Wissenschaft

#„Ötzi“ hatte dunkle Haut und kaum noch Haare

Die Gletschermumie „Ötzi“ ist der wahrscheinlich berühmteste prähistorische Europäer. Dennoch halten seine Überreste noch immer Überraschungen parat. So enthüllt eine neue, präzisere Genomanalyse des vor rund 5300 Jahren gestorbenen Mannes aus der Kupferzeit, dass unsere Vorstellungen zu seinem Aussehen offenbar falsch waren. Denn seinen Genen zufolge war Ötzi fast so dunkelhäutig wie heute seine Mumie und hatte eine Glatze. Sein Erbgut stimmt zudem zu mehr als 90 Prozent mit dem von jungsteinzeitlichen anatolischen Bauern überein. Ötzi hat damit deutlich weniger genetische Anteile steinzeitlicher Jäger-und-Sammler als die meisten anderen Europäer seiner Zeit. Damit werfen die neuen Genomanlysen der Gletschermumie auch ein neues Licht auf die Bevölkerung im Alpenraum der Kupferzeit.

Es gibt wohl kaum einen Menschen der frühen europäischen Vergangenheit, der so gut untersucht ist wie „Ötzi“, die im Eis der Ötztaler Alpen konservierte Gletschermumie aus der Kupferzeit. Seit Wanderer im Jahr 1991 die gut erhaltenen Überreste dieses Mannes entdeckten, haben sie einzigartige Informationen über seine Herkunft, sein Leben und seine Gesundheit geliefert. So enthüllten Materialanalysen, woher Kleidung und Waffen des Kupferzeitmannes stammten und woraus sie gefertigt waren. Analysen seines Proviants und Mageninhalts verrieten zudem, was Ötzi vor seinem Tod gegessen hatte. Untersuchungen seiner Verletzungen lieferten sogar erste Hinweise darauf, wie der Mann vor rund 5300 Jahren getötet wurde – auch wenn noch nicht alle Umstände seines Todes geklärt sind. Im Jahr 2012 gelang es einem Forschungsteam, auch DNA aus einer Knochenprobe der Gletschermumie zu gewinnen und zu analysieren. Die Ergebnisse legten unter anderem nahe, dass Ötzi braune Haare und Augen besaß und eher einem gemäßigt-mediterranen Typ entsprach.

Überraschend hoher Anteil anatolischer Vorfahren

Allerdings waren die 2012 gewonnenen Genomdaten noch relativ grob und unvollständig, weil die Methoden der DNA-Sequenzierung noch nicht so fortgeschritten waren. Deshalb hat ein Forschungsteam um Ke Wang vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig sich nun das Erbgut der berühmten Gletschermumie noch einmal vorgenommen. Dafür entnahmen die Wissenschaftler erneut eine kleine Knochenprobe aus dem Hüftknochen von Ötzi und analysierten die DNA durch moderne Hochdurchsatz-Sequenzierung. Das Ergebnis ist eine weit besser abgedeckte und präzisere Rekonstruktion von Ötzis Erbgut, die zudem aufgrund neuer Filtermethoden weniger moderne Kontaminationen aufweist, wie die Forschenden erklären. Auf Basis dieses neuen Genoms untersuchten sie zunächst mithilfe von DNA-Vergleichen mit modernen und zeitgenössischen europäischen Populationen, welcher Herkunft der Gletschermann war.

Die Analysen ergaben Überraschendes: „Der Gletschermann hatte mehr neolithische Bauern unter seinen Vorfahren als jeder andere von uns untersuchte Europäer des vierten vorchristlichen Jahrtausends“, berichten Wang und seine Kollegen. Ihren Ergebnissen zufolge stimmten mehr als 90 Prozent von Ötzis Erbgut mit dem der in der Jungsteinzeit aus Anatolien nach Europa eingewanderten ersten Bauern überein. „Genetisch sieht er so aus, als seien seine Vorfahren direkt aus Anatolien gekommen“, erklärt Seniorautor Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. Dies lege nahe, dass Ötzi aus einer relativ isolierten Alpenbevölkerung mit wenig Kontakt zu anderen europäischen Gruppen stammte. Der Rest von Ötzis Erbgut geht auf die Jäger und Sammler zurück, die schon vor der neolithischen Evolution und der Einwanderung der frühen Bauern in Europa lebten. Anders als bei der Analyse von 2012 konnten Krause und sein Team in Ötzis Erbgut keine DNA der bronzezeitlichen Steppennomaden nachweisen, die vor etwa 4900 Jahren aus der eurasischen Steppe nach Europa einwanderten. „Daraus schließen wir, dass der zuvor ermittelte 7,5-prozentige Anteil dieser Steppen-DNA höchstwahrscheinlich auf eine moderne Kontamination zurückgeht“, erklärt das Team.

