als Ingeborg Bachmann, geboren 1926, die fünf Jahre ältere Ilse Aichinger im Wien der Nachkriegszeit kennenlernt, vermutlich auf Vermittlung des Kritikers Hans Weigel, können ihre Erfahrungswelten unterschiedlicher kaum sein. Aichinger, deren Großmutter sowie Onkel und Tante im Holocaust ermordet wurden, hatte mit ihrer Mutter, einer früh zum Katholizismus konvertierten Ärztin, der Wohnung und Arbeitserlaubnis entzogen worden waren, in einem Zimmer direkt gegenüber der Wiener Gestapo-Zentrale den NS-Terror überstanden. Ilses Zwillingsschwester Helga hatte 1939 mit einem Kindertransport nach London fliehen können, während Ilse zum Schutz der Mutter in Wien geblieben war. Es sollte ein Jahrzehnt dauern, ehe die Zwillinge sich wiedersahen.

Ingeborg Bachmann dagegen verbrachte ihre Klagenfurter Jugend in familiärer Sicherheit, mit Hausmusik und Literatur. Doch während der Vater schon früh der NSDAP beitrat, schrieb seine Tochter 1943 als Siebzehnjährige in der Erzählung „Das Honditschkreuz“ gegen die NS-Ideologie an. In ihrem Kriegstagebuch wird Bachmann die Befreiung 1945 als „den schönsten Sommer“ ihres Lebens bezeichnen, „und wenn ich hundert Jahre alt werde“.

Ingeborg Bachmann


Ingeborg Bachmann
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Bild: FAZ Archiv

Als sie Aichinger im Herbst 1947 kennenlernt, schreibt diese gerade ihren ersten Roman fertig, „Die größere Hoffnung“. Die neue Freundin schaut bewundernd zu ihr, der „Leitfigur“, wie Hans Weigel notiert, auf. Mit einem kurzen Weihnachtsgruß beginnt der Briefwechsel zwei Jahre später, nachdem der gemeinsame Lebens- und später lebenslang ambivalent betrachtete Sehnsuchtsort Wien verlassen worden ist. Fortan sind die Frauen auf Briefe angewiesen, um die räumliche Distanz zu überwinden. Während Aichinger nach Ulm geht und für kurze Zeit an der Hochschule für Gestaltung arbeitet, 1951 zur Gruppe 47 kommt und dort ihren späteren Ehemann, den Schriftsteller Günter Eich, kennenlernt, der später ebenfalls an der Korrespondenz teilnimmt, ist Ingeborg Bachmann zunächst in Wien auf Vermittlung der Freundin Elisabeth Liebl beim Sender Rot-Weiß-Rot beschäftigt, arbeitet an Texten und Hörspielen.

Ursprünglich als Doppelporträt geplant

Auch sie wird zur Gruppe 47 stoßen und spätestens mit dem Preis der Gruppe 1953 großes Aufsehen erregen. Dass der legendäre Spiegel-Titel im Jahr darauf mit der Autorin auf dem Cover ursprünglich als Doppelporträt mit Ilse Aichinger geplant war, wie ein Brief des Verfassers belegt, ist ein interessanter Hinweis der Herausgeber, die gleichwohl die Gründe für Aichingers Wegfall nicht mehr rekonstruieren können.

Was den Briefwechsel der zunächst zwei und mit Eich dann drei Schriftstellern vor allem ausmacht, ist die über Worte und Schrift evozierte Nähe der Schreibenden zueinander. Da wird Ingeborg zum „dritten Zwilling“ der Aichingers auserkoren, Eich nennt sie ihre kleine Schwester und Berta Aichinger, die Mutter, zeichnet Briefe an Bachmann mit „Ihre ,Mutti’“. Die große Bedeutung familiären Zusammenhalts für sie und ihre Tochter, die Holocaust-Über­lebenden, wird in diesen Briefen manifest. Die schriftlichen Liebkosungen, „Ingelein“ und „Ilselein“ nennen sich die Frauen da ein ums andere Mal, sind nicht zuletzt Markierungen des Leben- und Liebenkönnens angesichts der Traumata der Vergangenheit bei der einen und der Einsamkeit der Gegenwart bei der anderen.

Der Schriftsteller Günter Eich (01.02.1907-20.12.1972) auf einem Foto, das um das Jahr 1960 aufgenommen wurde.


Der Schriftsteller Günter Eich (01.02.1907-20.12.1972) auf einem Foto, das um das Jahr 1960 aufgenommen wurde.
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Bild: Ullstein

Während Ilse Aichinger sich für ein scheinbar konventionelles Leben entscheidet und mit Mann und den beiden Kindern Clemens und Mirjam zurückgezogen in der Provinz lebt, treibt es Ingeborg Bachmann hinaus in die Welt. Briefe sendet sie in den kommenden Jahren aus Rom, wo sie eine Zeit lang lebt, später aus Paris und dann aus Uetikon bei Zürich, wohin sie Max Frisch gefolgt ist. Das Unglück der Beziehung wird zum Greifen nah, als Ingeborg Bachmann am 24. September 1959 mit Virginia Woolf im Sinn bitter darüber klagt, dass ihr in der gemeinsamen Wohnung „dieser eine Raum zum arbeiten fehlt“.

Sie führt ein Leben ohne Vorbilder

Im Spiegel der Freundin sehnt Bachmann sich nach einer Familie und gesteht brieflich zugleich ihre Furcht ein, kinderlos zu bleiben. Als Frau, als Intellektuelle ihrer Zeit, selbständig und unabhängig, führt sie ein Leben, für das es Vorbilder nicht gibt. Aber sie kämpft sich durch in der Männerdomäne, macht dabei indes auch manches Zugeständnis an den Literaturbetrieb, was Ilse Aichinger missfällt. Sie hält den Betrieb für das Schreiben ohnedies für schädlich. Die letzten Zeilen dieses lesenswerten Bands stammen von Ingeborg Bachmann. Darin bekennt sie der Freundin, „viel zu wenig gesagt zu haben. Dir zu wenig gedankt zu haben, Dich zu wenig oft gesehen zu haben, – “. Der Brief wurde nie abgeschickt.

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