In Bierlaune Gewalt gegen Frau relativiert

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Besser weiß man es im Nachhinein immer. Man kann der Brauerei Erdinger Weißbräu schon glauben, dass ihre Mitarbeiter intern Folgendes tatsächlich für eine gute Idee hielten: ein Werbevideo zu veröffentlichen mit einer Frau, der Gewalt angedroht wird, damit sie fehlerfrei vorliest, warum es so großartig ist, bei Erdinger Weißbräu zu arbeiten.
In dem Video, das die Brauerei „aus Rücksichtnahme“ inzwischen gelöscht hat, werden der Frau ein Holzhammer, eine Bierflasche, ein Flaschenöffner und ein Zapfhahn an den Kopf gehalten. Vorsichtig liest sie vor, was sie sagen soll, etwa: „Das Gehalt ist super, und man bekommt sogar einen Firmenwagen.“ Dann: „Außerdem hat Erdinger gutes Bier …“ – die Arme mit den Gegenständen holen aus – „… ich mein, das beste Bier! Also komm, bewirb dich jetzt! Wir freuen uns auf dich, tu so, als würdest du… oh.“ Lächeln, Schnitt. Die Männer, die um sie herumgestanden haben, werden sichtbar, sie sagen: „Das war stark!“ Und: „Das war sehr gut!“
Die Empörung im Netz war schnell groß, der Shitstorm dem Unternehmen sicher. In einem Video kritisierte unter anderem der feministische Account „Safe Space Chemnitz“ die „humoristische Bühne“, auf die das Unternehmen „die Verherrlichung von Femiziden und Gewalt an Frauen“ stelle. Erdinger nutze das Leid einer „ganzen Bevölkerungsgruppe“, um Personal anzuwerben: „Wie viel Promille waren eigentlich im Spiel, als ihr das Drehbuch für euren Spot geschrieben habt?“
Möglicherweise aber braucht es überhaupt keinen Alkohol, sondern nur gängige Abläufe in gängigen (männerdominierten) Unternehmen. Vielleicht waren einfach nur wenige Frauen an der Entstehung des Videos beteiligt? Auf Anfrage der F.A.Z. teilt Erdinger mit: „Zu internen Prozessen geben wir keine Auskunft.“ Das Video sei ursprünglich „mit einem augenzwinkernden Bezug“ gedacht gewesen. Die Darstellung im Video „sollte nicht provozieren oder gar verletzen“. Und: „Es liegt uns fern, Gewalt in irgendeiner Form zu verharmlosen oder zu verherrlichen.“ Sofern der „gegenteilige Eindruck“ erweckt worden sei, „bedauern wir das sehr“. Gegenüber anderen Medien hatte sich Erdinger schon ähnlich geäußert: Man habe „positives Feedback“ erwartet, weil man es sonst nicht veröffentlicht hätte. Man habe nicht damit gerechnet, „dass das so negativ ausgelegt wird“.
Sie denken nur: Ist doch lustig
Genau das ist das Dilemma in solchen Fällen. Wer Gewalt gegen Frauen und die verheerenden Auswirkungen nicht durchdringt, wer nicht versteht, was es heißt, Angst zu haben vor Männern, wer nicht weiß, dass Frauen insbesondere zu Hause Opfer von Gewalt werden, wer nicht erlebt hat, dass es bedrohlich sein kann, sich nachts allein im öffentlichen Raum zu bewegen, wer noch nie einen Umweg gelaufen ist, um einem seltsamen Typen aus dem Weg zu gehen, wer kein Gespür dafür hat, wie es ist zu wissen, dass man im Zweifel die körperlich schwächere Person ist, wer all das einfach nicht aus seiner eigenen Lebensrealität kennt – der kommt gar nicht auf die Idee, dass ein solches Video andere irritieren könnte. Der denkt nur: Ist doch lustig.
Wie häufig bei Shitstorms regte sich auch in diesem Fall die Gegenseite, also diejenigen, die den Vorwurf bringen: Man dürfe gar nichts mehr sagen. „An Kleinkariertheit nicht zu übertreffen!“, kommentierte ein Nutzer die Ausführungen von „Safe Space Chemnitz“. Oder: „Der ganze Hate und bei jeder Kleinigkeit (die bewusst gesucht wird) ein Fass aufzumachen, scheint wohl der neue Zeitgeist zu sein.“ Der heftigen Kritik wird mit heftiger Empörung begegnet. Es scheint abermals der Beweis dafür zu sein, dass sich soziale Medien und Einsicht selten vertragen.
Zum Umdenken haben die Vorwürfe immerhin Erdinger bewegt. „Wir werden künftig noch gewissenhafter abwägen, wie Inhalte in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten wirken können“, teilt das Unternehmen mit. Und das ist eine Haltung, die nie falsch sein kann: Zwei Schritte zurückgehen, vielleicht noch eine andere Meinung einholen – und nicht nur nach eigenen Annahmen handeln.
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