Joschka Fischer bei Caren Miosga zur Aufrüstung

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Joschka Fischer trägt heute schwarze Lederschuhe. Die Zeit des „Turnschuh-Ministers“ ist lange vorbei. Der 77 Jahre alte Außenminister a. D. sitzt in weißem Hemd, braunem Sakko und runder Hornbrille vor Caren Miosga, die in ihrer Talksendung über die Notwendigkeit der Aufrüstung diskutieren will. Nur die Bluejeans, die unter dem Tisch hervorschaut, erinnert noch an die rebellischen Anfänge des Politikers. Vor 40 Jahren ließ sich Fischer in weißen Sneakern – die man damals allerdings noch Turnschuhe nannte – als hessischer Minister vereidigen und wurde zum Symbol des radikalen Pazifismus der Grünen.
Doch in den Neunzigern legte Fischer nicht nur die Turnschuhe ab, sondern auch die pazifistische Haltung. Heute spricht er sich offen für eine militärische Stärkung Europas aus. „Man sollte immer vom Schlimmsten ausgehen“, sagt er mit Blick auf Donald Trumps Amerika und den Krieg, den Wladimir Putin gegen die Ukraine führt. „Europa muss zur Kenntnis nehmen, dass wir allein sind.“ Dass Joschka Fischer mit fast 80 Jahren seit einigen Wochen wieder von Medienhaus zu Medienhaus tingelt und Europa Tipps in Sachen Aufrüstung erteilt, dürfte aber vor allem damit zu tun haben, dass er gerade ein Buch geschrieben hat, das vermarktet werden will.
Miosga fragt, Fischer pariert
Fischer spricht bedächtig, nimmt sich Zeit für jede Antwort und hebt kaum die Stimme, fast monoton sind seine Redebeiträge – ein deutlicher Kontrast zu den impulsiven, schnellen Reden von früher. Präzise sind seine Worte aber auch heute noch: Trump zerstöre mutwillig die Weltordnung, in der er, Fischer, aufgewachsen sei. Der Angriff auf Wolodymyr Selenskyj im Oval Office sei „ein Vertrauensbruch, wie man ihn sich schlimmer nicht vorstellen kann“, und ein „offener Verrat“. Die USA steuere auf eine Oligarchie zu, analysiert Fischer und verweist auf die Nähe zwischen Elon Musk und Trump.
Für ihn führt all das zu einer klaren Schlussfolgerung: Europa müsse sich auf sich selbst besinnen. „Europa, Europa, Europa, was denn sonst?“, sagt Fischer und gibt zu bedenken: „Die europäischen Staaten, selbst die größten – Frankreich, Deutschland, Großbritannien – sind gegenüber der russischen Bedrohung zu klein. Nur gemeinsam haben wir eine Chance.“
Gut zwanzig Minuten sitzen Fischer und Miosga zu zweit am runden Tisch. Miosga fragt, Fischer pariert. Die Frau mit dem blonden Bob macht das wie stets auf ihre ganz eigene Art: Statt ihrem Gegenüber offene Fragen zu stellen, setzt sie auf Suggestivfragen – Thesen, verpackt als Interpellationen, vorgetragen mit einem Augenaufschlag und einem verschmitzten Grinsen, als flirte sie mit ihrem Gast. „Also war das inszeniert?“, fragt sie etwa zu Trumps Umgang mit Selenskyj. „Sie haben Sorge, dass der Spuk nicht nach vier Jahren vorbei ist?“, an anderer Stelle. „Muss Merz sich vom Westen abwenden?“
Es sind Fragen, die Eindeutigkeit verlangen. Miosga lässt nicht zu, dass ihr Gast ins Schwafeln gerät, sie lenkt das Gespräch. Fischer lässt sich davon nicht aus der Fassung bringen. Statt mit Ja oder Nein zu reagieren, wie die Fragen der Moderatorin es fordern, lässt er die Sekunden verstreichen, ehe er zu sprechen ansetzt. Dann beginnt er vielfach mit einem ruhigen „Ich glaube“, bevor er seine Gedanken ausführt.
Die Gäste betrifft die Wehrpflicht nicht
Den Rest der Zeit möchte die Moderatorin über eine mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht sprechen. Bevor sie zwei weitere Gäste in ihrem Studio begrüßt, folgt ein Einspieler, der Jugendliche einer evangelischen Schule in Köpenick nach ihrer Einstellung zur Wehrpflicht befragt. Die rund 35 befragten Jugendlichen sind mehrheitlich gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Sie meinen aber einstimmig: Sollte es eine Wehrpflicht geben, müsse diese auch für Frauen gelten. „Unter die Gleichberechtigung fällt, dass beide oder alle Geschlechter zur Wehrpflicht müssten“, sagt eine der Schülerinnen.
