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Nachhaltigkeit im Fußball: Vorbildverein Vorwärts Spoho 98

Philipp Lahm, Fußballweltmeister von 2014, hat in seinem Leben schon viele Pokale und Preise entgegen genommen. Doch die Ehrung, die er Ende November in Düsseldorf erhielt, war dann auch für ihn etwas Besonderes. In seiner Rolle als Turnierdirektor der Europameisterschaft 2024 nahm Lahm den Deutschen Nachhaltigkeitspreis in Empfang.

Für ihr Bestreben, mit der EM neue Maßstäbe für die nachhaltige Organisation eines Sportevents zu setzen, erhielt die Euro 2024 den Sonderpreis. Im Schatten der Fußballprominenz fand bei der Veranstaltung in Düsseldorf aber auch der Amateursport eine Bühne. Mit dem Kölner Fußballverein Vorwärts Spoho 98 ging in der Kategorie Sportverbände und -vereine eine Ehrung an einen Amateurklub. Der Verein weiß nicht nur darüber zu berichten, wie der Umschwung zu mehr Nachhaltigkeit auf Amateurebene funktioniert, sondern auch, welche Hürden es dafür gibt.

Begonnen habe alles im Jahr 2021 während der Einschränkungen für den Sport in der Corona-Krise. Zur gleichen Zeit habe man sich mit dem Bau einer neuen Sportanlage beschäftigt, erinnert sich Vorstandsmitglied Lea Wippermann. Die Anlage befindet sich in einem Landschaftsschutzgebiet, und entsprechend ist die ökologische Situation vor Ort besonders sensibel.

Philipp Lahm gewann als Turnierdirektor der Europameisterschaft 2024 den Deutschen Nachhaltigkeitspreis.
Philipp Lahm gewann als Turnierdirektor der Europameisterschaft 2024 den Deutschen Nachhaltigkeitspreis.dpa

Beim Bau der Flutlichtanlage ist Rücksicht auf Fledermäuse zu nehmen, beim Bau eines Zauns auf Wildschweine, und wenn das Areal auch komplett autofrei gestaltet ist, sind wandernde Kröten trotzdem ins Kalkül zu ziehen. Das coronabedingte Aussetzen des Spielbetriebs habe den Raum dafür gegeben, sich intensiv mit Themen des Naturschutzes zu beschäftigen, blickt Wippermann zurück. Aus ersten Gesprächen und einem vereinsinternen Treffen wurde daraus die AG für Nachhaltige Entwicklung. Heute ist Wippermann nicht nur zweite Vorsitzende des Vereins, sondern auch dessen Nachhaltigkeitsbeauftragte.

Umschwung hat mit Mindset zu tun

Die AG durchleuchtet Abläufe und Gegebenheiten im Verein und erörtert im Turnus von etwa zwei Monaten, wo er noch nachhaltiger werden kann. Nach dem FC Internationale Berlin 1980 ist Vorwärts Spoho der zweite deutsche Amateurklub, der 2022 nach dem sogenannten ZNU-Standard als nachhaltig wirtschaftender Verein zertifiziert wurde. „Wir schauen uns das Geschehen ganzheitlich an, um Nachhaltigkeit in allen Prozessen mitzudenken und zu leben“, erklärt Wippermann den Ansatz.

Dabei ist eine Erkenntnis: Der Umschwung zu mehr Nachhaltigkeit hat vor allem mit dem Mindset zu tun und erfordert einen Bewusstseinswandel. Oft klagten gerade ehrenamtlich geführte Vereine über fehlendes Geld oder zu knappe zeitliche Ressourcen, um nachhaltiger werden zu können. Wippermann hält dagegen: „An vielen Stellschrauben kann man auch ohne große Finanzmittel und ohne konstant hohen Zeitaufwand drehen.“

Der grünste Verein Kölns: Vorwärts Spoho 98
Der grünste Verein Kölns: Vorwärts Spoho 98Vorwärts Spoho Köln

Es sei vor allem Alltägliches, das den Weg zu mehr Nachhaltigkeit ebne: zum Beispiel die Umstellung der Beleuchtung auf energieeffiziente LED-Technik, der Einsatz von Mehrweglösungen anstelle von Einweggeschirr beim Catering an Spieltagen, die Füllung des Kunstrasenplatzes mit Sand statt künstlichem Granulat, der Bezug von Getränken und Speisen aus regionaler Produktion oder der Einsatz einer Intervallschaltung in der Dusche, mit der sich der Wasserverbrauch reduzieren lässt.

