#Amputierten-Fußball als Chance: Spiel auf Krücken
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Jeden zweiten Freitag fährt Achim Altheimer von Würzburg nach Essenheim, einer kleinen Gemeinde in der Nähe von Mainz, um am Training seiner Mannschaft teilzunehmen. 160 Kilometer pro Strecke bedeutet das für den 62-Jährigen. Für die meisten Vereinssportler eine unvorstellbar lange Anreise. Aber Altheimer bleibt keine andere Option, wenn er seinen Sport ausüben möchte.
Er spielt in der Mannschaft des FSV Mainz 05 im Amputiertenfußball. Als Jugendlicher erkrankte er an Knochenkrebs im Knie, die Folge war die Amputation des rechten Beins. Doch Altheimer wollte weiter sportlich aktiv bleiben. Er begann mit Sitzball, einer Form des Volleyballs für Behinderte. Dem Sport ist er bis heute treu geblieben und trainiert in seiner Heimat selbst eine Mannschaft. Durch einen Freund erfuhr der sportbegeisterte Franke dann vor über zehn Jahren beim gemeinsamen Skifahren vom Amputiertenfußball.
Die Sportart ermöglicht es Menschen, die ein Bein oder einen Arm verloren haben, wieder zu kicken. Und Altheimer, der seit seiner Jugend nicht mehr Fußball gespielt hatte, nach über drei Jahrzehnten die Rückkehr auf den Platz. Gespielt wird auf Krücken, ihre Prothesen nehmen die Spieler vorher ab. Das Spielfeld hat Kleinfeldmaße, gespielt wird fünf gegen fünf für zwei Mal 20 Minuten. Dabei darf der Ball weder mit den Krücken noch mit dem Stumpf gespielt werden. Abseits gibt es nicht, und es darf beliebig oft gewechselt werden.
Das Ziel ist die deutsche Meisterschaft
Die Mannschaft der Rheinhessen besteht erst seit April dieses Jahres. Die meisten hier kennen sich aber schon länger, spielten zuvor gemeinsam bei Anpfiff Hoffenheim. „Wir wollten einen leistungsorientierteren Ansatz verfolgen“, erklärt Ko-Trainer Jörg Schmidtke den Standortwechsel. Als Spielertrainer steht er auch selbst auf dem Platz. Der Ehrgeiz zeigt sich auch im Training, auf dem Programm steht unter anderem die Ballannahme mit Rücken zum Tor und darauffolgendem Abschluss.
Eine koordinativ anspruchsvolle Aufgabe, auch für die 17 Jahre alte Nicola Roos. Denn schnelle Drehungen auf Krücken erfordern viel Übung und Kraft. Oberkörper und Arme werden dabei stark belastet. Seit sie vier Jahre alt war, spielte Roos Fußball im Verein. Durch eine Krebserkrankung verlor sie mit 14 Jahren ihr rechtes Bein. Doch mit dem Fußball aufzuhören war für sie keine Option. Schon im Krankenhaus erfährt sie vom Amputiertenfußball. Seit einem Jahr ist sie nun dabei. Die größte Herausforderung für die ursprüngliche Rechtsfüßlerin war es anfangs, nun alle Ballberührungen mit dem linken Bein machen zu müssen. Dass sie nicht nur die einzige Frau im Mainzer Team, sondern der gesamten Liga ist, sieht sie locker. „Ich habe vorher schon in gemischten Teams gespielt, und hier sind die Teamkollegen halt einfach etwas älter,“ sagt die Schülerin mit einem Lachen.
Nach dem Abschlussspiel gibt es für ein paar Spieler noch eine Extraeinheit. Die Standardschützen der Mainzer proben neue Varianten für Freistöße ein. Das große Ziel der Mannschaft ist die deutsche Meisterschaft. An den vergangenen beiden Spieltagen blieben die Rheinhessen in insgesamt vier Spielen ungeschlagen.
Beim Amputiertenfußball, hier die SG Nord-Ost gegen Anpfiff Hoffenheim 2021, kann es mächtig zur Sache gehen.
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Bild: picture alliance/dpa
In Deutschland ist Amputiertenfußball noch im Aufbau begriffen. Der Sport entstand Anfang der 1980er-Jahre in den USA. In der Saison 1994/95 gründete sich erstmals eine Mannschaft in Deutschland, die auch an internationalen Turnieren teilnahm. Nach einem Jahr versandete die Initiative für den Sport jedoch und lebte erst 2008 durch Unterstützung der Sepp-Herberger-Stiftung wieder auf. Über die 2010er Jahre hinweg wurde eine Nationalmannschaft aufgebaut, die seitdem internationale Freundschaftsspiele und Turniere bestreitet. Altheimer, der quasi von Beginn an dabei war und damit ein echter Routinier der Sportart in Deutschland ist, kommt ins Schwärmen, wenn er von den Erlebnissen mit der Nationalmannschaft spricht: „Wir waren in Polen, Irland und Mexiko, der Amputiertenfußball hat mir viel gebracht.“
2021 wurde eine offizielle Bundesliga gegründet. Andere Nationen wie England, Russland oder Brasilien sind da schon weiter, Ligen existieren dort länger, in der Türkei sogar mit einem mehrgleisigen System. Die Bundesliga hingegen besteht bisher aus nur vier Mannschaften. Neben den Mainzern und Hoffenheim treten noch Fortuna Düsseldorf und die Spielgemeinschaft Nord-Ost an, ein Zusammenschluss von Spielern aus den Städten Berlin, Braunschweig und Hamburg. Der neue Standort Mainz soll auch dazu dienen, vermehrt Menschen aus Hessen für den Sport zu begeistern, insbesondere rund um den Raum Frankfurt. Schmidtke hofft darauf, dass es in der Liga bald mehr Mannschaften geben könnte, beispielsweise durch eine Aufteilung der SG Nord-Ost in mehrere Teams.
Aufgrund der Größe der Liga gibt es nur sechs Spieltage, die an insgesamt drei Wochenenden ausgetragen werden. Der Meister wird jedoch nicht über die Abschlusstabelle, sondern durch ein Play-off-Turnier im September in Düsseldorf ermittelt. Das war zwischen den Teams nicht unumstritten, garantiert aber Spannung bis zum Schluss.
Beim nächsten Doppel-Spieltag an diesem Wochenende in Wetzlar wird sich zeigen, ob die Mainzer mit neuen Freistoßvarianten den Gegner überraschen und ihre Formstärke beibehalten können. Als Gewinner können sich die Mainzer Spieler aber jetzt schon fühlen, denn sie haben trotz schwerer Schicksalsschläge ihre Liebe zum Fußball nicht aufgegeben.
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