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#Nobelpreisträger eignen sich oft kaum als Vorbild

Es muss kein Nobelpreis sein: Schon eine „normale“ wissenschaftliche Karriere erfolgreich zu meistern, mit interessanten Ergebnissen und nicht zu prekären Arbeitssituationen, ist für Nachwuchsforscher ein erheblicher Erfolg. Doch für viele ist der Alltag von Hierarchien und Abhängigkeiten, manchmal auch Diskriminierung geprägt – für Nobelpreisträger sind dies selten Probleme, sind doch auch fast alle auf der Lindauer Tagung anwesenden Laureaten älter, weiß, männlich, dominant.

In einer Sitzung, auf der es eigentlich um Strukturbiologie gehen sollte, kam es zu einem Eklat: Vom ersten Tag der Tagung an sei klar gewesen, dass Wissenschaft nicht das wichtigste Thema sei, erklärte der Schweizer Nobelpreisträger Kurt Wüthrich. Denn: Als männlicher Forscher fühle er sich bei der Veranstaltung diskriminiert. Während der ebenfalls männliche Moderator Diskussionen hierzu unterbinden und auf andere Veranstaltungen verschieben wollte, meldete sich später eine junge Wissenschaftlerin zu Wort, die erklärte, sie habe sich bei der Aussage Wüthrichs sehr unwohl gefühlt, wie auch bei den Interventionen des Moderators, die auch ihren eigenen Beitrag betrafen. Es möge Diskriminierung von Männern geben, sagte sie, doch jene von Frauen sei ungleich stärker.

Doppeldeutige Erklärung

Der Vorstand des Kuratoriums der Tagung prüfte zwischenzeitlich, ob die Äußerungen gegen deren Verhaltenskodex verstoßen haben: Dieser ruft zu Respekt auf. Belästigungen würden nicht toleriert, hierzu zählten auch abwertende Äußerungen oder solche, die dominierende soziale Strukturen verstärken – etwa in Bezug auf das Geschlecht oder die Genderidentität. Persönlich empfundene Missstände sollten laut den Werten und Richtlinien der Tagung nicht in deren wissenschaftlichen Veranstaltungen diskutiert werden, erklärte der Kuratoriumsvorstand unter Vorsitz von Bettina Gräfin Bernadotte af Wisborg, was sich jedoch auch als Kritik an der Gegenrede der Wissenschaftlerin verstehen lässt. Wüthrichs Statement sei vom Recht auf freie Meinungsäußerung erfasst, alle Teilnehmer sollten konstruktiv diskutieren. Auf der Tagung seien Diversitätsthemen mehrfach diskutiert worden.

Gegenüber dem Fachmagazin „Science“, das über den Zwischenfall berichtete, erklärte ein deutscher Molekularbiologe ohne Namensnennung, er wolle von den Laureaten für sein eigenes Leben lernen – auch wie er sich als verantwortungsvoller Forscher etablieren könne. Wüthrichs Kommentare hätten ihn daher schockiert.

„Große Männer“ als Vorbilder

Um Rollenvorbilder sollte es auch bei einer anderen Diskussion gehen, doch hier traten ebenfalls deutliche Differenzen zwischen den Laureaten und Nachwuchswissenschaftlern zutage. So zählte der für seine Forschung zum Zyklus biologischer Zellen ausgezeichnete Biologe Tim Hunt eingangs auf, welche Personen ihn inspiriert haben – als Erstes seinen Lehrer Gerd Sommerhoff. Gegen diesen waren nach dessen Tod Missbrauchsvorwürfe aufgekommen. Es folgten zahlreiche „große Männer“ wie Fred Sanger, Francis Crick und Jim Watson, mit denen Hunt zu Beginn seiner Karriere in Kontakt stand – als einzige Frau fand Marie Curie Erwähnung, deren Biographie er als sehr inspirierend empfunden habe.

Die Nobelpreisträger Tim Hunt (links) und Aaron Ciechanover mit Moderatorin Pernilla Wittung-Stafshede.


Die Nobelpreisträger Tim Hunt (links) und Aaron Ciechanover mit Moderatorin Pernilla Wittung-Stafshede.
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Bild: Martin Walz / Linau Nobel Laureate Meeting

Der Sohn eines Oxforder Linguisten sprach seine eigene Privilegierung kurz an: In Bezug auf die Wissenschaft sei er mit einem silbernen Löffel im Mund geboren worden. Auch bemerkte Hunt, er sei nicht überzeugt, dass er selbst ein gutes Vorbild sei – nicht zur Sprache kam jedoch ein möglicher Grund hierfür: Für einen weltweit beachteten Eklat sorgte der Nobelpreisträger 2015 mit zweifelhaften Witzen, dass Frauen in La­boren für Probleme sorgten und getrenntgeschlechtliches Arbeiten vielleicht besser wäre. Hierüber verlor er mehrere Posten, bezeichnete sich später selbst als lebendes Fossil.

„Ich würde keinen akademischen Job mehr bekommen“

Die Wissenschaft könne zwar die Phantasie beflügeln, doch sei sie weder eine gemeinnützige Organisation noch ein Kindergarten, sagte sein Mitdiskutant Aaron Ciechanover: „Wenn Sie gut sind, schaffen Sie es – wenn nicht, dann ertrinken Sie.“ Er selbst wolle jedoch niemanden untergehen lassen. Auf die Frage, ob Betreuer nicht stärker nach ihren Mentorenqualitäten bewertet werden sollten, erklärte Hunt, dies werde in Publikationen gemessen – Ciechanover ergänzte, hier gebe es Fehlentwicklungen: „Wir legen jetzt mehr Wert darauf, wo man veröffentlicht, als darauf, was man veröffentlicht – die Dinge stehen auf dem Kopf.“ Nachfragen der Nachwuchswissenschaftler beantwortete wiederholt eher die Moderatorin Pernilla Wittung-Stafshede als die Laureaten. „Veröffentlichungen bedeuten nicht unbedingt, dass jemand ein guter Mentor ist“, sagte sie.

Ohnehin haben sich die Lebensrealitäten deutlich gewandelt. „Heutzutage würde ich keinen akademischen Job mehr bekommen“, erklärte der Nobelpreisträger Peter Higgs 2013 gegenüber dem britischen „Guardian“, er würde wohl nicht als produktiv genug angesehen. Für die Zeit bis zu seiner Pensionierung führt sein Lebenslauf gut 20 Publikationen auf, manche Wissenschaftler veröffentlichen so viel in einem Jahr. „Es ist schwer vorzustellen, wie ich im heutigen Klima jemals genug Ruhe und Frieden finden könnte, um das zu tun, was ich 1964 getan habe.“ Bei jährlichen Abfragen nach neuen Publikationen habe er „keine“ geantwortet. Manches können sich wohl nur Nobelpreisträger erlauben, oder sichere Kandidaten.

Für das kommende Jahr freue sich der Kuratoriumsvorstand über Verbesserungsvorschläge, heißt es im seinem Statement. Diese dürften wohl eingehen.

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