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#Mag es doch so weiterbrennen

Mag es doch so weiterbrennen

Während gegen Ende dieser „Tatort“-Episode ein Erinnerungsfoto in Flammen aufgeht, singt die als Profilerin soeben zur Mordkommission Zürich beförderte Tessa Ott (Carol Schuler) das „Zündhölzli“-Lied des Schweizer Chansonniers Mani Matter. Es handelt von großen Auswirkungen kleiner Funken: „Und die ganzi Stadt hätt’ brannt, es hätt sie nüt meh g’schützt“. Ein wenig beschreibt das auch, was mit dem alpin-gemütlichen Schweizer Postkarten-„Tatort“ passiert ist.

Neun Jahre lang waren die helvetischen Episoden so gestrickt, dass man weder den Handlungsfaden verlor noch viele Worte verpasste, wenn man mal eine Stunde lang einnickte. Und plötzlich weist eine einzige Folge mehr Winkelzüge, Schockmomente, sozialgeschichtliche Eskapaden, frenetische Streits („Bullensau!“, „Du zynisches Arschloch!“), falsche Fährten und private Dramatik auf als alle Luzern-Episoden zusammen. Zudem wurde die Handlung ins mondäne Zürich verlegt und mit energiegeladenen Frauen besetzt: neben der unerfahrenen, selbstbewussten Ott „aus gutem Hause“ ihre so ehrgeizige wie distanzierte Arbeiterkind-Kollegin Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher), die sich über den Internationalen Strafgerichtshof hochgearbeitet hat. Schon der wilde Einstieg zeigt, wo es langgeht: Zu treibendem Girl-Punk von TNT („Züri brännt!“), in den Mozarts Königin der Nacht ihr sinistres „meine Tochter nimmermehr“ hineingackert, werden Bilder des blitzsauberen Zürich mit Aufnahmen der Opernhauskrawalle aus dem Jahr 1980 überblendet. Dazu brennt eine Leiche.

Zupackende Tempo-Regie von Viviane Andereggen

Geschrieben hat diesen aufgekratzten Piloten, in dem mehrere arrivierte Eidgenossen eine Tat aus ihren wenigstens teils anarchistischen Jugendtagen einholt, das „Tatort“-erfahrene Team Lorenz Langenegger und Stefan Brunner. Zwanglos wirken die Dialoge und sitzen doch sicher. Die taffen Protagonistinnen bringen nicht nur Schwung in die Reihe, sondern sind als Charaktere psychologisch gut austariert, anders als die etwas eindimensionale, um jeden Preis aufstiegswillige Staatsanwältin (Rachel Braunschweig). Belebend wirkt insbesondere die emotional zupackende Tempo-Regie von Viviane Andereggen, die nah an den Personen bleibt, aber keinem Konflikt aus dem Weg geht. Dass hier niemand das Übel der Welt in sich hineinfrisst, sondern alle innere Spannung keck nach außen gestülpt wird, diese fröhliche Entmelancholisierung der sonst inzwischen oft arg elegischen Reihe ist so erfrischend, wie der gehobene Retrochic des Kommissariats (mit leichter „Raumschiff Enterprise“Note) einen schönen Kontrast zu all den abgeratzten Büro-Optiken diesseits der Alpen bietet.

Inhaltlich wirkt der Auftakt nicht ganz so gelungen wie stilistisch und konzeptuell, schließlich ist der Fall im doppelten Wortsinn von gestern. Das Begleichen einer alten Schuld sah man schon sehr oft. Wenig originell sind auch die Beteiligten: ein traumatisierter Angehöriger (Matthias Fankhauser) einer 1980 bei einer Razzia verschwundenen jungen Frau, eine klischeerotzige Punk-Mutti (Karin Pfammatter), ein schlecht gealterter Altlinker (Peter Jecklin), ein zum Chefredakteur avancierter Ex-Sponti (Michael Goldberg) und ein freundlicher Polizeichef (Roland Koch), der trotz aufgetauchtem Schädel – der Verschwundenen? – keine alten Gräben aufreißen will. Dass die Krimihandlung dazu noch müde mit dem Privatleben der Ermittlerin Ott verschleift wurde, wirkt leider allzu zufällig.

Das darf man sich andernorts gern zum Vorbild nehmen

Schwer zu glauben fällt auch sonst einiges, etwa ein nach vierzig Jahren unberührtes Jugendzimmer, in dem sich mit dem ersten Handgriff eine entscheidende Spur findet. Als Krimi nach Lehrbuch wiederum dürfen die Auftritte der Verblichenen in Schreckensvisionen, der wohl nur im Film übliche Dienstantritt am Tatort oder die zickige Kabbelei unter den Ermittlerinnen bezeichnet werden, auch wenn die Zurückführung der gegenseitigen Ablehnung auf die Herkunft aus verschiedenen Milieus durchaus erzählerisches Potential hat. Natürlich wachsen die beiden doch noch notdürftig zu einem Team zusammen. Ott ist schließlich alles andere als stolz auf ihre Beziehungen in „die Partei“: „Meine Mutter ist die Präsidentin von dem Scheißverein.“

Alldieweil rumort im Unterbauch der Handlung die Ahnung, dass in der Schweiz manche Entscheidungen hinter noch fester verschlossenen Türen getroffen werden als anderswo, weshalb der Filmeinstieg mit der flattrigen Freimaurer-Oper „Die Zauberflöte“ sich doch als subtiler erweisen könnte, als es zunächst den Eindruck machte.

So wenig aber die sich gegenseitig die Luft nehmenden Motive des bis in die wuchtige Coda hinein überladenen Plots mit Neuheit oder restloser Überzeugungskraft punkten können, so sehr dürfen sich Urbanität, Elan und Eleganz dieser unaufdringlich politischen Episode sehen lassen. Wie direkt und doch belehrungsfrei gesellschaftlich-moralische Themen angegangen werden – in diesem Fall die in der Schweiz bis heute geltende, aber zuletzt stark in die Diskussion geratene Verjährung von Mord nach dreißig Jahren –, das darf man sich andernorts sogar gern zum Vorbild nehmen. Mag Zürich so weiterbrennen; es hat schon schwächere „Tatort“-Antrittsfolgen gegeben.

Der Tatort: Züri brännt läuft am Sonntag, um 20.15 Uhr, im Ersten.

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