Wissenschaft

#Pausenlos aufmerksam?

Nimmt unsere Aufmerksamkeit ab, wenn wir lange Zeit am Stück eine monotone, aber aufmerksamkeitsfordernde Aufgabe erledigen? Nicht unbedingt, zeigt eine Studie. In Versuchen mit 360 Radiologen, die zahlreiche Mammografie-Aufnahmen hintereinander auf Anzeichen von Brustkrebs untersuchen sollten, stellte sich heraus, dass ihre Genauigkeit mit der Zeit nicht abnahm. Im Gegenteil: Die Zahl der falsch-positiven Befunde ging sogar zurück. Den Forschenden zufolge sprechen die Ergebnisse dafür, Experten für solche Aufgaben eine freie Einteilung ihrer Arbeits- und Pausenzeiten zu ermöglichen, statt ihnen wie bisher üblich feste Vorgaben zu machen.

Millionen von Frauen lassen sich Jahr für Jahr beim Mammographie-Screening auf frühe Anzeichen von Brustkrebs untersuchen. Bei etwa einer von tausend Frauen übersehen die Radiologen, die die Aufnahmen auswerten, krankhaft verändertes Gewebe in der Brust. Zugleich erhält fast jede zehnte Frau einen falsch-positiven Befund und muss zur Abklärung weitere Untersuchungen über sich ergehen lassen. Um die Genauigkeit zu verbessern, schreiben viele Einrichtungen ihrem radiologischen Personal vor, nicht zu lange am Stück Aufnahmen zu befunden. Denn frühere Laborstudien haben nahegelegt, dass die menschliche Aufmerksamkeit nach etwa 30 bis 45 Minuten konzentrierter, aber monotoner Arbeit rapide nachlässt.

Forschung im realen Umfeld

„Seit über 70 Jahren nimmt man an, dass Menschen bei zunehmender Dauer von Suchaufgaben mehr Fehler bei der Erkennung machen und länger brauchen“, schreibt ein Team um Sian Taylor-Phillips von der University of Warwick in Großbritannien. „Die Studien dazu wurden allerdings fast alle im Labor durchgeführt und die Übertragbarkeit auf reale Szenarien ist fraglich.“ Dennoch haben sich die Ergebnisse in Richtlinien zur Arbeitsaufteilung zahlreicher Berufsgruppen niedergeschlagen, darunter dem Flughafenpersonal bei der Gepäckkontrolle, Militärkräften bei der Satellitenüberwachung, und Radiologen, die Röntgen- oder MRT-Aufnahmen befunden.

Um zu überprüfen, ob die Annahme der sinkenden Aufmerksamkeit tatsächlich in einem realen Kontext zutrifft, werteten Taylor-Phillips und ihr Team die Ergebnisse von 360 Radiologen aus, die insgesamt mehr als eine Million Mammographie-Aufnahmen auf Anzeichen von Brustkrebs untersucht hatten. Dabei berücksichtigten die Forschenden jeweils, wie lange am Stück die medizinischen Experten bereits Bilder befundet hattet, wie lange sie pro Bild brauchten, wann sie Pausen einlegten und wie genau ihre Bewertungen waren. Bis zu zwei Stunden lang befundeten die Teilnehmenden bis zu 200 Mammographie-Aufnahmen hintereinander.

Weniger falsch-positive Befunde

Das Ergebnis: „Wir beobachteten keine Anzeichen abnehmender Aufmerksamkeit. Eine Arbeitsdauer von mehr als einer Stunde ohne Pause führte eher zu einer Verbesserung der Gesamtgenauigkeit als zu einer Verschlechterung“, berichtet das Team. „Dies war auf eine Verringerung der falsch-positiven Befunde zurückzuführen, also falsche Alarme, bei denen eine Frau ohne Krebs fälschlicherweise zu weiteren Tests bestellt wird, was ihr Angst macht und erhebliche Ressourcen verbraucht.“ Die Rate an übersehenen Anzeichen für Krebs erhöhte sich dagegen nicht. Nach einer Pause erhöhte sich die Anzahl der falsch-positiven Befunde wieder, wobei kürzere Pausen einen schwächeren Effekt hatten als längere.

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass nicht die Aufmerksamkeit der Radiologen nachlässt, sondern sie mit der Zeit eine höhere Schwelle anlegen, ab wann sie eine Auffälligkeit im Brustgewebe als so verdächtig einstufen, dass sie die entsprechende Patientin zu weiteren Untersuchungen einbestellen. Zudem stellten Taylor- Phillips und ihr Team einen weiteren Vorteil längerer ununterbrochener Arbeitsphasen fest: „Zusätzlich dazu, dass die Experten genauer wurden, trafen sie ihre Entscheidungen auch schneller, je mehr Mammographie-Aufnahmen sie schon seit ihrer letzten Pause untersucht hatten“, berichten sie.

Genauer und schneller

Aus Sicht von Taylor-Phillips und ihren Kollegen sprechen die Ergebnisse dafür, radiologischem Fachpersonal die Möglichkeit zu geben, die Dauer der ununterbrochenen Arbeitsphasen bei der Befundung selbst zu bestimmen. Der Verzicht auf vorgeschriebene regelmäßige Pausen könnte die Arbeit nicht nur effektiver, sondern auch genauer machen und vielen Patientinnen unnötige Folgeuntersuchungen ersparen.

Ob die Ergebnisse auch auf andere Fachbereiche übertragbar sind, beispielsweise das Sicherheitspersonal am Flughafen, ist den Forschenden zufolge unklar. Um diese Frage zu klären, empfehlen sie weitere groß angelegte Praxisstudien in den jeweils relevanten Bereichen. Zudem könnten weitere Forschungen dabei helfen, die zugrundeliegenden psychologischen Mechanismen bei der Entscheidungsfindung aufzuklären.

Quelle: Sian Taylor-Phillips (University of Warwick, UK) et al., Proceedings of the National Academy of Sciences, doi: 10.1073/pnas.2309576121

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Wissenschaft kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!