#Insektenvielfalt im Spiegel fossiler Fraßspuren
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Fragender Blick auf die bunteste aller Tiergruppen: Warum haben sich die pflanzenfressenden Insekten im Lauf der Evolution in so erstaunlich viele Arten aufgefächert? Die treibende Kraft war dabei vor allem Konkurrenz, belegt nun eine Auswertung von Fraßspuren an mehr als 45.000 fossilen Blättern. In den Ergebnissen spiegelt sich den Forschern zufolge wider, dass die gemeinsame Nutzung von Nahrungspflanzen der maßgebliche Faktor hinter der starken Diversifizierung in den letzten 66 Millionen Jahren war.
Von knabbernden Raupen und Käfern über Pflanzensaft saugende Blattläuse und Wanzen bis hin zu den Blattwucherungen erzeugenden Gallwespen: In vielen Formen und auf teils sehr unterschiedliche Weise machen sich die herbivoren Insekten der Welt über ihre pflanzlichen Opfer her. Keine andere Tiergruppe hat eine solche Vielfalt an Arten und Ernährungsweisen hervorgebracht. Forscher entdecken in den Ökosystemen der Welt auch noch immer viele neue Insektenarten, die sich durch spezielle Merkmale auszeichnen. Mit Blick auf die Tausenden von Spezies kann man sich die Frage stellen, warum sich ausgerechnet die herbivoren Insekten so enorm aufgefächert haben.
Dabei gelten bereits zwei Aspekte als möglicherweise prägend: Zum einen hat wohl die Aufspaltung der Pflanzen in viele Arten in den letzten 66 Millionen Jahren zu einer entsprechenden Diversifizierung bei ihren Parasiten geführt. Zum anderen könnte auch die starke Konkurrenz unter den herbivoren Insekten maßgeblich zu ihrer Spezialisierung beigetragen haben. „Die relativen Beiträge dieser beiden Faktoren zur Dynamik der Herbivorenvielfalt im Laufe der Erdgeschichte sind nach wie vor unklar“, schreibt das Forscherteam um Jörg Albrecht vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Frankfurt.
Was war der ausschlaggebende Faktor?
Um Einblick in diese Frage zu gewinnen, wählten die Wissenschaftler nun einen paläobotanischen Ansatz: „Die Fraßspuren von Insekten sind auch oft an fossilen Blättern deutlich zu erkennen. Sie können uns dabei helfen, die Faktoren zu identifizieren, die zu der enormen Vielfalt von pflanzenfressenden Insekten führten“, erklärt Albrecht. Die Forscher widmeten dem Ansatz einen enormen Arbeitsumfang: Sie nahmen insgesamt 47.064 fossile Blätter aus 436 Pflanzenarten von 16 Fundorten in Mitteleuropa, Island und Norwegen unter die Lupe. „Die von uns untersuchten Fossilien decken nahezu das gesamte Känozoikum ab, also die Zeit von 66 bis zwei Millionen Jahren vor heute. Die versteinerten Blattfossilien stammen zudem aus verschiedenen Klimabedingungen – von subtropisch über ozeanisch bis hin zu feucht-kontinental“, sagt Co-Autor Torsten Wappler vom Hessischen Landesmuseum Darmstadt.
Wie sich zeigte, wies ein Fünftel der untersuchten Blätter Spuren der Machenschaften herbivorer Insekten auf. Dabei handelte es sich um verschiedene Formen von Nagespuren, Überreste von Parasiten oder Wucherungen, die auf Insekten wie Gallwespen zurückzuführen sind. Die Forscher ordneten diese Spuren den unterschiedlichen Insektengruppen zu und identifizierten auch artspezifische Merkmale. „Anhand dieser Daten konnten wir nun zeigen, dass Nahrungspflanzen bereits früh in der Erdgeschichte von einer Vielzahl pflanzenfressender Insekten genutzt wurden“, sagt Abrecht.
Konkurrenz führte zu Spezialisierung
Die Wissenschaftler integrierten die neuen Informationen dann auch in Modelle der Diversitätsentwicklung. So zeichnete sich schließlich ab: Die gemeinsame Nutzung einer Pflanzenart durch verschiedene Gruppen pflanzenfressender Insekten war der Hauptfaktor bei der Entwicklung der funktionellen Vielfalt bei den pflanzenfressenden Insekten. Dieser Aspekt prägte die Evolution sogar doppelt so stark wie die Entwicklung der Artenvielfalt der Nahrungspflanzen selbst, geht aus den Ergebnissen hervor.
Dazu erläutert Albrecht „Wenn sich verschiedene Insektenarten eine Nahrungspflanze teilen, müssen sie auch ihre Ernährungsweise anpassen, um nicht direkt miteinander in Konkurrenz zu treten. So entsteht im Laufe von Millionen Jahren eine unglaubliche Vielfalt an Mundwerkzeugen und letztendlich auch Arten.“ Die Resultate der Untersuchung spiegeln sich dabei vor allem in den heutigen tropischen Wäldern wider, wo die meisten pflanzenfressenden Insektenarten leben, sagen die Forscher: Dort ernähren die verschiedenen Pflanzenfamilien eine Vielzahl von Spezies gleichzeitig.
Abschließend sagt Wappler: „Unsere Studie unterstreicht, dass fossile Belege genutzt werden können, um grundlegende Theorien über die Entstehung der biologischen Vielfalt zu testen. Die Ergebnisse unserer Studie sind außerdem ein wichtiger Maßstab, um herauszufinden, welche Faktoren die Vielfalt von pflanzenfressenden Insekten in heutigen Ökosystemen bestimmen“, so der Wissenschaftler.
Quelle: Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, Fachartikel: Proceedings of the National Academy of Sciences, doi: 10.1073/pnas.2300514120
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