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#Plötzlich stehen sie vor der Wohnungstür

Plötzlich stehen sie vor der Wohnungstür

Die vergangenen Tage erhielt Irina Scherbakowa viel ungewollten Besuch. Sicherheitskräfte kamen an ihre Wohnungstür und fragten nach ihrem Mann Alexander. Zunächst früh am Morgen, in Schutzweste und bewaffnet, dann in Uniform, dann in Zivil, schrieb die auch in Deutschland bekannte Moskauer Germanistin und Historikerin auf Facebook. Ihr Mann war nicht in der Stadt. Auf Scherbakowas Frage, was los sei, sagten die Besucher, das wisse sie doch selbst: Der Mann sei zu einer unerlaubten Demonstration gegangen. Man werde so lange kommen, „bis wir ihn mitnehmen“.

Irina Scherbakowas Mann fällt genau in das Raster, das die Sicherheitskräfte offenbar für ihre punktuellen Schläge gegen Widersacher erstellt haben: Er nahm an der Demonstration für den inhaftierten Oppositionsführer Alexej Nawalnyj am Mittwoch voriger Woche teil; gehört zur Moskauer Intelligenz; ist 75 Jahre alt; und verheiratet mit einem Vorstandsmitglied der Menschenrechtsorganisation Memorial, eben Scherbakowa, selbst Anfang siebzig.

Waren die Zellen in Moskau noch überfüllt?

Viele, die an jenem Mittwoch durch Moskau zogen, wunderten sich über die Polizei. Bei früheren Protesten ging sie hart gegen die Demonstranten vor, mit Schlagstöcken und Elektroschockern. Anderswo hielten es ihre Kollegen auch dieses Mal so, besonders in Sankt Petersburg, wo sie Hunderte festnahmen. In Moskau blieb es ruhig. Vermutlich, weil Präsident Wladimir Putin an dem Tag eine Rede gehalten hatte; wohl auch, weil die Zellen der Hauptstadt nach Massenverhaftungen Ende Januar und Anfang Februar peinlich überfüllt waren.

Jetzt sprechen manche von einer neuen Taktik der Sicherheitskräfte. Waren schon vor der Demonstration prominente Nawalnyj-Gefolgsleute festgenommen worden, sind seither Dutzende Moskauer hinzugekommen; ähnliche Nachrichten kommen aus Städten wie Nischnij Nowgorod, Perm, Chabarowsk. Polizisten holen ihre Zielpersonen zu Hause ab; manche erhalten wegen Teilnahme an einer unerlaubten Veranstaltung oder eines Beitrags in sozialen Medien Arrest bis zu dreißig Tagen, andere Geldbußen. Manche lässt man laufen.

Die russische Historikerin und Bürgerrechtlerin Irina Scherbakowa im August 2017 in Weimar


Die russische Historikerin und Bürgerrechtlerin Irina Scherbakowa im August 2017 in Weimar
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Bild: Picture-Alliance

Immer klarer wird, dass die Polizei auf Videoaufnahmen zurückgreift und eine Vorauswahl trifft. In Moskau gibt es Zehntausende Überwachungskameras mit Gesichtserkennungsfunktion. Hinzu kommen Aufnahmen der Handkameras von Polizisten und aus Geschäften. In Moskau sind Journalisten wichtige Ziele, vor allem solche kremlkritischer Medien: Sie müssen unter anderem mit einem schriftlichen Arbeitsauftrag beweisen, dass sie an jenem Abend beruflich unterwegs waren. Bisher lässt man sie dann wieder laufen. Zudem werden besonders ältere Menschen Ziele, Lehrer, Ärzte, Professoren, Moskauer aus dem Umfeld von Memorial. So erhielt Sergej Dawidis, der ein Programm der Organisation zur Unterstützung politischer Gefangener leitet, zehn Tage Arrest.

Irina Scherbakowa berichtet der F.A.Z., es sei unmöglich, durch einen Rechtsanwalt einen Termin bei der Polizei zu vereinbaren, an dem sich ihr Mann stellen könne: „Sie kommen selbst, um einen abzuholen.“ Vielleicht, weil es um eine Ordnungswidrigkeit geht; erst im Wiederholungsfall drohen Strafverfahren und Lagerhaft. Vielleicht, um durch das Eindringen in den privaten Lebensbereich zusätzlich einzuschüchtern. Bei dem Fokus auf ältere Menschen gehe es um Abschreckung, darum, zu zeigen, dass „alles erlaubt ist“. Für ihren Mann, mit dessen Festnahme Scherbakowa am Donnerstag nach seiner Rückkehr nach Moskau rechnete, muss die Familie nun auf eine Geldbuße statt einer Arreststrafe hoffen.

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