Anschließend sitzen zusammen mit Miosga und Fischer die Sicherheitsexpertin Jana Puglierin und Journalist Hauke Friederichs am Tisch. Eine Runde, die vor allem daran krankt, dass keiner der Diskutanten jünger als 45 Jahre ist – und damit unmittelbar von dem betroffen, was dort besprochen wird.

Fischer selbst, der als Fürsprecher der Wehrpflicht auftritt, wurde Ende der sechziger Jahre ausgemustert. „Ich war stark kurzsichtig“, sagt er erst, um schließlich einzugestehen, der Arzt habe ihn damals gefragt, ob er zur Bundeswehr wolle – und das habe er abgelehnt, woraufhin der Arzt ihn für untauglich befunden habe. Suggestive Frage Miosga: „Auch mit besseren Augen hätten Sie verweigert?“ Eindeutige Antwort Fischer: „Ja.“ Offene Frage Miosga: „Wenn Joschka Fischer heute 18 wäre, wie würde er sich entscheiden?“ Uneindeutige Antwort Fischer: „Ich habe das Bewusstsein eines 77-Jährigen, es fällt mir schwer, die Reise zurück anzutreten und eine ehrliche Antwort zu geben.“ Und dann zum ersten Mal an diesem Abend energisch: „Es ist die Situation, es ist Wladimir Putin, es ist sein Angriffskrieg in der Ukraine! Was wird geschehen, wenn er sich durchsetzt? Wird er aufhören? Nein! Er wird weitermachen. Es ist eine Entwicklung, die ich mir selbst nicht hätte träumen lassen, dass ich mal im öffentlich-rechtlichen Fernsehen sitze und für Wehrpflicht, Bewaffnung et cetera argumentiere.“
Da blitzt plötzlich ein Fischer auf, den man in Erinnerung behalten hat – der ungemütliche Mahner. Nur fühlt sich in dieser Runde keiner von ihm ermahnt. Die Gäste antworten reihum auf die Fragen der Moderatorin, ein Gespräch miteinander kommt zu keinem Zeitpunkt in Gang. Wie so oft mangelt es der Polittalkarena an einer Gegenstimme.
Hoffen, das Putin nicht zuschaut
Journalist Hauke Friederichs, der als einziger der Runde Wehrdienst geleistet hat, ist an diesem Abend als Widersacher eingeladen: contra Wehrpflicht. Das allerdings keineswegs aus Gründen des Pazifismus, sondern weil die Bundeswehr derzeit schlicht zu unattraktiv sei – durch ihre Ineffizienz und überbordende Bürokratie. Er rechnet vor, dass Deutschland so wenig Munition auf Lager habe, dass im Angriffsfall schon nach wenigen Tagen „leer geschossen“ wäre bei zentralen Waffensystemen. „Blanker als blank“ nennt auch er die militärischen Kapazitäten der Bundesrepublik. Daran habe auch das Sondervermögen von 100 Milliarden bislang kaum etwas geändert. „Die Debatte um die Wehrpflicht ist eine Scheindebatte“, sagt er. Da widerspricht Sicherheitsexpertin Puglierin nicht. Auch sie meint, die Wehrpflicht könne die Probleme der Bundeswehr nicht lösen. Die Ausbildungskapazität und Logistik für die Wiedereinführung der Wehrpflicht seien derzeit schlicht nicht gegeben.
Man möchte hoffen, dass Putin nicht zufällig einschaltet und mithört, wie desolat die Sicherheitsexperten die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands einschätzen. Es hat wohl einen Grund, dass die Bundeswehr solche Informationen selbst nicht mehr preisgibt.
Nach so viel Unerquicklichem scheint Miosga ihrer Show noch eine positive Wendung geben zu wollen. „Was gibt Ihnen Zuversicht?“, will sie abschließend von Fischer wissen. Es sei „der Glaube“ an Deutschland und Europa, antwortet er, und dass die Menschen nicht bereit seien, ihre offene Gesellschaft und die Demokratie einfach herzugeben. „Wir werden uns nicht irgendwelchen kruden imperialen Ideen unterwerfen.“ Der Glaube? Dann hilft wohl nur noch beten.
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