Mehr Unabhängigkeit von Microsoft: Sind europäische Lösungen ein Ausweg?

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Das Leben mit Microsoft ist momentan alles andere als einfach. Das große Streichkonzert, dem auf Consumer-Seite neben bekannteren Namen wie Skype auch viele kleinere Produkte wie Math Solver, der Xbox Avatar-Editor oder Defender VPN zum Opfer gefallen sind, ist dabei nur ein Grund. Auch die aktuelle US-Regierung mit ihrem wenig berechenbaren Präsidenten und die immer striktere Anbindung an das Microsoft-Konto und seine möglichen Folgen tragen aktuell dazu bei.
Die Gedanken über eine größere Unabhängigkeit aus Redmond treiben mich schon seit einiger Zeit um. Dabei steht die grundsätzlich Integration in das Ökosystem bei Microsoft weiterhin nicht zur Debatte, was die US-Techgiganten angeht – oder auf Deutsch: Einfach nur die Daten zu Google oder Apple zu schaufeln, wäre für mich selbst unter regulären Gesichtspunkten, wenn man die aktuelle Situation mal kurz ausblendet, keine wirkliche Option. Können europäische Lösungen eine Alternative bieten, auch wenn wir oft über unsere eigenen Fähigkeiten lächeln?
Der Faktor Künstliche Intelligenz
Abgesehen von den genannten Punkt ist Künstliche Intelligenz mit der entscheidende Faktor, warum diese Gedanken so gewachsen sind. Ich bin nicht gegen KI, zumal wir sowieso als Wirtschaftsfaktor und in anderen Bereichen mit ihr leben lernen müssen. Die Frage ist aber, inwieweit Microsoft das Vertrauen bei KI verdient und was sie tun, um sich dieses zu erarbeiten. Frühere Experimente wie Tay gingen daneben, während es in Bereichen wie MSN oder zuletzt Copilot in seine zahlreichen Auswüchsen immer präsenter wurde.
Das Kernproblem zeigt sich aber in Microsofts zunehmender Entfernung vom Privatnutzer. Microsoft setzt bei den Consumer-Varianten, die zunehmend auch nur noch aus Richtung der Unternehmenskunden hinten runter fallen, zunehmend auf Vollautomatisierung, was nicht nur Frontend-Dienste wie MSN, sondern mit entsprechenden Konsequenzen auch sowas wie OneDrive betrifft. Der Nutzer mag nach Aussage von Microsoft die volle Kontrolle haben, aber am Ende ist Copilot spätestens mit Funktionen wie Recall ein extrem mächtiges Werkzeug.
Selbst wenn man nicht in solchen Szenarien denkt, bleibt die Qualitätsfrage beim direkten Vergleich zwischen Unternehmenskunde und Privatnutzer bestehen. Die lustigen Übersetzungen ins Deutsche, die Microsoft Translator mittels KI produziert, kennen wir alle. Dass es aber insgesamt qualitative Unterschiede gibt, hatte OneDrive zuletzt schon gezeigt. Den Rat, den Martin zuletzt eigentlich nur wegen Skype gegeben hat, müsste man also zunehmend verallgemeinern.
Europa als möglicher Ausweg
Reflexartig mögen einige Leute jetzt den konsequenten und direkten Wechsel zu Open Source-Lösungen anmahnen, aber zur Wahrheit gehört eben auch dazu, dass ein Self Hosting und dergleichen für die breite Mehrheit, die sich nicht tiefer mit der Materie beschäftigen, einfach nicht machbar ist. Pragmatische Lösungswege, die sämtliche (sensiblen) Daten in das direkte Aktionsgebiet der europäischen Digitalgesetze holen und dabei die wichtige Differenzierung zwischen Daten, die wegen der Sensibilität nur in den lokalen Bereich gehören, und denen, die man auch mal auf einem europäischen Server hinterlegen kann, nicht vergisst, sind daher besser. Das Eine schließt das Andere ja nicht aus.
Entsprechend verfolge ich auch die Idee, grundsätzlich erstmal mehr Dinge wieder „nach Hause“ zu holen. Obwohl die Europäer zeitweise im Dornröschenschlaf waren und außereuropäische Unternehmen europäische Spitzenvertreter wie Opera, Skype oder Wunderlist seinerzeit übernehmen konnten, haben wir immer noch Unternehmen wie Spotify oder JetBrains, die weiterhin in der ersten Liga mitspielen. Selbst beim Thema Künstliche Intelligenz gibt es Vertreter wie Mistral AI oder DeepL, die ihre Duftmarken hinterlassen haben.