Ein augenfälliges Projekt bei Vorwärts Spoho ist die interne Tauschbörse für Sportbekleidung: Um den Lebenszyklus der Kleidungsstücke zu verlängern, verzichten sie hier auf den Aufdruck von Nummern oder Kürzeln – das vereinfacht die spätere Weitergabe. Und natürlich stammen die Sportbekleidung und die Bälle des Vereins aus fairem Handel.

„Alle trainieren unter gleichen Bedingungen“

Einen starken Fokus legt Vorwärts Spoho auf soziale Nachhaltigkeit. Mit seinem Wirken verknüpft der rund 850 Mitglieder große Verein, der 1998 im Umfeld der Deutschen Sporthochschule Köln entstand, die Vermittlung liberaler Werte und stellt sich gegen Diskriminierung. Sein diesbezügliches Leitbild ist unter anderem in einer Vereinsphilosophie und in einem Ethikkodex, die sich beide auf die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen berufen, festgehalten.

Etwa gibt es, damit alle gleichberechtigt am Vereinsgeschehen teilhaben können, einen Fördertopf, der weniger gut betuchte Mitglieder bei kostspieligen Reisen ins Trainingslager unterstützt. Eine Frauenquote brauchen sie bei Vorwärts Spoho nicht. Insgesamt sind 28 Jugendmannschaften im Spielbetrieb, der Mädchenfußball boomt, es gibt Wartelisten. Und unter den fünf Erwachsenenmannschaften spielen drei Frauenteams. „Gleichberechtigung war nie ein Thema bei uns, alle trainieren selbstverständlich unter gleichen Bedingungen“, sagt Wippermann.

Auf seiner Suche nach Partnern und Sponsoren profitiere der Verein durchaus von seiner klaren Positionierung: „Wir merken, dass es für manche Unternehmen attraktiv ist, uns in dem Engagement zu unterstützen.“ In einen Konflikt zwischen dem möglicherweise fragwürdigen Nachhaltigkeitsprofil eines potentiellen Partners und den eigenen Werten und Ansprüchen ist man laut Wippermann bislang noch nicht geraten. Für seine Nachhaltigkeitsarbeit erfährt Vorwärts Spoho aber nicht nur Zuspruch.

Besonders die Eckfahnen in Regenbogenfarben sorgen bisweilen für emotionale Reaktionen. Der Regenbogen gilt sowohl als Zeichen für Vielfalt und Toleranz als auch als Symbol der queeren Bewegung. „Das hat viele Diskussionen ausgelöst“, berichtet Wippermann, „und offenbar triggern die Farben viele im Fußball.“ Vor allem bei Spielen der Herren kommt es bisweilen zu homophoben Pöbeleien, sogar Übergriffen, und beim Torjubel der Gegner wird auch schon mal die Eckfahne umgetreten und bespuckt.

„Das verläuft ohnehin im Sand“

Eigentlich wollen die Verbände derartigen Vorfällen auf den Sportplätzen einen Riegel vorschieben. Im regionalen Fußballverband gibt es sogar eine „Zen­trale Anlaufstelle für Gewalt-, Diskriminierungs- und Extremismusvorfälle“, an die solche Ereignisse gemeldet werden sollen. Sie hätten einige Vorfälle vorgebracht – geschehen sei allerdings nichts, meint Wippermann dazu. Lediglich in einem Rassismusfall, den sie später auch an den Deutschen Fußball-Bund (DFB) herangetragen habe, sei erst nach der Kommunikation mit dem DFB ein Verfahren in Gang gesetzt worden. Das habe mit einer Sanktion des betroffenen Spielers, nämlich einer Sperre für einige Spiele, geendet.

Auf Nachfrage der F.A.Z. weisen die zuständigen Verbände die Kritik der Untätigkeit von sich. Der Fußball-Verband Mittelrhein erklärt, dass die Anlaufstelle in der Zuständigkeit des Westdeutschen Fußballverbands liege. Der wiederum behauptet, dass ihm bezüglich der angesprochenen Vorfälle „keine konkreten Meldungen“ über die Anlaufstelle vorlägen. Weiter teilt er mit: „Selbstverständlich nehmen wir jede Form von Diskriminierung und Gewalt im Fußball sehr ernst und bearbeiten gemeldete Vorfälle.“

Wippermann hingehen ist ernüchtert: Zuletzt habe der Verein meist darauf verzichtet, Vorfälle überhaupt an den Verband zu melden. „Das verläuft ohnehin im Sand“, meint sie. Zwar sei der Austausch zwischenzeitlich wieder angelaufen. Doch was Nachhaltigkeit angehe, stünden der Amateurfußball und seine Verbände noch vor großen strukturellen Aufgaben.

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