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#Das Haus hinter der Taiga

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Das Haus hinter der Taiga

Es gibt nötigen Kaffee und es gibt guten Kaffee. Sehr nötiger Kaffee kann auch fieser Pulverkaffee oder Automatenplörre sein, wenn er nur zur richtigen Zeit kommt und auf einen ausgelaugten, frierenden, müden Körper trifft. Sehr guter Kaffee hingegen ist fachmännisch hergestellt und zubereitet und gar nicht so selten. Es gibt ihn an italienischen Autobahnraststätten, in burundischen Supermärkten und auch in fast jedem Kaff in der japanischen Provinz, wo passionierte Kaffeeliebhaber sorgfältig mit Hario-Filtern und Chemex-Kannen hantieren. Wirklich einschneidende Kaffeeerlebnisse ereignen sich aber dort, wo beide Kategorien zusammenfallen, wo also der dringend benötigte Kaffee gleichzeitig sehr sehr gut ist.

Das letzte Kaffeeerlebnis dieser Art fällt mit der letzten privaten Reise vor Covid zusammen, die mich im Januar 2020 nach Sibirien führte. Aus Gründen, die hier zu weit führten, hatte ich mir mit einer Freundin eine Datsche am einsamen Ende des Baikalsees gemietet, wo wir zwei Wochen in einem kleinen Dorf verbringen würden. Die nächste Stadt, in der man Vorräte kaufen konnte, und die jetzt nicht eben eine Metropole war, hieß Sewerobaikalsk. Wie der Name nahelegt, liegt sie am Nordende des Sees. Es gibt sie überhaupt nur, weil die Bauarbeiter der Baikal-Amur-Magistrale, der Eisenbahnstrecke nördlich der Transsibirischen Eisenbahn, irgendwo wohnen mussten. Sewerobaikalsk ist keine fünfzig Jahre alt.

„Kemeks“ bei Simjon in Severobaikalsk: für 200 Rubel ist man dabei.


„Kemeks“ bei Simjon in Severobaikalsk: für 200 Rubel ist man dabei.
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Bild: Andrea Diener

Zweimal am Tag fährt ein Bus von unserem Dorf eine Stunde lang nach Sewerobaikalsk durch verschneite Taiga und wieder zurück, und „Taiga“ steht hier wirklich für Taiga, nämlich eine endlose Weite etwas verhungert wirkender Kiefern und Lärchen. Ab und zu lichten sie sich und man sieht den See, der als große weiße Fläche daliegt. Im Bus, der wie alles in Russland völlig überheizt ist, herrscht bald feuchtheißes Gewächshausklima. Als alle richtig schön verschwitzt sind, ist der Bus da und wir stehen wieder in der Kälte. Die LED-Anzeige am Leningradskij Prospekt, der Hauptstraße, zeigt angenehme minus 17 Grad, der Schnee rieselt sacht. Unser Ziel in Sewerobaikalsk ist „Geografija Kofe“, eine unscheinbare Ziegelhütte hinter einem Stapel Wohnblöcken. Hier gibt es alles, was es im Dorf nicht gibt.

Pause vom Mangel

Im Dorf gibt es keinen Kaffee, der nicht Pulverkaffee ist. Im Dorf gibt es kein Wlan und Mobilfunk nur dann, wenn der Wind günstig steht. Die Kommunikation mit der Außenwelt gestaltet sich mühsam, und die Kommunikation mit den anwesenden Russen, die sich zu einem Gutteil auf Google-Translate stützt, ebenso. Die Versorgung mit lustigen bunten Törtchen hält sich sehr in Grenzen, nach unseren Spaziergängen essen wir Honigbrot und trinken Tee und laden Bilder auf Instagram hoch, was mehrere Minuten dauert. Das geht alles für eine Weile. Aber der Mensch ist ein Gewohnheitstier und verlangt eine Pause vom Mangel.

Ein Stück Sommer: Erdbeerkuchen, dazu Kakao. Der schmeckt hier nämlich auch.


Ein Stück Sommer: Erdbeerkuchen, dazu Kakao. Der schmeckt hier nämlich auch.
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Bild: Andrea Diener

„Tziwilisatzija“ ist ein Wort, das man schnell lernt und schnell zu seufzen lernt, wenn man mit der ebensolchen in Berührung kommt oder sich sehr nach ihr sehnt. Und im „Geografija Kofe“ herrscht eine für sibirisch-provinzielle Verhältnisse geradezu ausgelassene Zivilisiertheit. Es gibt den Kaffee in sämtlichen Wunschvarianten: „Frensch Press“, „Sifon“, „Kemeks“ steht da in kyrillischen Buchstaben, die Preise bewegen sich zwischen 120 und 200 Rubel (1,35 bis 2,25 Euro) je nach Zubereitung. Im Raum stehen einige einfache Holztische, wir fläzen uns in die Bankecke und bauen unsere Laptops auf. Es gibt hier hervorragendes Internet, hervorragende Tziwilisatzija, es ist warm, und der Besitzer Simjon spricht etwas Englisch. Er ist schließlich schon herumgereist in der Welt, er hat Kaffee in Italien gelernt, wo auch seine gigantische Siebträgermaschine herkommt, sein ganzer Stolz, er weiß, was er tut. Kaffee gibt es auch aus aller Welt, bunte hübsch gestaltete Papierpackungen stehen aufgereiht in einem Regal und verweisen auf die Herkunft aus Guatemala oder Äthiopien, geröstet in einer kleinen handwerklichen Rösterei in Nowosibirsk. Ja, es gibt Craft-Kaffee aus Nowosibirsk.

Morgens hat man seine Ruhe bei Geografija Kofe, da kann man sitzen und seine Fotos der letzten Woche sichern, Mails sichten und noch einen Text nach Frankfurt in die Redaktion schicken. Und dazu gibt es einen nach Tagen der Pulverplörre, nach Tagen der Eiseskälte und Ofenhitze sehr nötigen, aber auch sehr guten Kaffee, für mich gern aus dem Handfilter, und zwar den aus Burundi. Er schmeckt würzig und schokoladig und rund. Dazu ein rosa Törtchen, das schmeckt selbstredend nach Erdbeeren, denn alles in Sibirien riecht oder schmeckt nach Erdbeeren, es sind die Früchte des Sommers.

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Donnerstags um 14.00 Uhr

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Mittags ist dann mit einem Mal mehr los in der kleinen Hütte, Schüler kommen vorbei und Angestellte nehmen einen Kaffee im Becher mit. Plötzlich ist die Bude voll. Die Einwohner von Sewerobaikalsk wissen, was sie an diesem Ort haben. Auf Google hat Geografija Kofe fast nur Höchstbewertungen, unter jeder einzelnen bedankt sich der Inhaber höflich. Wir wechseln uns ab mit dem Einkauf von Vorräten, dann ruft uns Simjon ein Taxi ins Dorf. Eine Woche halten wir es aus ohne Tziwilisatzija, dann stehen wir wieder auf der Matte. Der Kaffee ist selbstredend genauso gut wie das vorige Mal.

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