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#„Mein Vater ist dabei, aber immer weniger anwesend“

„Mein Vater ist dabei, aber immer weniger anwesend“

Oskar, wie würdest du deinen Vater beschreiben?

Julia Schaaf

Redakteurin im Ressort „Leben“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Er hat nie richtig viel geredet und war immer eher introvertiert. Sein Gefallen an Menschen hat er mehr durch Gesten gezeigt als durch Worte. Und ich weiß noch von früher sein großes biologisches Wissen, über Tiere, über die Natur.

Und wie ist er jetzt?

Jetzt hat er halt Alzheimer. Er vergisst viel. Und er ist generell negativer eingestellt. Am Anfang war er oft traurig. Jetzt ist er oft genervt. Ich weiß nicht, ob man das als Fortschritt sehen kann. Aber Reden ist ziemlich schwierig.

Versteht er dich?

Ich weiß es nicht. Seit ich mich frage, wie viel er versteht, könnte er die Frage danach nicht mehr beantworten.

Erzählst du ihm, wenn du heute nach Hause kommst, dass du in deinem ersten Spiel für den neuen Fußballverein ein Tor geschossen hast?

Das ist abhängig davon, wie ich drauf bin: ob ich gerade gut gelaunt bin und mit ihm reden will, ob ich lieber in mein Zimmer mag, ob mir langweilig ist.

Erkennt er dich noch?

Ja. Klar. Ich glaube, das ist noch ein bisschen hin.

Als dein Vater vor vier Jahren die Diagnose bekam, war er 54 Jahre alt, also ungewöhnlich jung. Du, der Älteste unter drei Geschwistern, warst elf. Hast du damals verstanden, was das für eine Krankheit ist?

Das kam eher über die Zeit.

Wie hat sich die Krankheit denn entwickelt?

Das erste Jahr konnte er noch fast alles. Es war ja nicht wie bei einem Autounfall, dass man von null auf hundert total eingeschränkt ist. Als Arzt musste er zwar kurz nach der Diagnose aufhören zu arbeiten, aber er hat noch ein Jahr lang bei Behinderten geholfen. Erst mit der Zeit hat man gemerkt, dass es auch körperlich anders wird. Nicht dass er heute keinen Ball mehr fangen könnte, er kann schon noch Dinge. Aber schlechter. Und es gibt immer mehr Situationen, in denen man ihm helfen muss. Dann findet er die Hundeleine nicht, oder man muss ihn zur Tür bringen. Und er hat nicht mehr so viel Charakter wie früher.

Wie kommt das?

Man vergisst halt auf allen Ebenen: Man vergisst, wie man als Mensch war. Man vergisst, wie man sich verhält vor Leuten. Außerdem denkt man, ich hab Alzheimer, ich bin lieber ruhig, sonst sage ich was Peinliches. Also sagt man lieber nichts. Oder man wird zur Bewältigung schlecht gelaunt, weil man lieber der Wütende ist als der Unsichere.

Gerade am Anfang hast du dir auch finanzielle Sorgen gemacht, stimmt’s?

Ja. Damals mit elf, wenn der Arzt auf einmal arbeitslos wird, der definitiv einen sehr hohen Anteil am Familieneinkommen hatte, ist man halt nervös. Aber das war wirklich am Anfang, als wir uns erst mal aufrappeln und wieder ins Gleichgewicht finden mussten.

Wie prägt die Krankheit euer Familienleben im Alltag?

Morgens frühstücken wir immer zu fünft. Und tagsüber ist er halt zu Hause. Wenn man von der Schule kommt, ist er da. Wenn man vom Sport kommt, ist er da. Wenn man von Freunden kommt, ist er da. Abends oder am Wochenende zwingt uns unsere Mutter oft, einen Film zu gucken als Familie oder ein Spiel zu spielen. Da ist er dann anwesend. Ob er teilnimmt, ist etwas anderes, aber er ist dabei. Das Unnormalste war tatsächlich einmal, als er weglief und die Polizei und unsere Freunde eine Nacht und einen Tag nach ihm gesucht haben. Inzwischen haben wir ihm vorsorglich einen Tracker um den Hals gepackt.

Was findest du das Fieseste an dieser Krankheit?

Sie macht allen ein schlechtes Gewissen, ihn eingeschlossen. Andere haben ein schlechtes Gewissen, dass sie frei denken und leben können, während es ihm so schlecht geht. Er hat ein schlechtes Gewissen, dass er nicht helfen kann.

Gibt es Momente, in denen du dir wünschst, es wäre anders?

Ich würde die Frage umformulieren: Gab es Momente, in denen ich das nicht dachte? Hm, vielleicht ein paar. Natürlich wünscht man sich, dass es anders wäre. Täglich.

Du hast ein Buch darüber geschrieben, wie das ist mit einem demenzkranken Vater, das ist über Kontakte deiner Mutter zustande gekommen. Du schreibst darin, dass du kaum über die Erkrankung deines Vaters redest. Warum nicht?

Nicht weil ich es verdrängen will, sondern so, wie manche nicht gern über Corona oder den Klimawandel reden. Es gibt da nichts Schönes zu sagen, und es läuft oft aufs Gleiche hinaus: Wie war er früher? Was soll man dagegen tun? Meine Freunde wissen größtenteils davon, aber ich rede lieber über Sport, Autos, Freunde, selbst Schule.

Andererseits lese ich in deinem Buch, das Schreiben habe dir gutgetan.

Das liegt auch daran, dass ich Schreiben generell cool finde, weil man in so einen Flow kommt. Das war eine coole Beschäftigung.

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