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#Meisterwerke für zwei Wodka

Meisterwerke für zwei Wodka

Das Moskauer Museum für Russischen Impressionismus, 2014 von dem Unternehmer und Mäzen Boris Minz gegründet, der 2018 nach London floh und auf den Russlands Strafverfolger einen internationalen Haftbefehl ausgeschrieben haben, hat sich dank einer engagierten Kuratorenmannschaft und neuer Geldgeber gleichwohl als eigenständiger Akteur des Kulturlebens etabliert. Derzeit präsentiert das Haus hochkarätige Gemälde aus der Umbruchzeit von Russlands Belle Époque und Jugendstil zur Avantgarde, die sowjetische Wissenschaftler, Ärzte, aber auch ein langjähriger Botschafter in Deutschland unter persönlichem Risiko zumeist nach dem Tod Stalins in ihren Wohnungen zusammengetragen hatten.

Die Bilder, die die Pracht einer untergehenden Hochkultur oder den Aufbruch in kühne formale Experimente feiern, verwandelten die Privaträume einiger das System stützenden und dabei insgeheim freigeistigen Intellektuellen zu einer Gegenwelt zur ideologiegetränkten Ödnis, die sie umgab. Für Besucher, die die späte Sowjetzeit, in der diese Sammlungen entstanden, nicht erlebt haben, vergegenwärtigt das Haus in einer Begleitschau die visuelle Welt der Breschnew-Epoche mit Fotos von Propagandaplakaten über verwahrlosten Baustellen und leeren Läden.

Kritik vom KP-Ideologiechef

Der heroische Wegbereiter dieser „Kunstjäger“ war der Gründer des Moskauer Tropinin-Museums Felix Wischnewski (1903 bis 1978), der als Experte in diversen Museen und staatlichen Ankaufstellen privat Kunst sammelte, erst Ende der zwanziger Jahre und dann nach dem Zweiten Weltkrieg verhaftet wurde, seine konfiszierten Bilder aber später zurückerlangen konnte. Zeitgenossen beschrieben den leidgeprüften Wischnewski als stets schäbig gekleidet, doch soll er immer Geld für Kunstkäufe dabei gehabt haben. Auch der Leningrader Petrochemiker Igor Afanasjew (1904 bis 1969), der im Strafgefangenenlabor, einer sogenannten Scharaschka, Gefrierschutzmittel für das Militär entwickelte und nebenher Kunst sammelte, wurde zweimal verhaftet, im Säuberungsjahr 1937 und dann noch einmal 1949, wobei das zweite Mal ein Freund und Treuhänder immerhin Afanasjews Sammlung für ihn versteckte und sie ihm nach der Freilassung zurückgab.

Nikolai Rerich, „Der Weg der Waräger“, 1907



Bilderstrecke



Formale Experimente
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Gemälde aus der Umbruchzeit von Russlands Belle Époque und Jugendstil zur Avantgarde

Der Diplomat und Botschafter in Ost- wie Westdeutschland, Wladimir Semjonow (1911 bis 1991), den Stalins Außenminister Wjatscheslaw Molotow als „unseren Gauleiter in Deutschland“ lobte, der aber auch Russlands Beutekunstrückgabe der fünfziger Jahre in die DDR einfädelte, erwarb privat Bilder von Aristarch Lentulow, Michail Larionow und Kasimir Malewitsch. Als Semjonow unter Leonid Breschnew als Botschafter in Westdeutschland stationiert war, zeigte er im Kölner Ludwig-Museum Avantgardewerke aus seiner Sammlung, wofür ihn der KP-Ideologiechef Michail Suslow heftig kritisierte.

Die Vergänglichkeit jeden Besitzes

Die sowjetischen Sammler waren keine Investoren in Kunst, sondern Meister des Überlebens und der Anpassung in einer Situation, da ihnen der Kunsterwerb als strafbare „Spekulation“ oder als Diebstahl am Nationaleigentum ausgelegt werden konnte. Für Künstler, die offiziell als „Formalisten“ geschmäht wurden, wie den Cézannisten Robert Falk oder den Orientmaler Pawel Kusnezow, bedeuteten die privaten Ankäufe indes bescheidene Einkünfte in bitterster Armut. Nach heutigen Maßstäben wurden Spottpreise gezahlt, erinnert sich der einzige überlebende Sammler, der 76 Jahre alte Valeri Dudakow. Zeichnungen von Natalja Gontscharowa und Larionow habe er für jeweils acht Rubel, den Preis für zwei Flaschen Wodka, erstanden, so Dudakow. Lentulow-Gemälde hätten tausend Rubel gekostet. Sein teuerster Erwerb sei mit 9000 Rubel das kubistische Bild „Straßenbahn“ mit Passanten, die sich in Buchstaben und Zahlen verwandelten, des Ukrainers Alexander Bogomasow (1880 bis 1930) gewesen. Eine Herausforderung habe auch darin bestanden, berichtet Dudakow, dass die raren Werke Bogomasows auf dem Schwarzmarkt zugleich mit zahlreichen zeitgenössischen Fälschungen angeboten wurden.

Außer den Kauf einer Fälschung, der bei Afanasjew den frühen Herztod herbeigeführt haben soll, mussten die Sammler auch Raubüberfälle fürchten. Als dem Kunst sammelnden Agrophysikprofessor Abram Tschudnowski um 1980 zwanzig Bilder gestohlen wurden, wandte er sich an seinen Sammlerkollegen, den armenischstämmigen Urologen Aram Abramjan (1898 bis 1990), der Stalin und später Breschnew sowie dessen Innenminister Schtscholokow behandelte. Dank Abramjans Beziehungen zu solchen Patienten wurden die Diebe gefunden, und Tschudnowski bekam die Hälfte der vermissten Bilder zurück. Abramjan gelang es im Alter, in Jerewan ein staatliches Museum für seine Sammlung zu organisieren. Doch in den meisten Fällen, auch in dem des legendären Orientforschers Igor Sanowitsch (1923 bis 2010), der zu Fuß ging, um Geld für die Kunst zu sparen und sein berühmtestes Bild, den „Kameltreiber“ des georgischen Primitivisten Niko Pirosmani auf Pump erwarb, wurden die Bilder nach ihrem Tod von den Erben verkauft. So erinnert die Museumsschau nicht nur an die Kulturleistung der Sammler, sondern auch an die Vergänglichkeit jeden Besitzes.

Kunstjäger / Ochotniki sa iskusstwom. Im Museum für Russischen Impressionismus, Moskau; bis zum 29. August. Der informative russischsprachige Katalog kostet 25 Euro.

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