Neue Obergrenze für die Neutrinomasse

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Neutrinos sind für unsere Kosmologie wichtige Elementarteilchen. Doch noch immer sind einige grundlegende Fragen zu diesen Teilchen ungeklärt – unter anderem ihre genaue Masse. Jetzt ist es Physikern am KATRIN-Experiment in Karlsruhe gelungen, die Obergrenze für die Neutrinomasse weiter einzugrenzen. Anhand der beim Betazerfall von Tritium gemessenen Energien ermittelten sie, dass das Neutrino weniger als 0,45 Elektronenvolt wiegen muss – das ist weniger als ein Millionstel der Masse eines Elektrons. Weil dieses Messergebnis unabhängig von Vorannahmen und kosmologischen Modellen ist, hilft es dabei, mögliche Effekte dieser Elementarteilchen auf grundlegende physikalische Prozesse weiter einzugrenzen.
Neutrinos gehören zu den häufigsten und zugleich rätselhaftesten Teilchen unseres Universums. Denn diese nicht geladenen Elementarteilchen wechselwirken kaum mit Materie, haben so gut wie keine Masse und kommen in drei Sorten vor: als Elektron-, Myon- und Tau-Neutrinos. Nach dem Standardmodell der Teilchenphysik müssten Neutrinos eigentlich masselos sein. Doch Physiker haben schon vor längerer Zeit eine Eigenheit der Neutrinos entdeckt, die dem widerspricht: Die Elementarteilchen können buchstäblich im Flug ihr „Flavor“ wechseln und sich in eine der anderen Sorten umwandeln. Aus dieser Neutrino-Oszillation ergibt sich jedoch, dass Neutrinos entgegen ursprünglichen Annahmen doch eine Masse besitzen müssen. „Die Oszillationen identifizieren die Flavor-Zustände der Neutrinos als Überlagerungen ihrer Massenzustände“, erklärt die KATRIN-Kollaboration. Anders ausgedrückt: Jede der drei Neutrinosorten besitzt eine winzige, aber für sie charakteristische Masse, aus deren Kombination sich die Gesamtmasse des Teilchens ergibt.

„Energielücke“ verrät die Neutrinomasse
Das Problem jedoch: Weil Neutrinos kaum mit Materie interagieren, lässt sich ihre Masse nicht direkt messen. Es geht jedoch indirekt – unter anderem mit dem Experiment KATRIN (KArlsruhe TRItium Neutrino Experiment). In dieser 70 Meter langen Anlage messen Physiker den Betazerfall von radioaktivem Tritium. Bei diesem Zerfall werden ein Elektron und ein Antineutrino frei. Bekannt ist, dass dabei eine Gesamtenergie von 16.800 Elektronenvolt freigesetzt wird. Diese verteilt sich anteilig auf die beiden Teilchen. Aus der Maximalenergie des Elektrons lässt sich daher ermitteln, welchen Energieanteil das Neutrino hat – und nach Einsteins berühmter Formel E=mc2 ergibt sich daraus auch die Masse des Teilchens. „Anders als andere Methoden ist dieser Ansatz unabhängig von kosmologischen Modellen und der Neutrinonatur“, erklären die Physiker der KATRIN-Kollaboration. „Diese Modellunabhängigkeit macht KATRIN für die Teilchenphysik und Kosmologie so wertvoll.“ Schon in zwei früheren Auswertungen der KATRIN-Ergebnisse gelang es dem Team, die Massenobergrenze des Neutrinos einzugrenzen, auf zuletzt knapp 0,8 Elektronenvolt. Das Neutrino hat demnach weniger als ein Milliardstel der Masse eines Protons.
Jetzt haben die Physiker der KATRIN-Kollaboration ein neues, noch genaueres Ergebnis veröffentlicht. Es beruht auf fünf Messkampagnen, die zwischen März 2019 und Juni 2021 durchgeführt wurden. An den insgesamt 259 Messtagen analysierte das Team die Energie von rund 36 Millionen energiereichen Elektronen aus dem Betazerfall des Tritiums – sechsmal mehr als beim letzten Ergebnis. Zusätzlich profitieren die Messungen von technischen Optimierungen der Anlage, die die Sensitivität von KATRIN für die effektive Antineutrinomasse um den Faktor zwei erhöhen, wie das Team berichtet. Parallel dazu ließen sich Störeffekte und Unsicherheiten verringern. Dies hat es ermöglicht, die Obergrenze für die Neutrinomasse noch einmal weiter einzugrenzen. „Auf Basis unserer besten Resultate erhalten wir eine Obergrenze von m
Messungen laufen noch bis Ende 2025 weiter
Noch ist dies aber nicht das letzte Wort: Das KATRIN-Experiment wird noch bis Ende 2025 weiterlaufen und soll dann 1000 Messtage erreicht haben. Die finale Auswertung dieser Messungen könnte dann mehr als fünfmal so viele Werte umfassen wie das jetzige Ergebnis. „Auf Basis der aktuellen Betriebsbedingungen erwarten wir, dass wir eine finale Sensitivität besser als 0,3 Elektronenvolt erreichen können“, schreiben die Physiker. Dies könnte dabei helfen, sich der tatsächlichen Masse dieses schwer zu fassenden Elementarteilchens noch weiter anzunähern. „Wenn man die Masse der Neutrinos wüsste, dann würde man fundamentale Fragen in der Kosmologie, der Astrophysik und der Teilchenphysik beantworten können“, erklärte Hamish Robertson von der University of Washington lässlich des vorhergehenden KATRIN-Ergebnisses. Denn diese „Geisterteilchen“ könnten eine wichtige Rolle für noch unerklärte kosmische Phänomene spielen – vom mysteriösen Ungleichgewicht zwischen Antimaterie und Materie über „neue Physik“ jenseits des Standardmodells bis hin zu den noch unbekannten Teilchen der Dunklen Materie.
Quelle: KATRIN Collaboration (Karlsruhe), Science, doi: 10.1126/science.adq9592
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