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#Psilocybin im Test gegen Magersucht

Magersucht ist eine der häufigsten psychischen Erkrankungen junger Frauen – und eine der hartnäckigsten. Denn gängige Psychotherapien wirken bei vielen Betroffenen nicht und Medikamente gibt es keine. Deshalb haben nun Forschende erstmals die psychoaktive Droge Psilocybin als Therapiehelfer in einer klinischen Studie getestet. Zehn an Anorexia nervosa leidende Frauen erhielten eine einmalige Gabe der aus „Magic Mushrooms“ bekannten Substanz und wurden zusätzlich psychologisch betreut. Als Ergebnis berichtete die große Mehrheit der Teilnehmerinnen von einer subjektiven Besserung, bei einigen ließ sich dies auch in objektiven Tests nachweisen. Nach Ansicht des Teams ist dies vielversprechend genug, um diese Therapieform in weiteren Studien näher zu erforschen.

Magersucht ist eine Essstörung, an der weltweit im Schnitt rund 1,4 Prozent der Frauen leiden. Typischerweise nehmen sie kaum noch Nahrung zu sich und versuchen durch Methoden wie die Einnahme von Abführmitteln oder übertriebenen Sport, eine Gewichtszunahme zu vermeiden. Dahinter steckt eine gestörte Körperwahrnehmung: Menschen mit Anorexia nervosa fühlen sich selbst dann noch zu dick, wenn sie bereits extrem abgemagert sind – und das kann tödliche Folgen haben. Das Risiko, an den Folgen von Organschäden und Unterernährung zu sterben, ist gegenüber Gesunden um das 18-Fache erhöht. Was diese Essstörung jedoch auslöst, ist weitgehend ungeklärt. Vermutet wird, dass die Kombination aus Veranlagung sowie vorgeburtlichen und frühkindlichen Einflussfaktoren die Anfälligkeit für eine Anorexie erhöht. Bisher versucht man, den Erkrankten vor allem mit Psychotherapie zu helfen. Allerdings funktioniert dies nur beschränkt: Rund die Hälfte der Betroffenen wird rückfällig, bei 20 Prozent entwickelt sich eine chronische Magersucht. Wirksame Medikamente gibt es bisher nicht.

Droge wirkt auf Serotonin-Haushalt

An diesem Punkt setzt eine klinische Studie an, in der Stephanie Knatz Peck von der University of California in San Diego und ihr Team einen auf den ersten Blick ungewöhnlichen Behandlungsweg getestet haben: Sie verabreichten ihren zehn magersüchtigen Probandinnen die psychoaktive Droge Psilocybin. Diese von einigen Pilzen produzierte Substanz wird im Körper in seine bioaktive Form Psilocin umgewandelt und gelangt auch ins Gehirn. Dort bindet es an die Andockstelle des Neurotransmitters Serotonin und aktiviert dadurch insbesondere die Serotonin-Rezeptoren vom Typ-2A. Dies verursacht Veränderungen des Bewusstseins ähnlich wie bei LSD und kann Halluzinationen auslösen. Gleichzeitig beeinflusst Psilocybin die Plastizität der synaptischen Verbindungen und kann dadurch auch die Bildung neuer Verknüpfungen im Gehirn fördern. Studien zeigen, dass eine geringe Dosis dieser „Magic-Mushroom“-Droge auch therapeutisch wirksam sein kann: Bei Menschen mit schweren Depressionen und Zwangsstörungen wirkte Psilocybin nachhaltig lindernd.

Ausgehend von diesen Erfahrungen wollten Knatz Peck und ihre Kollegen deshalb untersuchen, ob Psilocybin möglicherweise auch bei Magersucht helfen kann. „Es gibt einige Belege dafür, dass Menschen mit Anorexia nervosa eine veränderte Funktion des Serotonin-Rezeptors 2A im Gehirn aufweisen“, erklären die Forschenden. „Das stützt die Vermutung, dass die Wirkung des Psilocybins auf diesen Rezeptor auch die Symptome der Anorexie positiv beeinflussen können.“ Zudem hat die Obsession der zumeist weiblichen Betroffenen auch Züge einer Zwangsstörung – es fällt ihnen selbst mit psychotherapeutischer Hilfe oft extrem schwer, ihre rigide Selbstsicht, ihre Routinen und Denkweisen zu ändern. Mit ihrer Phase-1-Studie wollten Knatz Peck und ihre Kollegen zunächst primär testen, ob die Pilzdroge von Anorexie-Erkrankten gut vertragen wird und welche Nebenwirkungen sie hat. Aber auch mögliche positive Wirkungen auf das subjektive Befinden und den Zustand der Teilnehmenden haben sie untersucht.

