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#Johanna Goliszewski hilft mit Kopf und Herz

„Johanna Goliszewski hilft mit Kopf und Herz“

Die engen Grenzen eines Badminton-Courts tun ihr gut an diesem Tag. Auch wenn die Gedanken ständig abdriften wollen, bleibt sie bei der Sache, in ihrem so vertrauten Metier, strahlt Klasse und Ruhe aus. Sie gewinnt Damen-Doppel und Mixed an der Seite von Nachwuchsspielern, die knapp halb so alt sind wie sie. Die lauten Trommeln und der immer wieder aufbrausende Jubel suggerieren weitaus mehr Zuschauer als die üblichen wenigen Dutzend, die gekommen sind.

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Der blaue Kunststoffbelag für zwei Courts wird vor jedem Heimspiel auf den alten Parkettboden geklebt. Die Grundlinie verläuft knapp vor der Sprossenwand. Es hat etwas sportlich Märchenhaftes, dass der TuS Schwanheim in seiner vereinseigenen, 116 Jahre alten Halle in der Zweiten Badminton-Bundesliga antritt. Leistungssport in der Nische tief im Frankfurter Südwesten. Johanna Goliszewski trägt zwei Punkte bei zum 4:3-Heimsieg gegen den BSV Eggenstein-Leopoldshafen am Sonntag – ein wichtiger Erfolg im Kampf um den Klassenverbleib. Wenige Stunden zuvor sitzt sie in der Mittagssonne vor der Halle und sagt: „Das wird sehr viel Kopfsache. Aber ich vertraue meinem Kopf.“

Auf ihre mentale Stärke konnte sie sich zeit ihrer glanzvollen internationalen Karriere verlassen. Ihr Sport steht für die 35-Jährige seit je im Mittelpunkt. Doch von einer adäquaten Vorbereitung auf ihren Schwanheimer Einsatz kann keine Rede sein. Drei Tage zuvor hat sie sich in Mülheim an der Ruhr, wo sie am zentralen Stützpunkt des Deutschen Badminton-Verbandes (DBV) als Trainerin arbeitet, in einen Wagen gesetzt und diesen nach Polen gesteuert.

Unterstützung für die Familie

Ihr Vater fuhr einen weiteren. 48 Stunden vorher hatte sie der Hilferuf von Dmytro Sawadskyj erreicht, ihrem langjährigen ukrainischen Spielpartner. „Dima ist einer meiner besten Freunde, fast wie ein Bruder“, erzählt Goliszewski. Am selben Tag fuhren die beiden Autos zurück. Mit an Bord nun fünf Erwachsene, zwei Kinder, zwei Katzen und ein Hund. Familienmitglieder von Sawadskyj, die in mehreren Landesteilen der Ukraine verstreut gelebt haben. Und plötzlich herrscht Krieg.

Der 33-jährige Olympiateilnehmer von London 2012 selbst will und darf sein Land nicht verlassen, aktuell läuft er Patrouille im Westen Kiews. Ob sein Haus in Charkiw noch steht, weiß er nicht. Parallel hat Goliszewski in den sozialen Medien zur Unterstützung für die Familie aufgerufen. Innerhalb von wenigen Stunden stehen zwei kleine möblierte Wohnungen und Spendengeld bereit. „Körperlich und emotional ziemlich fertig“ habe sie sich gefühlt, erzählt Goliszewski.

Die Ruinen eines Gebäudes in Charkiw. Sawadskyj weiß nicht wie sein Haus aussieht.


Die Ruinen eines Gebäudes in Charkiw. Sawadskyj weiß nicht wie sein Haus aussieht.
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Bild: dpa

Auf das Heimspiel der Schwanheimer tags zuvor verzichtet sie. Stattdessen spielt sie nur ein wenig Badminton mit den ukrainischen Kindern. Zur Ablenkung. Und hilft, eine der Wohnungen zu streichen. „Es ist nur eine Familie von so vielen“, sagt Goliszewski. Es beschäftigt sie, dass ihr Freund Sawadskyj schon seit einer Weile plante, mit seiner Familie nach Deutschland überzusiedeln. Er hat lange für den 1. BV Mülheim gespielt, am Stützpunkt trainiert. Bei der TuS Schwanheim ist Goliszewski die einzige Auswärtige neben vielen Eigengewächsen der umtriebigen, von viel ehrenamtlichem Engagement getragenen Badminton-Abteilung.

Die Halle des TuS kennt sie aber schon aus Jugendtagen. Sieben Jahre besuchte die gebürtige Polin das Sportinternat in Frankfurt, entwickelte sich am Main zur Spitzen- und Nationalspielerin, trat unter anderem für die SG Anspach und den BV Maintal an. An spielfreien Wochenendtagen besorgte sie sich einst häufig den Schlüssel für die Schwanheimer Halle an der Saarbrücker Straße, um zusätzlich zu trainieren. Im zweiten Jahr der TuS-Zweitligazugehörigkeit hat Goliszewski auch ein paar Leitungsaufgaben übernommen, hilft beispielsweise bei Trainingsinhalten und Belastungssteuerung. Im Hauptberuf beim DBV ist sie für die deutschen U-23-Athleten zuständig, hat aber auch den Spitzenspieler Kai Schäfer, Olympia-Teilnehmer in Tokio, unter ihren Fittichen.

Karriereende nach Erkrankung

Von Olympischen Spielen kann auch Goliszewski erzählen. Rio de Janeiro 2016 habe sie „als riesengroße Party“ empfunden. „Ich bin echt froh, dass ich das vor Corona erleben durfte“, sagt die Doppelspezialistin. Bei den vergangenen vier Sommerspielen schaffte es nur ein einziges deutsches Damen-Doppel unter die besten 16 Paare der Welt: Goliszewski mit ihrer Partnerin Carla Nelte. Sie schieden zwar in der Gruppenphase aus, lieferten ihren Gegnerinnen aber enge Matches.

Goliszewski hatte auch ihre Eltern eingeladen nach Rio – es war deren erste Fernreise. Als Dankeschön für die jahrelange Unterstützung. Die Sportsoldatin hat seit 2010 an diversen Welt- und Europameisterschaften teilgenommen und mit der deutschen Mannschaft fünf Medaillen gewonnen. Von diversen deutschen Meisterschaften und internationalen Turniersiegen ganz zu schweigen. Ihr angestrebter Weg zu den Spielen in Tokio endete aber abrupt.

Eine Erkrankung zwang Goliszewski zum Jahresende 2019 zum Ende ihrer Karriere. Ihr letzter internationaler Auftritt waren die European Games in Minsk, bei denen sie mit Fieber auf dem Court stand und die Erkenntnis sich durchsetzte: Es geht nicht mehr. Der vom DBV ermöglichte Übergang von der spielenden Sportsoldatin zur übungsleitenden Sportsoldatin fing sie auf. Als sie genesen war, kam der Kontakt zur TuS Schwanheim zustande – und die Karriere fand eine Fortsetzung auf etwas niedrigerem Niveau.

An diesem Wochenende reist ihr Frankfurter Team zu den letzten beiden Spieltagen nach Süddeutschland – ein Punkt fehlt zum sicheren Klassenverbleib. Goliszewski, die sich unlängst mit dem Coronavirus infiziert hat, hofft, dass sie bis dahin wieder einsatzfähig ist. Mit Dmytro Sawadskyj steht sie so gut es geht per Whatsapp in Verbindung. Gerade konnte sie ihm schreiben, dass seine Familie einen Deutsch-Sprachkurs begonnen hat.

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