Wissenschaft

#Raffinierte Fliegen-Flügelgelenke analysiert

Video: Blick auf die Bewegungen im Bereich des Flügelgelenks einer Taufliege. © Sam Whitehead, Dickinson Lab. [email protected]

Auf raffinierte Weise ermöglicht es erstaunliche Flugleistungen: Wie das komplexe Gelenk des Fliegenflügels funktioniert, haben nun Forschende durch eine Kombination aus bildgebenden Verfahren, maschinellem Lernen und Robotik beleuchtet. Vor allem die bisher verborgen gebliebene Rolle feiner Muskelbewegungen bei der Flugsteuerung wurde erstmals deutlich. Die Einblicke in das biomechanische System können nun unter anderem Hinweise auf die Entwicklungsgeschichte des Insektenflugs liefern, sagen die Wissenschaftler.

Das Konzept wurde im Laufe der Evolution mehrere Male unabhängig voneinander erfunden: Insekten, Vögel, Fledertiere und die Flugsaurier haben Flügel hervorgebracht, die es ihnen ermöglichten, sich aus eigener Kraft in die Luft zu erheben. Das älteste dieser Systeme unterscheidet sich dabei allerdings deutlich von den anderen: Die Flügel der Insekten sind keine umgewandelten Vordergliedmaßen wie bei den fliegenden Vertretern der Wirbeltiere, sondern zusätzliche Strukturen. Auch das Verankerungs- und Steuerungssystem unterscheidet sich deutlich von denjenigen bei Vogel und Co. Es handelt sich dabei um einen ausgesprochen komplexen Gelenkapparat, der den Flügel mit dem Körper verbindet.

Man könnte meinen, dass die Forschung schon lange aufgeklärt hat, wie dieses biomechanische System funktioniert – doch das ist nicht der Fall. Es ist zwar bekannt, dass die Funktion auf einem Verbund aus speziell gestalteten Elementen basiert. Doch wie diese sogenannten Skleriten interagieren und durch Muskeln beim Flügelschlag gesteuert werden, ist unklar geblieben. Dies liegt daran, dass die winzigen Teile des Flügelgelenks von außen kaum sichtbar sind und sich so schnell bewegen, dass sich die biomechanischen Abläufe schwer erfassen lassen. Auch die Kontraktionen der filigranen Muskeln des Apparats ließen sich mit traditionellen Untersuchungstechniken bisher nur schwer untersuchen.

Fliegen-Flügelgelenke im Visier

Nun haben die Forschenden um Johan Melis vom California vom Institute of Technology in Pasadena die modernsten Analyseverfahren angewendet, um genauere Einblicke in die Biomechanik der raffinierten Apparatur zu gewinnen. Ihre Untersuchungen führten sie dabei am Modell-Insekt der Forschung durch – der Taufliege Drosophila melanogaster. Zunächst erfasste das Team umfangreiche Bewegungsdaten der Flügel bei unterschiedlichen Flugmanövern. An einer Drahtspitze fixierte Fliegen “flogen” dazu in einer Art Arena während sie von einer Hochgeschwindigkeitskamera erfasst wurden. Durch bestimmte Lichtmuster konnten die Forschenden die Insekten zu Flügelbewegungen animieren, die im Freiflug zu bestimmten Manövern führen würden. Aus den Auswertungen ergab sich dann ein umfassendes Abbild der Flügelbewegungsmuster hinter den Flugbewegungen.

Doch um die Kontrollmechanismen hinter den Manövern zu verstehen, waren Einblicke in die Bewegungen der Muskeln des Apparats nötig. Um dies zu ermöglichen, entwickelten die Forschenden genetisch veränderte Fliegen, deren Muskeln fluoreszieren, wenn sie sich zusammenziehen.

Fluoreszenz-Signale bei Muskelbewegungen haben Einblicke in das biomechanische System ermöglicht. © Floris van Breugel & Thad Lindsay, Dickinson Lab, [email protected]

Auf diese Weise konnten sie durch hochfeine Beobachtungstechnik genau erfassen, welche Muskel-Bewegungsmuster unterschiedlichen Flugmanövern zugrunde liegen. Mit den Daten aus den Muskelbeobachtungen, den Flügelschlagmustern und den daraus resultierenden Flugmanövern fütterten die Wissenschaftler anschließend eine Künstliche Intelligenz. Das KI-System konnte die Zusammenhänge automatisch erfassen und so ein Modell dafür entwickeln, wie die Muskeln über die Beeinflussung der fünf Sklerit-Elemente des Gelenksystems die Flügelbewegungen steuern.

Modellierbar gemacht

Um zu bestätigen, dass das Modell die Funktion des biomechanischen Systems tatsächlich korrekt wiedergibt, bauten die Forschenden außerdem einen Flügelschlag-Roboter. Er ist so konzipiert, dass er die Bewegungsmuster des natürlichen Vorbildes nachahmen kann. Zudem verfügt der Roboter über Sensoren, die die aerodynamischen Effekte bei den Flügelbewegungen erfassen können. Unter Berücksichtigung unterschiedlicher Flügelmassen und der Trägheit konnten die Forscher durch Versuche mit dem Roboter weitere Rückschlüsse auf den Zusammenhang zwischen Muskelbewegungen und Flugmanövern ziehen. Dabei zeichnete sich ab, dass ihr KI-Modell tatsächlich die Abläufe simulieren kann, die denen bei den realen Fliegen entsprechen.

Die Kombination aus bildgebenden Verfahren, maschinellem Lernen und Robotik hat somit nun zu einem besseren Verständnis der Funktionsweise des Flügelgelenks der kleinen Luftakrobaten geführt, resümieren die Forschenden. Diese Ergebnisse können ihnen zufolge nun in weitere Forschungsarbeiten mit unterschiedlichen Zielsetzungen einfließen. Vergleiche des Gelenksystems der Fliegen mit dem anderer geflügelter Vertreter der Insekten könnten dabei etwa Hinweise auf die Entwicklungsgeschichte des Fliegens bei dieser Tiergruppe liefern. Außerdem können die Ergebnisse die Grundlage von Untersuchungen der nächsten Kontroll-Ebene des Systems bilden, sagen die Forschenden: Sie könnten Einblicke in die neuronale Steuerung des Fliegen-Flugs ermöglichen.

Quelle: Nature, doi: 10.1038/s41586-024-072934

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Wissenschaft kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!