#Leben, bis die Adern rissen: Die ukrainische Serie „ In Her Car“ im ZDF
Inhaltsverzeichnis
Sieben öffentlich-rechtliche Sender in Europa veröffentlichen jetzt die ukrainische Serie „In Her Car“. Es ist eine Mahnung, die russischen Verbrechen gegen die Ukraine nicht zu vergessen, aber auch eine gute Story.
Ein nettes, homophobes und hysterisches Großmütterchen, ein sanfter, krimineller Deserteur, eine dumme und kluge Schönheitskönigin, eine betrogene, betrügerische Nail-Designerin und noch so viele andere böse Gute. Sie sind zwar Serienfiguren, aber so widersprüchlich, widerspenstig, liebenswert und hassenswert, dass sie in der Realität sehr sicher Doppelgänger haben. Man sieht sie, sieht ihnen zu in einer neuen Serie: „In Her Car“. Sie kommt gleichzeitig nach Dänemark und in die Schweiz, nach Frankreich, Norwegen, Island, Schweden und nach Deutschland. Kommt aus der Ukraine. Es ist die Mahnung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens Europas, die russischen Verbrechen gegen die Ukraine nicht zu vergessen – pünktlich zum Jahrestag der Invasion.
Aber es ist auch eine gute Story, spielt in den ersten Kriegsfebruartagen 2022. Doch sie beginnt – das sieht man erst viel später in der Serie – 2014, im alten Krieg und in Luhansk. Die russischen Okkupanten kommen, Evakuierungen werden durchgeführt. Ein Bus mit Flüchtlingen gerät unter Beschuss, die Passagiere sterben. Damals stirbt auch die Schwester der Serienheldin Lydia, die uns Zuschauer durch die Episoden fährt. Nein, die Serienhauptfigur ist vielleicht gar nicht Lydia, vielleicht ist es ihr Kombi – ein Škoda, blaugrau und blank geputzt. Und er sieht etwas ernst, aber sehr freundlich aus – sein Kühlergrill, als ob er lächelte.
In Kriegen sind Autos immer Helden. Sie bringen Material und Menschen an die Front, evakuieren Flüchtlinge, Verletzte. Bringen Informationen, Nahrungsmittel, Medizin. Zumindest wenn sie gute Fahrer haben. Und Lydia ist eine gute Fahrerin. Sie, Psychologin, beschließt am Anfang der Invasion, zu helfen. Sagt auf Instagram, dass sie jetzt umsonst Menschen fahren werde. Zu ihren Familien oder wohin auch immer. Die meisten wollen zur polnischen Grenze. Wollen weg. Wie dieser eine traurige, verliebte Deserteur in Episode vier.
Aber von Anfang an: Jede Folge zeigt die Geschichte einer Mitfahrerin, eines Mitfahrers. Beginnt mit einem Märchenanfang aus dem Off. Lydias Schwester hatte die Märchen für sie aufgenommen. Doch sie sind nichts für kleine Kinder, sind viel zu traurig und brutal – wie das von der schönen Prinzessin, die nicht lesen konnte. Es geht so: Viele tapfere Ritter kämpften um das Herz der schönen Prinzessin, aber sie hatte es schon längst vergeben, war verliebt. Und eines Tages bekam sie einen Brief von ihrer großen Liebe. Aber sie konnte ihn nicht lesen. Und Lesen lernen wollte die Prinzessin auch nicht. Sie weinte, weil sie nicht verstand, was ihr geliebter Ritter ihr geschrieben hatte. Das alles hört man und sieht Lydia.
Zwei starke Frauenfiguren, zwei starke Schauspielerinnen
Sie fährt nach Charkiw, um ihre Scheidung einzureichen, trifft Dima, ihren Noch-Ehemann, der sie acht Jahre lang betrogen hatte. Er ist auch aus Luhansk, spricht Russisch, Lydia Ukrainisch. Während sie reden, heulen Sirenen, bellt ein Hund. Sie sprechen über ihren Hilfsfonds „Ukrainische Familie“, den sie zusammen gegründet hatten, um die zu unterstützen, die vor den Okkupanten fliehen mussten. Lydia will nichts, keinen Fonds, kein Geld, will nur die Scheidung. Dima erpresst sie jetzt. Auftritt der Prinzessin: Mit ihrem lauten, kleinen Hündchen kommt Inga ins Wohnzimmer, umarmt den Mann von Lydia. Er sagt zu seiner Frau: „Du fährst sie nach Polen!“ Es ist seine Bedingung für die Scheidung.
Schon sitzt die schöne Inga im Pelz, mit Sonnenbrille und ihrem hässlichen Eclair, so heißt der bellende und böse Spitz, auf Lydias Rückbank. Sie schminkt sich, sagt ihrem Spiegelbild, also sich selbst, verliebt auf Russisch: „Kukla“ (Puppe). Zwei starke Frauenfiguren, zwei starke Schauspielerinnen: Anastasia Karpenko spielt Lydia, Olena Oleynikova Inga. Sie hassen sich, das zeigen ihre Augen. Und ihre Blicke haben eine Tiefe, die man im großen Kino nur in den Blicken von Frances McDormand und Cate Blanchett sieht.
Und dann macht diese Serie etwas, was sie in jeder Episode macht: Es kommt ein Rückblick. Luhansk, 2014, das Puppengesicht Ingas leuchtet im Licht von Scheinwerfern. Ein Schönheitswettbewerb. Dima sitzt in der Jury. Auf dem Schild vor ihm steht „Leiter der Abteilung für Kultur Luhansk“. Im nächsten Schnitt liegt ihre Krone auf dem Garderobentisch, Dima nimmt sie von hinten. Danach der Tag, als Bomben fallen. In dem Rückblick spricht Inga mit ihrer Mutter Ukrainisch. Sie fliehen. Evakuierungsbusse stehen bereit. Dima zwingt Inga, in einen anderen Bus zu steigen als ihre Mutter, die dann in diesem einen todgeweihten Platz nimmt, in dem auch Lydias Schwester sitzt.
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