Jan-Lennard Struff spielt bei Tennis-Turnier in Hamburg und French Open
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Im Hamsterrad des Tennisbetriebs bleibt wenig Zeit zum Nachdenken. Wenn Jan-Lennard Struff aber doch mal dazu kommt, staunt er über die Entwicklung hin zu immer mehr Professionalität: „Als ich vor 15 Jahren einen Physio dabeihatte, kamen schon Blicke dergestalt: ,Was ist da denn los?‘ Jetzt hat jeder ein Team von 30 Leuten. Die Leistungsdichte ist enorm. Jeder ist fit, jeder schlägt schnell und hart.“
Er selbst legt viel Wert auf Pflege, auf Prophylaxe, feilt an seiner Fitness, aber auch an der Basis: „Ich muss meine Technik nicht neu erfinden. Aber es schleichen sich immer wieder kleine Fehler ein. So gibt es immer etwas zu verbessern: den Schritt anpassen, mit den Vorhand- und Rückhandschlägen schneller fertig werden.“
„Da muss ich nicht lügen, es tut weh“
Struff ist nach einer Niederlagenserie im laufenden Jahr auf Rang 87 der Weltrangliste abgerutscht, spricht von einer „toughen Phase“. Seit den Australian Open ist er bei elf Turnieren nur Anfang Februar ins Viertelfinale von Marseille gekommen, sonst früh ausgeschieden. In Rom trat er wegen seiner verletzten Wade nicht an. „Da muss ich nicht lügen, es tut weh, wenn da Woche für Woche eine Niederlage reinkommt“, sagt er offen, „aber ich werde mich zurückkämpfen. Ich freue mich auf Hamburg.“
Das an diesem Sonntag startende ATP-500-Turnier am Rothenbaum ist weiter nach vorn gerutscht (Endspiel am Samstag, 24. Mai), vom Juli, mitten in den Hamburger Ferien und der Rasensaison, auf Ende Mai, um sich für die French Open in Paris zu präparieren. Struff findet das sinnvoll: „Der Termin liegt besser, weil viele danach nicht mehr auf Asche spielen.“
Das Tableau der Gemeldeten ist mit Alexander Zverev, Holger Rune, Andrej Rubljow und Stefanos Tsitsipas recht klangvoll; Jannik Sinner wird um Hamburg wegen seiner vielen Matches in Rom wohl einen Bogen machen. Struff, die aktuelle deutsche Nummer drei, hat vom Veranstalter eine Wildcard bekommen. Er weiß das zu schätzen, auch, weil er das Turnier und die Stadt mag – vor allem bei solch gutem Wetter wie derzeit: „Hamburg ist einfach schön. Der Rahmen mit dem Centre Court und den kurzen Wegen ist super. Ich kann vom Hotel in 20 Minuten zum Rothenbaum gehen.“
Nach vielen Jahren im weltumspannenden Betrieb ist so etwas Gold wert. Struff ist ein Typ, der sich sonst gern eine Bleibe abseits des großen Rummels sucht. In Paris und London bucht er sich gern etwas mit mehreren Kollegen, kein Hotel, sondern ein Haus: „Es tut ganz gut, nicht alle im Hotel zu treffen, die ich eh das ganze Jahr sehe. Ich brauche da ein bisschen Freiraum für mich, mal das Frühstück selbst machen, zum Beispiel.“
„Dann bin ich am nächsten Tag platt“
Idealerweise bringt er auch ein bisschen Lokalkolorit mit nach Hause – wenn es denn möglich ist: „Wenn mal ein halber oder ein Tag für Sightseeing, für etwas Bildendes bleibt, schöpfe ich den aus. Ich kann aber nicht in Rom bei 25 Grad den Vatikan anschauen, sosehr es mich auch interessiert, dann bin ich nämlich am nächsten Tag im Training oder Spiel platt.“
Auch wenn die Turniere Zentrum der Reisen des Tennisprofis Struff sind, nimmt der Mensch Struff etwas mit. Er sagt: „Reisen bedeutet Einordnung in die Welt. Ich achte dort auf kleine Dinge – wenn ich in Indien eine Frau mit fünf Kindern auf einem Moped sehe, weiß ich natürlich, dass das nicht ideal ist, muss aber daran denken, wenn bei uns die Eltern zwei Zentimeter neben ihren Kindern am Klettergerüst stehen.“
„Da hätte ich mit Kusshand eingeschlagen“
Aus Rom reiste er heim zu seiner Partnerin Madeleine und den beiden kleinen Kindern. In Westfalen hat Struff sein Netzwerk geknüpft: Physiotherapie in Lünen, Training mit dem neuen Coach Markus Wislsperger in Kamen und Dortmund. Von hier aus ist er in die große Tenniswelt gestartet.
Sicher nicht als der Talentierteste, aber als einer, der an sich glaubt: „Hätte mir jemand vor 16 Jahren gesagt, ich spiele eine solche Karriere, hätte ich mit Kusshand eingeschlagen. Ich hatte gute Phasen, schlechte Phasen, aber alles in allem ist es unglaublich, was passiert ist.“ 2023 erreichte der geborene Warsteiner als Nummer 21 der Welt seine beste Platzierung.
Manchmal amüsant, manchmal ärgerlich
Im Schatten seines Freundes Alexander Zverev, den Struff einen „Ausnahmespieler“ nennt, hat er laut ATP-Aufstellung mehr als elf Millionen Euro Karriere-Preisgeld eingesammelt. Die Diskussion um diesen Reichtum mag Struff nicht besonders. Ja, er sei privilegiert, aber es gebe auch sehr hohe Kosten. Zudem werden seine Einnahmen nach Abzug der Ausgaben zweifach versteuert, am Ort der Turniere und in Deutschland.
Dass er – anders als Fußballer – eher wenig prominent ist und ihn Menschen fragen, was er denn neben dem Tennis arbeite, findet Struff manchmal amüsant, manchmal ärgerlich, weil in Deutschland fernab des Fußballs jede Sportart ein Schattendasein friste, jedoch: „Ich kann mich ganz normal in der Öffentlichkeit bewegen.“
„Seit vielen Jahren kein Wochenende“
Ans Karriereende denkt er mit seinen 35 Jahren nicht: „Das ist kein Thema, solange die Leistung stimmt und mein Körper mitmacht.“ Auch wenn die Wochentage verschwimmen, wenn er auf den großen Turnieren ist, wo er sich selbst daran erinnern muss, wann die Kinder in die Kita oder zum nächsten Tennis-Turnier müssen.
„Das heißt ja auch, dass ich in meiner Sache aufgehe, dass sich das Ganze nicht wie Arbeit anfühlt. Ich habe seit vielen Jahren kein Wochenende. Aber dafür habe ich viel öfter als andere am Montag oder Dienstag frei“, sagt Jan-Lennard Struff. In Hamburg möchte er natürlich möglichst wenig „frei“ haben und als Publikumsliebling ganz weit kommen auf seinem Lieblingsbelag. Um dann auch in Roland Garros anzugreifen.
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