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#Jetzt auf der Straße: „Neue Berliner Illustrierte Zeitung“

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Die Hauptstadt hat eine neue von Obdachlosen verkaufte Straßenzeitung: Die „Neue Berliner Illustrierte Zeitung“ macht keine Konzession an die Codes der gesellschaftlichen Mitte.

Das gegenwärtige soziale Dasein, heißt es im neuesten Berliner Straßenmagazin, „ist ein halluzinatorischer Zustand“. Tatsächlich sehen auch die doppelseitigen Poster, die in die gerade erschienene Nullnummer dieser „Neuen Berliner Illustrierten Zeitung“ integriert sind, ziemlich halluzinatorisch aus: Aus einem überfüllten Gruppenpor­trät starren einen alle möglichen Tiere und Fabelwesen an, auf einem schwarz-weißen Comic sieht man phlegmatische Gestalten sich in der U-Bahn räkeln, ein Katzenbild verbreitet unter dem Titel „Zen Debrism“ Maximen wie „Avoid au­thenticity“ oder „Avoid sculpture parks“.

Das Halluzinatorische der Texte rührt daher, dass die Härten der Gegenwart da im Zwielicht früherer Utopien betrachtet werden und umgekehrt. „50 Jahre No Future“, heißt ein Artikel, in dem dann aber gleich versichert wird: „Wir interessieren uns null für Nostalgie.“ Vielmehr gehe es um eine „Zustandsbeschreibung“: „Die echten ‚No Futures‘ sieht man heute noch vereinzelt in kleinen Gruppen in den Innenstädten des globalen Nordens, in Fußgängerzonen, zum Beispiel am Alex.“

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung.

F.A.S. jetzt lesen

Es sind ebendiese Protagonisten der rauen Jetztzeit, die den sozialen Ort der Zeitung ausmachen: Wie alle anderen Straßenzeitungen wird auch diese von Obdachlosen vertrieben, die den Erlös (2 Euro) behalten können. Die Zeitung finanziert sich über Anzeigen aus der Berliner Feier- und Kultursphäre, in der Nullnummer etwa vom Künstlerhaus Bethanien, von der Victoriabar oder dem Tresor. Die Beiträger der Nullnummer sind selbst keine Obdachlosen, aber überwiegend in einem Alter, dass sie auf die radikalen Gesten vergangener Jahrzehnte von deren bisweilen trauriger biographischer Fortsetzung her blicken können.

Ein Artikel von Olaf Arndt stellt einen Punk aus „zukunftslosen, rauschhaft abgesicherten Zeiten“ vor, der heute in einer betreuten Wohngemeinschaft lebt: Er sitzt in einem „Kunstledersessel mit abgeschabten Armlehnen“ und ist kaum ansprechbar. „Punk war der Quietismus der Achtziger“, heißt es, man las Melvilles „Moby Dick“, obwohl man ihn „stinklangweilig“ fand, und zwar wegen des RAF-Terroristen Holger Meins, dessen Deckname „Starbuck“ auf den Roman zurückging, man hoffte, dass da „zum Schluss noch was kommt, von wegen Stadtguerilla. Aber da war nichts.“

Die Zukunft gehört der Wandzeitung

Die „Straßburger Thesen“ eines unter dem Pseudonym des 1794 hingerichteten Dichters und Aktivisten Moses Dobruska schreibenden Autors wettern gegen „Zombie-Linke“, „Impfstalinismus“ und „Barbie-Feminismus“, überhaupt gegen alle, die eine „Bewegung“ fingieren, um sich irgendwie zugehörig zu fühlen. Stattdessen empfehlen die Sentenzen, die im Stil eines Adorno oder Debord unnachgiebig apodiktisch auftreten, einen „aktiven Konspirationismus“, um den vergifteten öffentlichen Raum ganz hinter sich zu lassen. „See you on the outside“, raunen sie wie Gefängnisinsassen vor der Flucht.

Möglicherweise wird die Fixierung solcher programmatischer Schwerpunkte jedoch dem eigenartigen Flirren dieses Projekts nicht ganz gerecht; schon in der für April annoncierten offiziellen ersten Ausgabe kann die inhaltliche Mischung anders aussehen. Prägend wird jedoch bleiben, dass die Poster aus den Heften auch auf Plakatflächen der Stadt zu sehen sein werden. „Die Zukunft gehört der Wandzeitung“, heißt es in einer Ankündigung. Diese Art optische Intervention ist dem Initiator der Zeitung, dem Grafikdesigner Johannes Beck, offenbar genauso wichtig wie das Spiel mit dem traditionsreichen Namen, dessen Rechte er sich sichern ließ. Die „Berliner Illustrirte (!) Zeitung“ war von 1892 bis 1945 eine Zeitschrift mit einer Auflage von zeitweise über einer Million Exemplaren; in Ost-Berlin erschien dann von 1945 bis 1991 die „Neue Berliner Illustrierte“.

Bleiben dürfte wohl auch, dass die Zeitung mit den Codes der abgesicherten Mitte der Gesellschaft so wenig zu tun hat wie diejenigen, die sie auf der Straße verkaufen. „Die Werwölfe von Weißensee“ heißt die Verschriftlichung einer Performance des kürzlich verstorbenen anarchistischen Dichters Bert Papenfuß, die die Zeitung zum ersten Mal veröffentlicht. Sabine Vogel steuert Vignetten über Gestalten im Nachtasyl und andere „Profi-Penner“ bei, die Gejammer allesamt nicht leiden können: „Er schaut arglos und gütig wie ein großer Engel, der allein darum bittet, ihm seine mangelnde Tauglichkeit für dieses Leben nachzusehen.“ Und von Helmut Höge wird ein Text „Über die Affen“ nachgedruckt, mit der der indigenen Dayak-Bevölkerung auf Borneo zugeschriebenen, aber vor allem für ihn selbst so typischen Randbemerkung, dass diese möglicherweise deshalb „nicht sprechen, weil sie sonst arbeiten müssten“.

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