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#Können diese Augen lügen?

Können diese Augen lügen?

Die sehr körperliche HBO-Serie „The Undoing“ mit ihrem Ausnahmeensemble (Nicole Kidman, Hugh Grant und Kiefer Sutherland) schenkt ihre größte Aufmerksamkeit – den Augen. Zwar spielt die Pandemie in dieser Produktion keine Rolle, aber selbstverständlich kommt dem auffälligen Fokus in einer Zeit, in der die untere Gesichtshälfte mit einer Maske bedeckt ist, weshalb nun allein die Augen Gefühle ausdrücken müssen, besondere Bedeutung zu. In den Bildern des Kameramanns Anthony Dod Mantle füllen sie mitunter die gesamte Bildfläche – sind aber, selbst wenn sie Nicole Kidman gehören, oft matt, gerötet oder geschlossen. Eine Brille trägt niemand. Die Augen stehen hier für das Verhältnis von Wahrnehmung, Wissen und Realität. Wer die Augen vor etwas verschließt, kann dessen Bild auslöschen, nicht aber seine Existenz. Dennoch, das zeigt die Serie, lässt sich eine Sache leugnen, obgleich einem die Bilder klar vor Augen stehen.

Axel Weidemann

Hier werden alle getäuscht, Figuren und Zuschauer. Das beginnt mit der Auftaktfolge, der ein Prolog vorangestellt ist, der mit zwei Fragen alles erzählt: „Wo ist sie?“ und „Warum kommt sie nicht wieder?“ Eingerahmt wird der Prolog vom Titelsong „Dream a Little Dream of Me“ (gesungen von Kidman) und einem beinahe schamlosen Einsatz von Vivaldi und Tschaikowsky. Vorhang auf: Manhattaner Oberschicht, das Ehepaar Grace (Nicole Kidman) und Jonathan Fraser (Hugh Grant), sie Psychotherapeutin, er Kinderonkologe; beide pflegen liebevollen Umgang mit ihrem Sohn Henry (Noah Jupe); der spielt Violine und geht auf eine Privatschule, die im Jahr 50.000 Dollar kostet. Damit aber den Portemonnaies der Eltern nicht langweilig wird, plant die „Reardon School“ eine Wohltätigkeitsauktion, deren Teilnehmer auflaufen, als seien es die Oscars, und auf der das Gebot für ein Glas Wasser bei tausend Dollar beginnt.

Im Zentrum des Sturms aus Gefühl und Verdacht

Bei einem Vorbereitungstreffen der Mütter trifft Grace auf die junge Elena (Matilda De Angelis), die neu und fremd in diesen Kreisen ist, da ihr Sohn ein Stipendium bekommen hat. Sie bringt ein Baby mit und säugt es demonstrativ am Tisch. Graces Freundinnen, die die Damen aus „Sex and the City“ zum Frühstück verspeisen würden, finden die Neue verdächtig. Auch, da man sie mit einem Buch auf einer Bank gesehen hat: „Das ist New York – hier sitzt du nicht einfach rum, du bist wahnsinnig beschäftigt.“ Derart sind die Dialoge zu Beginn, selbst wenn nur Schauspieler, die reiche New-Yorker spielen, so sprechen. Raffiniert ist, dass sich im vermeintlich humorigen Schlagabtausch eine zweite Ebene verbirgt, die sich erst durch das spätere Geschehen erschließt und Szenen komplett umdeutet. Ob er wolle, fragt Grace ihren Mann, dass sein Sohn in einer Blase aufwächst? Er: „Ich dachte, das wäre die Essenz moderner Elternschaft, sie so lange wie möglich vor der Realität zu schützen, so dass sie, wenn sie endlich da raus sind, nicht zurechtkommen und sich selbst verletzen.“

Das ist einer dieser elegant inszenierten Momente, in denen die Serie mit Schwung von der Woody-Allen-Avenue in die David-Lynch-Street abbiegt. Wiederholt trifft Grace auf Elena: splitternackt und leicht übergriffig in ihrem Fitnessstudio und später mit verlaufenem Kajal auf der Damentoilette während der Schul-Auktion. Grace bietet der aufgewühlten Frau Hilfe an. Später wird Elena tot in ihrem Atelier gefunden, ihr Gesicht mit einem Hammer zerstört.

Da sind Vivaldi und Tschaikowsky längst verstummt. Die Stille wird nur durch raunend gestrichene Bässe durchbrochen. New York verwandelt sich, zeigt im Zwielicht, in dem Ampeln und Laternen wie die Augen eines uralten Wesens funkeln, seine hässliche Fratze. Regisseurin Susanne Bier und Autor David E. Kelley, die sich Jean Hanff Korelitz’ Buch „You Should Have Known“ zur Vorlage gewählt haben, lösen sich klug davon, indem sie ihr Publikum ständig auf falsche Fährten locken und mit unserer Ahnung spielen. Plötzlich verschwindet Jonathan spurlos. In seinem Krankenhaus heißt es, er arbeite nicht mehr dort. Der NYPD-Ermittler Joe Mendoza (Édgar Ramírez) hat allerdings mehr Interesse an Grace – auch das hat seine Gründe, die meist am Ende der Serie als geschickt inszenierter Cliffhanger auftauchen – dann, wenn die Musik wieder einsetzt.

Das schauspielerische Ensemble schafft es, den Zuschauer ins Zentrum des Sturms aus Gefühl und Verdacht zu tragen, als schlüpfe er selbst in die jeweils angesprochene Figur. Auch die Art, wie der Weichzeichner Grad um Grad aus Bildern verschwindet und man den Figuren dabei zusieht, wie sie an plötzlich offenbarten Geheimnissen binnen Sekunden altern, ist große Kunst. Fragen nach dem Empfinden von Kindern im Angesicht des Verbrechens klammert das Drehbuch nicht aus, sondern stellt sie bewusst in den Vordergrund. Zentral aber bleibt die Frage, was mit einem Menschen im Ausnahmezustand passiert, für den jeder Ratschlag auf folgenden Befehl hinausläuft: Höre auf, zu lieben! Nur lassen sich weder Tod noch Liebe rückgängig machen. Das muss man gesehen haben.

The Undoing, montags, 20.15 Uhr, Sky Atlantic.

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