Dunkle Haut und Glatze

Die neue Genomanalyse liefert auch neue Erkenntnisse zum Aussehen des Gletschermannes. Das Team um Krause hat dafür Ötzis DNA unter anderem mit rund 170 Genvarianten im menschlichen Erbgut verglichen, die die Pigmentierung der Haut beeinflussen. Dabei zeigte sich: Ötzi hatte eine noch dunklere Haut als bisher angenommen. „Es ist der dunkelste Hautton, den man in europäischen Funden aus derselben Zeit nachgewiesen hat“, erklärt Co-Autor Albert Zink vom Institut für Mumienforschung bei Eurac Research in Bozen. Ötzis Haut war demnach stärker pigmentiert als die der heutigen Bewohner Sardiniens oder andere Mittelmeerpopulationen. Das wirft auch ein neues Licht auf die Mumie des Gletschermannes: „Man dachte bisher, die Haut der Mumie sei während der Lagerung im Eis nachgedunkelt, aber vermutlich ist, was wir jetzt sehen, tatsächlich weitgehend Ötzis originale Hautfarbe“, sagt Zink. „Dies zu wissen, ist natürlich auch wichtig für die Konservierung.“

Die bisherige Vorstellung zum Aussehen von Ötzi stimmen offenbar auch in Bezug auf die Haare nicht: Bisherige Rekonstruktionen zeigten den Gletschermann immer mit langem, leicht gewelltem braunen Haupthaar und einem dichten Bart. Doch eine mit frühem Haarverlust verknüpfte Genvariante in seinem Genom legt nun nahe, dass Ötzi zum Zeitpunkt seines Todes wahrscheinlich eine Glatze oder höchstens noch einen schütteren Haarkranz besaß. „Das ist ein relativ eindeutiges Ergebnis und könnte auch erklären, warum bei der Mumie fast keine Haare gefunden wurden“, sagt Zink. Ein erhöhtes Risiko für Übergewicht und Diabetes Typ 2 lag ebenfalls in Ötzis Erbanlagen, kam jedoch dank seines gesunden Lebensstils wahrscheinlich nicht zum Tragen.

Insgesamt liefert die neue Erbgutrekonstruktion damit gleich mehrere neue Erkenntnisse zu Herkunft, Gesundheit und Aussehen des berühmten Gletschermannes – und korrigieren einige Fehlannahmen.
„Die Genomanalysen enthüllten phänotypische Merkmale wie eine starke Hautpigmentierung, dunkle Augenfarbe und männliche Glatzenbildung, die in starkem Kontrast zu früheren Rekonstruktionen stehen“, sagt Krause. „Es ist bemerkenswert, wie stark die Rekonstruktion von unseren eigenen Vorstellungen eines europäischen Steinzeitmannes verzerrt ist.“ Elisabeth Vallazza, Direktorin des Südtiroler Archäologiemuseums, in dem eine auf den früheren Erkenntnissen basierende Rekonstruktion steht, kommentiert dazu: Bei der im Museum ausgestellten Ötzi-Figur stehe ein anderer Aspekt im Vordergrund: „Es ging dabei vor allem darum, zu zeigen, dass Ötzi ein moderner Mensch war: mittleren Alters, tätowiert, drahtig, wettergegerbt, ein Mensch wie du und ich“, so Vallaza. Eine Überarbeitung der Rekonstruktion sei derzeit nicht vorgesehen.

Quelle: Ke Wang (Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig) et al., Cell Genomics, doi: 10.1016/j.xgen.2023.100377

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