Wer hat’s… gefunden?…
Insgesamt hat die Anzahl der von mir genutzten Microsoft-Dienste in den vergangenen Monaten abgenommen. Mit Microsoft To Do gibt es dabei einen Einzelfall, der Microsoft-intern abgewickelt wurde, indem ich grundsätzlich auf OneNote setze – ich schreibe meine Gedanken ohnehin lieber aus – und bei Bedarf kleine Aufgabenliste lieber in die Sticky Notes packe. Der Großteil aller (bereits) erfolgreichen Versuche ging aber nach Europa:
- Bing wurde als Zweitsuchmaschine mittlerweile von Qwant aus Frankreich abgelöst. Diese basiert aktuell (noch) auf dem gleichen Suchindex wie Bing, arbeitet mit den deutschen Kollegen von Ecosia aber an einer europäischen Alternative.
- Copilot soll, wenn es weiter so funktioniert, von Le Chat des französischen Unternehmens Mistral AI beerbt werden. Darauf basierte zuletzt auch Mozillas eigener KI-Assistent Orbit und mich hatte das damals schon relativ beeindruckt. Die Integration wäre simpel, denn für Android gibt es eine eigene App und am Desktop lässt sich Le Chat mittels der Webversion leicht in die Seitenleisten der meisten Browser einbinden.
- Bei den Browsern ist die Rückkehr von Vivaldi mittlerweile beschlossene Sache. Er wird Edge nicht als Standardbrowser ablösen und Firefox als Alternative nicht verdrängen, aber mir ist wichtig, dass der alternative Chromium-Browser mit Chrome nicht auch noch aus den USA kommt, auch wenn er ebenfalls weiterhin ab und an gebraucht wird.
- Die Synchronisation von Daten wird künftig aufgeteilt. Geschichten wie die Passwörter, wo ich mit KeePassXC und KeePassDX sowieso auf eine lokale Lösung setze, sollen Verbesserungen im lokalen Netzwerk bekommen, während OneDrive selbst auch als Lehre aus den Kontensperrungen während der Corona-Zeit weitgehend ausgemustert werden soll. Hier schwanke ich momentan noch, aber ein anderer Kollege hatte mich letzte Woche auf die Managed Nextclouds bei Hetzner aufmerksam gemacht, die für mich aus pragmatischer Sicht durchaus eine Überlegung wert sind. Fotos werden künftig aber so oder so nicht mehr in der Cloud gesichert.
- Die Collections von Microsoft Edge und das mittlerweile abgekündigte Pocket sollen einen gemeinsamen Nachfolger bekommen. Derzeit arbeite ich hier mit Behelfslösungen, indem ich einen Ordner in den Favoriten bei Microsoft Edge als „Leseliste“ missbrauche und auch die Speicherung in OneNote wieder ermöglicht habe. Die Wunschlösung wäre mit Readeck aber ein französisches Open Source-Projekt. Der Entwickler plant hier einen eigenen Webdienst, dann müsste man den auch nicht mehr selbst hosten.
- Bei den Betriebssystemen wird Windows wieder eine Linux-Distribution auf einer separaten Hardware zur Seite bekommen, wie ich das in einem anderen Beitrag schon mal angedeutet hatte. Momentan dürfte es auch auf einen deutschen Vertreter hinauslaufen, da mit Siduction (Debian Sid) und Manjaro Linux zwei hiesige Vertreter in der engeren Auswahl sind. Hier laufen aber noch Gespräche.
- Die Entwicklungsumgebung, wenn ich irgendwann auch mal wieder Zeit hierfür finde, wird von Microsoft entkoppelt und entsprechend GitHub Desktop durch einen neuen Git-Client ersetzt, wo es wohl auf den deutschen Vertreter Tower hinauslaufen wird. Das hat einfach den Hintergrund, dass ich problemlos alle möglichen SCM-Dienste auf Basis von Git ansprechen können möchte. Auch bei den IDEs kann ich mir einen grundsätzlichen Wechsel zum Portfolio von JetBrains aus Tschechien vorstellen, die nicht nur mehr Auswahl bieten, sondern auch unter Linux allesamt verfügbar sind. Einzig Visual Studio Code steht nicht zur Debatte, auch wenn ich Vim weiterhin parallel für kleine Sachen verwende.
