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#Unikum, selten allein

Unikum, selten allein

In der Welt der Physik spiegeln die Quanten das schwarzromantische Doppelgängerprinzip der Kunst: Ändert man bei einem der Zwillingsquanten die elektrische Ladung, springt sie augenblicklich auch beim anderen um, selbst wenn er sich in einem anderen Planetensystem befände. So kann es gut sein, dass in dem Moment, in dem der 1942 in Plymouth geborene George Passmore vom britischen Künstlerduo „Gilbert und George“ heute seine achtzig Kerzen auf dem Kuchen auspustet, auch das Alter seines Partners Gilbert simultan auf achtzig umschlägt, obwohl der gebürtige Südtiroler nominell erst September nächsten Jahres Geburtstag feiert.

Denn atomos, „unteilbar“, sind beide seit dem Beginn ihrer erstaunlichen Karriere in den Sechzigern – die bürgerlich auseinanderdividierenden Fa­mi­lienna­men Passmore und Prousch wur­den durch die alliterierenden Vornamen ersetzt, unterscheidende Kleidung gibt es seither durch die Künstleruniform feinen Tweeds ebenso wenig. Man lebt und liebt seit über sechzig Jahren im selben Künstleratelierhaus in London (wenn­gleich die beiden erst 2008 offiziell heirateten), schon zu Studienzeiten bildeten sie gemeinsam eine „Singing sculpture“, man betrank sich hemmungslos zusammen und veredelte es zur Vi­deokunst (die immer noch einzige „Dinner for one“-Alternative „Gordon’s makes us drunk“), man fertigt die in ihrer Opulenz an viktorianische Glasfenster erinnernden Fotografie-Tableaus Hand in Hand, sodass partout keine spezifische Handschrift er­kennbar wäre – sprich, Gilbert & George sind im Grunde kein Duo, vielmehr platonische Kugelmenschen, die sich perfekt ergänzen und zwischen deren Aussagen kein Blatt passt.

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Umso mehr spalteten die künstlerischen Äu­ßerungen des Duos die Öffentlichkeit: Von Beginn an erscheinen auf den so sakral und würdevoll wirkenden Diaglasfenstern Fäkalien und Genitalien sonder Zahl, das Augustinische „inter faeces et urinam“ ist übererfüllt; sexueller Missbrauch vor allem durch den Klerus, den Lieblingsfeind, wird überlebensgroß aufgespießt, ebenso soziale Missstände, Waffenhandel. Alles aber in kunstvoller Form, in geordneten Bild-Rastern und häufig wie ein Rorschachtest zur Prüfung der eigenen Wahrnehmung und Haltung in der Mittelachse gespiegelt. Zeitgleich mit Monty Python gestartet – den anderen Anarchisten in Tweed – begann mit Gilbert and George auch eine Bewegung, die man „konservative Revolution“ nennen könnte, ein sehr britisches Paradox. Berechenbar ist das nie, höchstens im immer radikalen Eintreten für ungehinderte individuelle Entfaltung. Zuletzt verteidigten die beiden, hoffentlich abermals als Provokation gemeint, sogar Boris Johnson.

Über das unausweichlich angesteuerte achte Lebensjahrzehnt räsonierten beide bereits 2020 mit dem monumentalen Tableau „Priority Seat“, auf dem sie sich in einer Londoner Bushaltestelle als alte weiße Männer ironisieren, die sich mit zur Schau gestellter „eingeschränkter Mobilität“ auf den sogenannten Vorrangsitzen wörtlich breit machen, indem sie sich in ihrer distinguierten Kleidung frech der Länge nach hinlegen und somit das doppelte an Platz für sich usurpieren. Zwei Wölfe in feinem Schafsschurpelz – bis heute unberechenbar. Heute feiert George – und vermutlich auch Gilbert – seinen achtzigsten Geburtstag.

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