#O weiter, stiller Friede! So tief im Abendrot
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„O weiter, stiller Friede! So tief im Abendrot“
Erst das „Heldenepos“, dann „Ein Heldenleben“: Wer in Stundenreichweite zur Berliner Philharmonie wohnte, konnte am vergangenen Sonntag beides haben: nach dem Fußball-WM-Endspiel, wo zum gewaltig großen Ringen gewaltig große Worte aus Kommentatorenmündern fielen, noch Richard Strauss’ Tondichtung, der sich das Deutsche Symphonie-Orchester (DSO) mit seinem Chef Robin Ticciati widmete.
Nun hat es mit dem Strauss’schen Heldentum seine eigene Bewandtnis; war doch der Künstler hier sein eigenes Modell. Weil er aber gerade erst die Mitte der Dreißiger erreicht hatte und eher zum bajuwarischen Genießertum als zum Größenwahn neigte, darf man in dem kalorienhaltig instrumentierten Stück über weite Strecken auch Selbstironie hören. An diesen Stellen fehlte Ticciatis eigentlich kraftvoll-präsenter, kerniger und wurzelfester Interpretation ein wenig distanzierte Finesse, um das große Selbst- und Welttheater dieser ernsthaften Unernsthaftigkeiten gänzlich auszukosten. Im Detail gab es dennoch reichlich Hörvergnügen – seien es die bräsig maulenden Quengeleien der „Widersacher“, der großen und eher mit Maßkrügen als Floretten ausgetragenen Klopperei auf „des Helden Walstatt“ oder, dem Edleren zugewandt, in der melancholisch-entspannten Englischhorn-Idylle gegen Ende des Werkes.
Vielleicht könnte man Ticciatis Herangehensweise die eines Klangwanderers nennen, der immer neue, episodenhafte Bilder aufruft und miteinander verknüpft, die sich erst im Rückblick zum Ganzen fügen. Christian Thielemann, der an den Abenden vorher bei den Berliner Philharmonikern ebenfalls Strauss, die „Vier letzten Lieder“, im Programm hatte, wäre dann ein Pilot, der schon beim Start um die Route weiß und seinen Flug vom Ende her denkt. Das traf in diesem Falle freilich nicht für das Gesamtprogramm zu, wo Strauss zwar stilsicher zwischen die schwelgerisch weltentsagenden Orchesterstücke aus Richard Wagners „Parsifal“ und Hans Pfitzners „Palestrina“ eingebettet wurde – ein ganzer Paradiesgarten blühender Philharmonikerklänge –, dem Ganzen dann jedoch mit Arnold Schönbergs kaleidoskopisch zerhäckselter Orchesteradaption des Bach-Orgelstücks BWV 552 ein zwar ebenfalls mit Klangmacht und Verve vorgetragener, aber in der Substanz nur mittelmäßiger Schluss angehangen wurde.
Und es galt nicht einmal für den Liederzyklus im Ganzen, der in seiner Abfolge wie bedeutungsschweren Titelgebung eine nachträgliche verlegerische Mystifikation ist (tatsächlich hat Strauss auch nach den „letzten Liedern“ noch komponiert) – dafür aber umso mehr im Spannungsbogen jeder einzelnen Vertonung. Wenn Thielemann hier die in gelassenen Tempi weit ausgesungenen, herbstlich-dämmerigen Schwelgereien der Streicher-, Holzbläser- und Hornlinien einerseits in lebendigstem Fluss hielt, aber immer wieder auch behutsam abdämpfte, dann diente das wohl nicht zuletzt dem Ziel, den Klangfluss nicht durch unzeitige Emphasen zu zerreißen und gleichsam immer noch eine Reserve in der Hinterhand zu behalten. Camilla Nylund als Sängerin, ohne deren Einfühlung ein solches Konzept nicht funktionieren, die aber von solch erwärmender Einkleidung auch profitieren konnte, dankte es ihm in eigener Weise: An manchen Stellen nahm sie sich so zurück, dass sich ihre Stimme dem Orchesterklang als leuchtende Zauberfarbe förmlich einschmolz.
Es waren Töne des Entschwindens, Verstummens und Sichverlierens, die zunehmend Klangraum und Atmosphäre prägten, nachdem der einleitende „Frühling“ in seinem melismengespickten Überschwang noch etwas angestrengt als eine Art bühnenhafter Außensicht wirkte. Dann aber kamen Zeilenenden eines ganz verinnerlichten In-sich-Hineingehens wie beim „sterbenden Gartentraum“, spiegelte sich das ergreifend sehnsüchtige Violinsolo des dritten Liedes in der Stimme der Sopranistin wie ein Schattenriss und vertiefte sich immer stärker die Stimmung eines melancholischen und doch gelassen-dankbaren Alles-durchlebt-Habens bis ins abschließende „Abendrot“ hinein: Hier wurden jene „Weltflucht und Vollendung“, mit denen der Komponist seinen Helden fünfzig Jahre vorher als Spielmodell in den Ruhestand geschickt hatte, zur durchlebten und ausgesungenen Realität.
Im DSO-Konzert fanden sich solche Töne ebenfalls: kaum bei Strauss, wohl aber in Vilde Frangs berührendem, introvertiert leidenschaftlichem Aussingen des h-Moll-Violinkonzertes von Edward Elgar.
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