Positive Effekte nachweisbar

An der Studie nahmen zehn Frauen teil, die meist schon seit mehreren Jahren an einer Magersucht litten und die deswegen deutlich untergewichtig waren. Fünf von ihnen hatten bereits vorher mithilfe von psychotherapeutischer Behandlung versucht, ihre Anorexie zu überwinden, waren aber ganz oder teilweise rückfällig geworden. Sieben der Frauen litten unter einer begleitenden Depression, drei hatten zusätzlich eine Zwangsstörung. In den zwei Wochen vor der Psilocybin-Gabe wurden die Probandinnen an zwei Terminen eingehend psychologisch untersucht und auf das Prozedere der Studie vorbereitet. Dann nahmen die Frauen 25 Milligramm reines Psilocybin in Form von Kapseln ein und wurden während der rund achtstündigen Phase der akuten Drogensymptome von Psychologen in der Klinik intensiv betreut. Auch Nebenwirkungen wurden erfasst. Anschließend durften sie nach Hause gehen. Am nächsten Tag und eine Woche später absolvierten alle Teilnehmerinnen eine 60- bis 90-minütige Psychotherapiesitzung. Außerdem wurden sie nach einer Woche sowie nach einem und drei Monaten eingehend psychologisch und körperlich untersucht und auch nach ihrem subjektiven Befinden befragt, um den Effekt des Psilocybins auf die Anorexie abzuschätzen.

Die Auswertungen ergaben, dass Psilocybin von den magersüchtigen Frauen ohne schwerwiegende Nebenwirkungen vertragen wurde. Gleichzeitig gaben die meisten Teilnehmerinnen an, dass sie bei sich positive Veränderungen festgestellt hatten. „90 Prozent hatten den Herausforderungen des Lebens gegenüber ein positiveres Gefühl, 80 Prozent bezeichneten die Erfahrung sogar als eine der fünf wichtigsten ihres bisherigen Lebens“, berichten Knatz Peck und ihr Team. 70 Prozent der Frauen verspürte eine allgemeine Besserung ihrer Lebensqualität. Deutlich variabler und weniger eindeutig waren allerdings die objektiven Ergebnisse, beispielsweise bei der psychologischen Erfassung der Anorexie-Kennzeichen und den körperlichen Parametern. So bewirkte die Psilocybingabe im Schnitt signifikante Verbesserungen bei Parametern wie der vom verzerrten Körperbild erzeugten Angst und der Obsession mit Ernährung, Figur und Essen. Gleichzeitig konnte das Team aber nur bei vier Probandinnen auch nach drei Monaten noch eine dauerhafte Besserung bei den Werten der etablierten Essstörungs-Untersuchung feststellen.

Weitere Studien sinnvoll

Dennoch sehen Knatz Peck und ihre Kollegen das Ergebnis ihrer vorläufigen Studie positiv: „Die meisten Teilnehmerinnen berichteten über subjektive Besserung auch noch drei Monate nach der Psilocybingabe“, schreiben sie. „Dass die Behandlung von den meisten Probandinnen als positiv wirksam betrachtet wurde und dass es keine Aussteigerinnen gab, sind schon vielversprechende Indizien.“ Zudem sei bemerkenswert, dass eine Untergruppe der Teilnehmerinnen schon nach einer einzigen Gabe von Psilocybin überhaupt positive Effekte zeigte – bei klassischen Anorexie-Therapien sei dies oft selbst nach langer Zeit nicht der Fall. Die Forschenden halten es deshalb für sinnvoll, weitere und umfangreichere Studien zur therapeutischen Wirkung von Psilocybin bei Magersucht durchzuführen. Ähnlich sehen es auch Tomislav Majic von der Charité Universitätsmedizin Berlin und Stefan Ehrlich von der Technischen Universität Dresden. In einem begleitenden Kommentar schreiben sie: „Angesicht der Notwendigkeit von effektiven und akzeptablen Therapien für diese Störung könnte die Psilocybin-Therapie ein vielversprechender Weg für die weitere klinische Evaluierung sein.“

Quelle: Stephanie Knatz Peck (University of California, San Diego) et al., Nature Medicine, doi: 10.1038/s41591-023-02455-9

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