Wissenschaft

In Time – Deine Zeit läuft ab, weil du arm bist – Gesundheits-Check

Im Jahr 1790, vor mehr als 200 Jahren also, hat Johann Peter Frank seine heute berühmte „Akademische Rede vom Volkselend als der Mutter aller Krankheiten“ gehalten. Dass arme Menschen, oder sozial Benachteiligte, oder Angehörige der unteren Sozialstatusgruppen oder wie auch immer man sie begrifflich fasst, häufiger und schwerer krank sind als die besser Situierten, und dass sie statistisch gesehen auch früher sterben, gehört seit langem zu den Basics der Sozialmedizin. Trotz aller Verbesserungen der Lebensbedingungen auch der ärmeren Schichten und trotz aller Fortschritte der Medizin sterben Arme nach wie vor früher. In einem Ausmaß, das nicht naturgegeben unabänderlich ist.

Das wird in unserer Wohlstandsgesellschaft erstaunlich ruhig hingenommen. Man spricht auf wissenschaftlichen Kongressen darüber, manchmal auch in politischen Statements, aber eigentlich ist es kein Thema in der Öffentlichkeit. Man empört sich lieber darüber, wenn es im Dschungelkamp scheinbar ungerecht zugeht. Edith Stehfest muss nicht raus? Wie unfair. Eine Geschichte, die empört.

Die Aufschrift „Rauchen kann tödlich sein“ kennt jeder von den Zigarettenschachteln. Auf Bescheiden des Sozialamts steht aber nie „Armut kann tödlich sein“. Dabei kostet Armut Lebenszeit in einer ganz ähnlichen Größenordnung wie das Rauchen. Man kauft dieses Risiko nicht ein, man kann auch nicht einfach damit aufhören, den meisten Betroffenen wird es zugeteilt, über die Familie, in der man aufwächst, oder durch andere Umstände im Leben, die man oft nicht selbst zu verantworten hat.

Man kann den armutsbedingten Verlust an Lebenszeit direkt zwischen den Sozialstatusgruppen erheben, man sieht ihn aber sogar auf der sozialräumlichen Ebene. Das Robert Koch-Institut hat vor nicht allzu langer Zeit festgestellt, dass Frauen in ärmeren Regionen in Deutschland aktuell eine um 4,3 Jahre kürzere Lebenserwartung haben als Frauen in den wohlhabendsten Regionen, bei Männern sind es 7,2 Jahre Unterschied. Diese Differenz der Lebenserwartung zwischen oben und unten ist in den letzten 20 Jahren zudem größer geworden. Haben Sie die vielen Zeitungsmeldungen, die Talkshows, die Regierungserklärungen dazu gesehen? Natürlich nicht, die Meldung lief weitgehend unter dem Radar der Öffentlichkeit. Eine Geschichte, die nicht empört.

In Deutschland ist die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in verschiedenen Rechtsvorschriften kodifiziert. Aber selbst in einem Papier der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags aus dem Jahr 2023 zu diesem Gebot kommen regionale Unterschiede der Lebenserwartung nicht vor. Und im Koalitionsvertrag von Union und SPD? Auch nicht.

In manchen Science Fiction-Filmen gibt es ebenfalls eine gesellschaftliche Zuteilung von Lebenszeit. In dem amerikanischen Spielfilm „In Time – Deine Zeit läuft ab“ ist der Tod eigentlich besiegt, aber um eine Überbevölkerung zu vermeiden, gibt es ein Lebenszeitlimit. Nach 25 Jahren beginnt das letzte Jahr, angezeigt als Countdown auf dem Arm. Man kann dann zusätzliche Jahre erwerben. Wie man sich denken kann, leben die Reichen im Film praktisch ewig, die Armen sterben früh.

Science Fiction, eine Geschichte, die empört. Die Parallelen zur Realität sind unübersehbar. Auch bei uns schöpfen die Ärmeren die gesellschaftlich mögliche Lebenszeit nicht aus, sie sterben vorzeitig. Sie beziehen aus diesem Grund übrigens auch kürzer Renten. Wie es wohl wäre, wenn man Babys je nach Sozialstatusgruppe ihre statistisch erwartbare Lebenserwartung eintätowieren würde? „Du bist arm, du stirbst wahrscheinlich 5 Jahre vor der Zeit“?

Es wäre eine Geschichte, die empört. Dann stünde im Koalitionsvertrag vielleicht ein Passus, dass der Unterschied der Lebenserwartung zwischen den sozialen Schichten verringert werden soll und Deutschland eine Public Health-Strategie braucht, die dieses Ziel anvisiert. Science Fiction?

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