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#„Ich bin für die Entmystifizierung von Musik“

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„Ich bin für die Entmystifizierung von Musik“

Jeder Beatles-Fan weiß, dass Paul McCartney „Let It Be“ unter dem Eindruck eines Traumes über seine verstorbene Mutter schrieb. Er weiß, dass McCartney die Melodie von „Yesterday“ anfangs mit der metrischen Attrappe „Scrambled eggs / Oh my baby, how I love your legs“ ausstaffierte. Er weiß es, weil in der Popmusik der Schöpfer oft auch der Erklärer ist: Wie haben Sie das gemacht, Sir Paul? Irgendwann hat der es dann mal erzählt, seitdem steht es in Artikeln, Büchern, Foren – und auf genius.com, dem großen Online-Wissenshort der Popmusik.

Mehr als hundert Millionen Menschen im Monat nutzen die 2009 als „Rap Exegesis“ gegründete Website nach deren Angaben. Googelt man Songtexte, ist die entsprechende Genius-Seite fast immer unter den ersten Treffern. Man liest Annotationen über die Farbe Blau in Lana Del Reys „Norman Fucking Rockwell“ oder darüber, wer „Oswald and Ruby“ in Bob Dylans Referenzerguss „Murder Most Foul“ sind. Wer über Spotify Songs auf dem Fernseher abspielt, bekommt automatisch Zusatzinformationen von Genius eingeblendet.

Was Musiker sagen, wird Kanon

Dass Textkünstler ihre Sekundärliteratur frei Haus liefern, ist nicht ganz neu. T. S. Eliot fabrizierte schon 1922 einen ganzen Endnoten-Apparat für sein Gedicht „The Waste Land“ (bei Genius gibt es Annotationen zu Eliots Annotationen). Allerdings ist der Autor in der Literatur deutlich toter als im Pop. Was Musiker sagen, wird Kanon – siehe McCartneys Rührei. Die Rapper Kendrick Lamar und Nas haben deshalb schon Genius-Anmerkungen zu ihren Texten hinzufügen lassen. Laut der britischen „Times“ haben sich mehrere Künstler bei Genius über fehlgeleitete Fan-Marginalien beschwert.

Auf dem Youtube-Kanal von Genius erklären Musiker ihre Texte unter dem Titel „Official Lyrics & Meaning“. Sehen Künstler sich dazu gedrängt, vorbeugend eine „offizielle“ Deutung zu verlautbaren? Anruf bei Phoebe Bridgers in Kalifornien. Auch sie hat für Genius einen ihrer Songs dekonstruiert. „Ich glaube, es verdirbt niemandem sein Erlebnis, die ursprüngliche Bedeutung eines Songs zu kennen. Vielleicht ist das der bessere Begriff: original meaning“, sagt die Sängerin, die notorisch wenig von Genieästhetik hält – eine ihrer Bands heißt satirisch „boygenius“. „Genie impliziert, dass man erratisch ist und magische Kräfte besitzt“, sagt Bridgers. „Ich bin für die Entmystifizierung von Musik.“

Woran dachte Paul McCartney beim Komponieren von 
„Yesterday“?


Woran dachte Paul McCartney beim Komponieren von
„Yesterday“?

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Bild: Lutz Kleinhans

Im vergangenen Herbst hat Bridgers auf Twitter von Fans ausgewählte Textzeilen dechiffriert, die bei näherer Betrachtung oft eher profanen Ursprungs waren. Über „Genius“ sagt sie: „Es ist cool zu sehen, wie Leute meine Lyrics auseinandernehmen, als sei es fucking Shakespeare. Manchmal verstehen sie Dinge falsch, manchmal lassen sie mich aber auch klüger aussehen, als ich bin.“ Über die Zeile „Pelicans circling“ in ihrem Song „Smoke Signals“ habe jemand geschrieben, Pelikane seien in antiken Kulturen Todessymbole, weshalb Bridgers sagen wolle, der Tod greife um sich. „Eigentlich meinte ich Möwen, aber das klang nicht so gut.“

Wie viel Philologie ist nützlich, wenn’s doch nur Rock ’n’ Roll ist oder Rap? Die fleißigsten Nutzer – von Genius „scholars“ genannt – haben mehr als 10000 teils beeindruckend tiefgreifende Anmerkungen verfasst. Ein junger Mann im Anderson-Paak-Shirt lächelt aus dem Zoom-Fenster. Ethan, Elftklässler aus Detroit, hat als „slightly_senile“ 1600 Einträge geschrieben. Am stolzesten sei er auf seine essayistische Interpretation einer Zeile aus Phoebe Bridgers’ „Graceland Too“. Nachdem Bridgers sich auf Twitter selbst zu der Zeile geäußert hatte, habe er seine ursprüngliche Annotation anpassen müssen, um ihre etwas konträr stehende Intention zu berücksichtigen.

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