Nachts über den Polarkreis – so ist die Fahrt mit dem Nachtzug von Stockholm nach Narvik
Inhaltsverzeichnis
Dasselbe rhythmische Tsch-Tschik, Tsch-Tschik, Tsch-Tschik, das mich in den Schlaf gelullt hat, weckt mich auch sanft wieder auf. Ich schiebe die Gardine vor dem Fenster meines Zugabteils zur Seite und spähe hinaus in die Landschaft. Bis zum Horizont rollende weiße Hügel, die Schneedecke nur durchbrochen von den Gestalten blattloser Birken und grüner Tannen. Eine Welt, die mir völlig fremd ist. Ich sitze – pardon, liege – im Nachtzug von Stockholm nach Narvik. Eine unglaubliche Fahrt, die dich in gut 19 Stunden von der quirligen schwedischen Hauptstadt hinauf in den hohen Norden Norwegens bringt – und dabei den Polarkreis überquert! Diese epische Nachtzugreise war einer der Abschnitte meines Interrail-Trips durch Skandinavien, auf die ich mich am meisten gefreut hatte.
Auf in den Norden
Am vorherigen Abend stand ich voller Vorfreude an der Stockholm Central Station und erwartete die Einfahrt des SJ Nachtzugs. Der Bahnhof war voller Menschen. Entweder hielten sie Langlaufskier im Arm oder zogen Schlitten über den Bahnsteig, voll beladen mit Expeditionsausrüstung. Die Strecke führt beinahe die gesamte schwedische Ostküste hinauf. Der Zug passiert die Küstenstädte Sundsvall und Umeå, bevor er auf der Höhe von Luleå, unweit der finnischen Grenze, landeinwärts abbiegt. Hier beginnt die anspruchsvolle Etappe nach Kiruna bis weiter über die norwegische Grenze nach Narvik.
Bei der Buchung des Nachtzugs von Stockholm nach Narvik hast du die Wahl: Entweder nimmst du einen günstigen Sitzplatz oder buchst dir ein Bett in einem Sechser-Liegeabteil der zweiten Klasse. Oder du gönnst dir den Komfort eines geräumigen Schlafabteils der ersten Klasse. Bei einer fast 20-stündigen Fahrt wollte ich zumindest liegen können – und so machte ich mich auf die Suche nach meinem Platz in einem Frauen-Liegeabteil. Kaum hatte ich die richtige Tür gefunden, begann einer meiner liebsten Parts jeder Nachtzugreise: das Plaudern. Über das Woher, Wohin und Warum mit den Menschen, die für eine ganze Nacht zu deinen Weggefährt*innen werden.
Über Nacht in die Arktis
Beim Sonnenaufgang des nächsten Morgens befinden wir uns bereits in Boden. Leise packe ich meine Sachen zusammen und schleiche mich aus dem Abteil, um keinen Moment unserer Fahrt durch Lappland zu verpassen. Ich mache mich auf den Weg zum Bordbistro, wo ich am Abend zuvor bereits ein wunderbares Abendessen gegessen habe. Es gab eine große Auswahl an Essen und Getränken – von Hähnchenbrust bis zu veganer Pasta, vom Rosé bis zum alkoholfreien IPA. Die Stimmung war ganz wunderbar: Das Personal konnte wegen eines Internetproblems nichts abrechnen, aber anstatt das Bistro zu schließen, haben sie einfach alles ausgegeben und die Passagier*innen gebeten, später zum Bezahlen wiederzukommen. So geht skandinavische Gastfreundschaft!
Doch nun erwartet mich eine Überraschung: Der Speisewagen ist nicht mehr derselbe! Irgendwann in dieser Nacht, irgendwo auf dem mittelschwedischen Streckennetz, wurde der schwedische Waggon gegen einen norwegischen getauscht – was mich in meinem schlaftrunkenen Zustand ganz schön verwirrt. Schließlich suche ich mir mit einem Kaffee einen Platz und genieße zusammen mit anderen Reisenden aus ganz Europa – und sogar Kanada! – stillschweigend den Sonnenaufgang vor unseren Zugfenstern.
Über den Polarkreis und nach Norwegen
Kurz nach sieben überquert unser Zug fast unbemerkt den Polarkreis, und gegen neun erreichen wir Kiruna – die nördlichste Stadt Schwedens. Um gleich bei den Superlativen zu bleiben: Die Zugstrecke zwischen Luleå und Narvik ist die nördlichste Bahnverbindung Europas und wird auch Ofotenbahn genannt. Sie wurde 1902 eröffnet, um das schwedische Erzabbaugebiet mit dem eisfreien Hafen in Narvik zu verbinden – eine Meisterleistung der Ingenieurskunst, insbesondere angesichts der harschen Bedingungen und der schwierigen Landschaft. Ab Kiruna verwandeln sich die sanften Hügel dann nach und nach in richtige Berge.
Langsam nähert sich der Nachtzug von Stockholm nach Narvik dem Ende seiner Fahrt. Wir passieren den wunderschönen und riesigen Torneträsk-See, der sich schneebedeckt bis zu den Berggipfeln am Horizont erstreckt. Dann beginnt sich Unruhe im Zug breit zu machen, denn wir erreichen Abisko, wo ein Großteil der Reisenden aussteigt. Der kleine Ort – kaum mehr als eine Bergstation – ist nämlich Ausgangspunkt für Expeditionen in den Abisko-Nationalpark. Ein Lebenstraum vieler Arktis-Fans.
Ankunft in Narvik
Die verbleibenden eineinhalb Stunden habe ich den Zug fast für mich allein. Ich trinke noch einen Kaffee und genieße die Ruhe in meiner Kabine. Später wage ich sogar einen Abstecher in die schicken Abteile der ersten Klasse. Doch die meiste Zeit haftet mein Blick an der Landschaft, die draußen vorbeizieht. Nach jeder der zahlreichen Tunneldurchfahrten öffnet sich eine ganz neue Aussicht auf diese magische Bergwelt. Dass diese Strecke, die sich an den steilen Berghängen festzukrallen scheint, bereits vor über 100 Jahren gebaut wurde, beeindruckt mich zutiefst. Pünktlich um 12:45 Uhr erreichen wir Narvik – und damit einen weiteren Superlativ: den nördlichsten Bahnhof Europas.
Alle Infos zum Nachtzug von Stockholm nach Narvik
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