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#Das doppelte Lottchen tanzt aus der Girlsreihe

Das doppelte Lottchen tanzt aus der Girlsreihe

Es gab einen Ort im real existierenden Grau der DDR, der glitzerte kurz vor dem Fall der Mauer bunt wie Träume von Glasnost und Perestrojka. Das „Las Vegas des Ostens“, der Friedrichstadt-Palast, war Erich Honeckers Antwort auf den Veränderungswillen der Bevölkerung. Man hatte doch die frivolsten Revuen, 32 bestens ausgebildete Werktätige in der „Girlsreihe“, die längsten Tänzerinnenbeine im Sozialismus, die über Plansollerfüllung am höchsten geschwungen wurden. Die Idee, diesen Tempel der Unterhaltung als Zentrum einer Trennungs- und Wiedervereinigungsgeschichte als schauwertpralles Showbiz-Knallbonbon platzen zu lassen, ist eigentlich grandios. Geschichte über Gebäude und ihre Funktion filmisch zu erzählen, funktioniert oft. Der Erzählstrang, der sich in „Der Palast“, dem Dreiteiler des ZDF zum neuen Jahr, mit den Vorgängen 1988/1989 vor und hinter der Bühne des Friedrichstadt-Palasts befasst, funktioniert auch ganz prächtig. Obwohl er inszenatorisch kaum altbackener sein könnte.

„A Chorus Line“ in Ost-Berlin: Christine (Svenja Jung) ist als Solotänzerin engagiert und konkurriert mit dem Nachwuchstalent Bettina (Luise Befort) um den Hauptpart der neuen Revue. Die gestrenge Choreographin Regina (Jeanette Hain) hadert mit der Leistung ihres „alternden“ Stars (schon Ende zwanzig), die dritte Solistin ist schwanger, der Maskenbildner lebt in Dauerfehde mit dem Bühnenbildner, die Proben sind hart, und in der Kantine wirkt Uschi (Petra Klei­nert), die Seele vons Janze, hat für alle ein gutes Wort sowie Eibrötchen und die letzte saure Gurke der Mangelwirtschaft. Ein Tänzer verbirgt seine Affäre mit dem russischen Solisten, die Kostüme der Damen („Mädchen“) sind knapper, als Margot Honecker gutheißt. Das Solo mit Federfächern endet mit einem Hauch von „Crazy Horse“. Der Parteisekretär (Uwe Preuss) hat seine Günstlinge, der Intendant (Matthias Brenner) schlägt sich mit dem Kulturministerium herum, seit er mit Steven Williams (tanzen kann er auch: Daniel Donskoy) zum 40. Jubiläum der DDR einen Choreographen aus Manchester engagiert hat, der Tänzerinnen und Tänzer in Punkkostümen über die Bühne stürmen lässt wie eine Gruppe Revoluzzer, während draußen die Demonstranten „Wir sind das Volk“ rufen.

Die Parteibonzen sind alarmiert

Der geplante Titel „Traumvisionen“ ruft die Parteibonzen auf den Plan. Nicht, dass sich das Publikum aus dem Arbeiter-und- Bauern-Staat wegphantasiert. Es gilt, die Kulturwächter zu überzeugen. In einer „eilends improvisierten“ Szene, die nur ironisch erträglich wäre (ist sie aber nicht), schwingen die Tänzerinnen den Ministeriumsmännern ihre werten „Assets“ in die aufgeräumten Gesichter. Regisseur Uli Edel und Kameramann Hannes Hubach meinen das wohl doppelbödig – leider aber haben die Szenen nicht die Raffinesse burlesquer Kunst, sondern wirken bloß plump sexistisch. Wie auch andere, die an früher meist sexy gefundene Präsentationsweisen des inzwischen aufgelösten Fernsehballetts erinnern. Die Einstellungen, in denen Chris’ Tochter Lilia (Theodora Wetzlaff) im Kinderballett des Palasts tanzt, sind dagegen charmant gestaltet.

Chris oder Marlene? Svenja Junge spielt die beiden Schwestern, die niemand auseinanderhalten kann.


Chris oder Marlene? Svenja Junge spielt die beiden Schwestern, die niemand auseinanderhalten kann.
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Bild: dpa

Die Drehbuchautorin Rodica Döhnert, die mit Uli Edel auch „Das Adlon“ realisierte, ist Expertin für melodramatische Soap im Großformat. Das zeigt sich im zweiten Hauptstrang, der von Erich Kästners „Das doppelte Lottchen“ inspiriert ist. Gleich zu Beginn der „Palast“-Schau sitzt Marlene (auch Svenja Jung, dieses Mal strenger und mit Brille) im Publikum. Die IT-Spezialistin aus Bamberg verhandelt gerade mit Mitarbeitern des DDR-Außenhandelsministeriums, Abendprogramm inkludiert. Sie fällt aus allen Wolken, als sie die Tanzbegeisterte auf der Bühne sieht, ihren identischen Zwilling.

Einer schimpft auf „Die da drüben“

Es enthüllt sich in Rückblicken die Geschichte einer familiären Schandtat in der Nacht vor dem Mauerbau im August 1961. Die Physikstudentin Rosa (jung: Katia Fellin, später: Anja Kling) lernt den Franken Roland (jung: Nicolas Wolf, später: Heino Ferch) in Ost-Berlin kennen und lieben, bekommt Zwillinge. Noch ist die Grenze durchlässig. Man streitet nicht nur über den Wohnort, sondern auch über die Systeme und die Rolle der Frau. Aus einem Impuls heraus entführt Roland Marlene, zieht sie mit seiner späteren Frau Doris (Inka Friedrich) auf, während sein verhasster Vater (Friedrich von Thun) auf „Die da drüben“ schimpft.

Im Osten zerbricht Rosa fast, wird Produktionsleiterin in einer Glühlampenfabrik und behält ein gutes Verhältnis zu Vater und Mutter, verdienten Kommunisten (Hermann Beyer, Ursula Werner). Chris tanzt sich frei, hat ein Kind mit Alexander (Hannes Wegener) und eine ungeklärte Beziehung zu Georg (August Wittgenstein). Marlene macht als Rechengenie Karriere. Beiden verschweigt man den Zwilling. Nach ihrer Begegnung reist Chris mit Marlenes Pass nach Bamberg, lernt Marlene das Bühnenambiente im Palast kennen. Nach und nach fällt der Schwindel auf, schließlich auch der Stasi. Noch wenige Wochen bis zum Mauerfall.

Die Rollen des Familiengeschichtenzweigs von „Der Palast“ sind stereotyp, was den Unterhaltungswert für manchen sicher nicht mindert. Mitleiden und Mitfiebern sind hier in XXL gefragt. Einiges sieht aus, als habe man die Requisiten der Silvestershows wiederverwertet. Um die hanebüchene Zwillingsstory über die Sendezeit zu tragen, brauchte es allerdings mehr als Federboas und Pailetten.

Der Palast läuft heute um 20.15 Uhr im ZDF und in der ZDF-Mediathek.

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