#Ließ Bleiverschmutzung den IQ der Römer sinken?

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Schon geringe Bleiverschmutzungen der Luft können unsere Gesundheit beeinträchtigen. Wie stark die Atmosphäre in der Vergangenheit mit Blei belastet war, lässt sich aus arktischen Eisbohrkernen ablesen. Auf diese Weise haben Forschende nun herausgefunden, dass die Luft während der Herrschaft des Römischen Reiches stark mit Blei verschmutzt war – offenbar eine Folge des damaligen Silberbergbaus. Dies hat sich wahrscheinlich auf die geistigen Fähigkeiten der europäischen Bevölkerung ausgewirkt, sodass ihr IQ sank.
Blei ist ein bekanntes Umweltgift. Kommt es in der Luft vor, atmen wir es zwangsläufig ein. Über die Lunge gelangt es dann in den Blutkreislauf – mit teils verheerenden Folgen. „Es ist bekannt, dass Blei eine Vielzahl von Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit hat“, sagt Co-Autor Nathan Chellman vom Desert Research Institute (DRI) in Nevada. Bei Erwachsenen ist eine hohe Bleibelastung unter anderem mit einer verminderten Immunantwort, Unfruchtbarkeit und Anämie verbunden. Auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Gedächtnisverlust können eine Folge sein. Bei Kindern kann schon eine geringe Bleimenge Konzentrationsprobleme verursachen und den IQ senken, woraufhin die schulischen Leistungen sinken. Daher gelten heute strenge Richtlinien, unter anderem für bleihaltiges Benzin. Doch welche Folgen hatte Blei, bevor dessen krankmachende Wirkung bekannt war?

Eisbohrkerne zeigen Bleiverschmutzung während des Römischen Reiches
Um diese Frage zu klären, hat ein Team um Joseph McConnell vom DRI untersucht, wie stark die Erdatmosphäre in der Vergangenheit mit Blei verschmutzt war, insbesondere während der Zeit des Römischen Reiches zwischen 500 vor Christus und 600 nach Christus. Dafür entnahmen die Hydrologen, Archäologen und Historiker drei Eisbohrkerne aus der Arktis, wo sich über Jahrtausende dicke Eisschilde gebildet haben. In den Eissäulen ist Zentimeter für Zentimeter das Klima der damaligen Zeit archiviert. Das Team schmolz das Eis im Labor und ermittelte die darin enthaltene Konzentration von Blei und anderen Luftschadstoffen. Mit Computermodellen zur Aerosolbewegung in der Atmosphäre erstellten die Forschenden dann Karten der einstigen Bleibelastung in ganz Europa.
Die Untersuchungen ergaben, dass die Bleiverschmutzung der Luft schon während der Eisenzeit begann und zunächst bis zum späten 2. Jahrhundert vor Christus anstieg. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Römische Republik auf ihrem Höhepunkt. Während der nachfolgenden Krise des Römischen Reiches im 1. Jahrhundert vor Christus ging die Bleibelastung dann vorübergehend stark zurück, bevor sie um 15 vor Christus mit dem erneuten Aufstieg des Römischen Reiches wieder anstieg. Die Bleibelastung blieb nachfolgend hoch, bis zur Antoninuspest, die von 165 bis 180 nach Christus wütete und an der rund zehn Prozent der Menschen in Europa starben.
Den Untersuchungen zufolge wurden während dieser fast 175-jährigen Blütezeit des Römischen Reiches, der Pax Romana, mehr als 500 Kilotonnen Blei in die Atmosphäre freigesetzt. Zwar wurden diese Werte später mehrfach erheblich übertroffen, dennoch stellen sie ein bis dato historisches Langzeithoch dar. „Diese Forschung verändert unser Verständnis der Ära, indem sie genaue Verbindungen zwischen den Aufzeichnungen der Bleiverschmutzung und historischen Ereignissen wie Bevölkerungsrückgängen im Zusammenhang mit periodischen Seuchen und Pandemien aufzeigt“, sagt Seniorautor Andrew Wilson von der Universität Oxford.

Blei aus Silberminen ließ IQ sinken
Die Eisbohrkerne legen damit nahe, dass die Bleiverschmutzung zur Zeit des Römischen Reiches mit dessen wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Auf- und Abschwung zusammenhing. Doch woher stammte das Blei? Aus historischen Texten ist bekannt, dass Blei damals in Wasserleitungen, Geschirr, Kosmetika und Farben vorkam. Die Analyse der Bleiisotope ergab jedoch, dass das Blei in diesem Zeitraum wahrscheinlich größtenteils aus dem Bergbau und Verhüttungsbetrieben in ganz Europa kam. Vor allem beim Silberbergbau, wo das bleireiche Mineral Galenit (Bleiglanz) eingeschmolzen wurde, um daraus Silber zu gewinnen, gelangte Blei in die Atmosphäre. Für jede Unze gewonnenen Silbers wurden dabei Tausende von Unzen Blei frei, wie das Team erklärt. Silber bildete damals die Grundlage der römischen Wirtschaft. Damit belegt die Studie, dass „der Mensch seine Gesundheit seit Tausenden von Jahren durch industrielle Aktivitäten beeinflusst“, sagt McConnell.
Doch welche gesundheitlichen Folgen hatte die bleihaltige Luft zur Zeit Roms? Um das herauszufinden, verglichen McConnell und seine Kollegen ihre Blei-Analysen auch mit neueren epidemiologischen Studien, die die Bleiexposition mit dem kognitiven Verfall in Verbindung bringen. Demzufolge hat die Bleibelastung der Luft während der Pax Romana zu einem durchschnittlichen Bleigehalt im Blut von Kindern unter fünf Jahren von etwa 3,4 Mikrogramm pro Deziliter geführt. Auch bei Kindern unter elf Jahren stiegen die Blutwerte an. Infolgedessen sank das durchschnittliche IQ-Niveau der europäischen Bevölkerung während der Römischen Herrschaft um mindestens 2,5 bis drei Punkte. „Eine IQ-Reduktion um zwei bis drei Punkte klingt nicht nach viel, aber wenn man das auf die gesamte europäische Bevölkerung anwendet, ist das eine große Sache“, sagt Chellman. Demnach verringerte die Bleibelastung erheblich die geistigen Fähigkeiten der damals lebenden Menschen.
Quelle: Joseph McConnell (Desert Research Institute) et al.; Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), doi: 10.1073/pnas.2419630121
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