Das sind nur die bereits beschlossenen Sachen, weitere sind momentan in Überlegung. Dazu gehören etwa ein eigenes NAS auf Basis von TrueNAS Core, wenn das wirtschaftlich vertretbar und insgesamt sinnvoll ist. Unter Android möchte ich zudem F-Droid zumindest wieder parallel nutzen, bei den Maildiensten denke ich weiterhin über Posteo nach und es kommen noch weitere Kleinigkeiten hinzu, aber das ist eben hier noch nicht spruchreif.
Ein Wechsel mit Augenmaß
Euch wird vielleicht auffallen, dass die bisher schon getroffenen Entscheidungen eher auf Randbereiche zielen und die großen Produkte wie Windows, Microsoft 365 oder die Xbox klar umschifft werden. Das ist tatsächlich auch volle Absicht, denn einen großen Bruch mit dem Microsoft-Ökosystem möchte ich nicht und bei allen Veränderungen werden die Überlegungen auch immer von Abwägungen begleitet. Insofern ist das Paket, was ich oben aufgelistet hatte, für mich schon ein großer Schritt, und jede nicht (mehr) benötigte Abhängigkeit, die man persönlich vertreten kann, ist die beste Abhängigkeit. Da ist jeder Mensch aber anders.
Einen anderen Aspekt berücksichtige ich dabei auch noch, der mit dieser Problematik aber wenig zu tun hat: meine Angststörung. Das ist ein Punkt, wo ich gegenüber Künstlicher Intelligenz tatsächlich auf Abstand gehe und deswegen wegen der Algorithmen nicht nur die Nutzung sozialer Medien zurückgeschraubt habe, sondern auch Nachrichtenportale wie MSN und Aggregatoren wie Feedly außenvor lassen möchte. Das ist nicht schön, wenn das Gedankenkarussell anspringt, und entsprechend suche ich hier maximale Kontrolle, indem ich ganz klassisch wieder mehr auf RSS und andere altgediente Technologien setzen möchte.
Wichtig ist mir vor allem, dass sich die Lösungen, die ich integrieren möchte, für mich gut anfühlen und für mich funktionieren, wenn ich mich mit größeren Veränderungen manchmal schon schwer tue. Für euch kann das natürlich was ganz anderes sein. Hinzu kommt noch, dass wir sowieso nicht alles beeinflussen können, etwa dass Vivaldi trotzdem auf Chromium aufbaut oder /e/ OS von Murena aus Frankreich eben doch eine Android-Distribution ist. Aber irgendwo muss man anfangen, wenn man etwas verändern möchte, und dass sowas möglich ist, seht ihr ja oben.
Geht da noch mehr?
Es gibt noch andere Wünsche, die ich gerne umsetzen würde, die derzeit aber nicht ganz so realistisch anmuten. Zum Beispiel kann ich mir ein zweites Smartphone mit /e/ OS durchaus vorstellen, brauche wegen der zunehmenden Digitalisierung, wie sie bei mir in der Eingliederungshilfe auch vorangetrieben wird, aber die Unterstützung vom normalen Android, weil ich Probleme wegen microG nicht riskieren möchte. Möglichen Veränderungen werden damit aus finanziellen oder strukturellen Gründen auch Grenzen gesetzt.
Plant ihr Veränderungen vor dem Hintergrund, dass Microsoft sich immer stärker aus dem Consumer-Geschäft zurückzieht und eine Diversifizierung zunehmend geboten ist? Schreibt es gerne in die Kommentare.
Über den Autor

Kevin Kozuszek
Seit 1999 bin ich Microsoft eng verbunden und habe in diesem Ökosystem meine digitale Heimat gefunden. Bei Dr. Windows halte ich euch seit November 2016 über alle Neuigkeiten auf dem Laufenden, die Microsoft bei seinen Open Source-Projekten und für Entwickler zu berichten hat. Regelmäßige Beiträge aus meinem digitalen Alltag sind auch dabei.
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