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#Kommentar zu UN und Taliban: Die nächste afghanische Lektion

In Afghanistan steht die inter­nationale Gemeinschaft vor der Wahl zwischen mehreren extrem schlechten Optionen. Fast zwei Jahre nach ihrer Machtübernahme haben die Taliban ein repressives System aufgebaut, Kritiker kaltgestellt und Frauen entrechtet. Der vorerst letzte Höhepunkt dieser Entwicklung ist das Arbeitsverbot für Afghaninnen, das nun auch für UN-Organisationen gilt. Die Vereinten Nationen müssen also gegen ihre eigene Charta und zentrale Grundsätze verstoßen, in­dem sie keine Afghaninnen mehr be­schäftigen.

Auch deutsches Hilfsgeld wird so größtenteils nur noch durch Männerhände gehen. Für eine Ministerin, die eine feministische Außenpolitik zum Vorsatz hat, ist das ein übles Dilemma. Entsprechend klar war in der Vergangenheit die deutsche Haltung, dass das Arbeitsverbot für Frauen nicht akzeptabel sei. Doch wenn die UN ihre Projekte beenden, lassen sie bis zu 28 Millionen Afghanen, die nach ihren Schätzungen von humanitärer Unterstützung abhängen, ohne Hilfe zurück. Und das, so hat es UN-Generalsekretär António Guterres diese Woche gesagt, kommt nicht infrage.

Was hilft den afghanischen Frauen?

Was kann man also tun? Die Antwort kann nicht darin bestehen, auf den Prinzipien des internationalen Rechts zu reiten, so fundamental sie auch sind. Dem Land und den afghanischen Frauen ist am besten gedient, wenn sie und ihre Kinder nicht hungern müssen. Für die These, dass die Mehrheit der Afghaninnen dafür wä­re, humanitäre Hilfe als Druckmittel für ihre Rechte einzusetzen, gibt es keine Anhaltspunkte.

Der Westen muss bedenken, dass die Herrschaft der Taliban für große Teile der afghanischen Frauen nicht nur Nachteile bringt. Die rigiden Sittengesetze, die ihnen kaum Rechte lassen, galten jenseits der urbanen Zentren auch schon früher. Mit der Machtübernahme hat sich manches sogar zum Positiven verändert: Die Sicherheitslage hat sich verbessert. Dadurch können viele Gegenden, die wegen des Kriegs für Hilfsorganisationen früher unerreichbar wa­ren, endlich mit elementaren Ge­sundheitsdiensten und Schulbildung (auch für Mädchen) versorgt werden. Man kann sich von außen keine Vorstellung davon machen, welche Verheerungen Jahrzehnte des Bürgerkriegs über Afghanistan brachten – nicht nur durch den Terror der Taliban, sondern auch durch die „Kollateralschäden“ des Kampfes ge­­gen sie.

Ein „Kollateralschaden“ war auch, dass sich die alte Regierung und die NATO im Kampf gegen die Taliban auf korrupte lokale Machthaber stütz­ten. Dass viele Afghanen die Ta­liban – wie schon in den Neunzigerjahren – mit offenen Armen empfingen, kann man nur in diesem Kontext verstehen. Die Sittenstrenge der Is­lamisten war seit jeher eine Antwort auf den Sittenverfall in Zeiten des Bürgerkriegs.

Afghanische Realität: Frauen in einem Hangviertel von Kabul


Afghanische Realität: Frauen in einem Hangviertel von Kabul
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Bild: AFP

Doch welche Optionen bleiben? Eine Unterstützung der bewaffneten Oppositionsgruppen kommt nicht infrage. Die sind untereinander zerstritten und haben keine Chance gegen die Übermacht der Taliban. Das Einzige, was die Kämpfer erreichen könnten, wären Instabilität und ein neuer Bürgerkrieg. Stabilität aber ist nicht nur im Interesse der Afghanen, sondern auch des Westens. Andernfalls drohen die Ausbreitung des „Islamischen Staates“ und ein neuer, noch größerer Flüchtlingsstrom.

Eine Wette mit hohem Einsatz

Doch auch äußerer Druck auf die Taliban hat bislang nicht die ge­ringste Wirkung gezeigt, genau wie positive Anreize, etwa die Aussicht auf Anerkennung oder wirtschaft­liche Normalisierung. Vieles spricht dafür, dass sich innerhalb der Führung inzwischen erzreaktionäre Kräf­te durchgesetzt haben. Zu deren Weltbild gehört eine Idealisierung von Askese und Armut als Reinigung vom „schädlichen Einfluss“ des Westens.

Die Hilfsorganisationen waren diesen Leuten seit jeher verhasst, da in den Programmen stets eine Agenda von Menschenrechten und Frauenförderung mitschwang. Dass ein Aussetzen dieser Hilfe die Taliban zum Einlenken brächte, wäre eine ge­wagte Wette mit einem hohen Einsatz. Nüchtern betrachtet gibt es ohnehin wenige Beispiele für die These, dass äußerer Druck repres­sive Regime zum Einlenken zwingt. Bei den Taliban haben derlei Hoffnungen erst recht keine Grundlage.

Am Ende erteilt Afghanistan dem Rest der Welt mal wieder eine Lektion darin, dass es eine Illusion ist, zu glauben, man könnte die Geschicke eines Landes von außen zum Besseren wenden, wenn man nur ge­nügend Ressourcen und guten Willen aufbringt. Nach Jahrzehnten der Interventionen bleibt dem Westen die Rolle eines demütigen Zuschauers, der bedingungslose Nothilfe leistet, wo Menschen hungern, und Frauen Schutz gewähren sollte, wenn sie dem Unrecht entfliehen wollen. Alles andere können die Af­ghanen nur selbst lösen.

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