Nachrichten

#Kiews trügerischer Frühling

Inhaltsverzeichnis

„Kiews trügerischer Frühling“

Ein sonniger Morgen vor der Tschernobylska 9a in Kiew. Die warmen Strahlen, die durch das frische Grün der Bäume schimmern, hüllen die gepflegten Grünflächen in freundliches Licht. Um den erdigen Krater vor dem Wohnblock flattert noch das rot-weiße Absperrband in der Frühlingsluft. Dann mischt sich das Summen einer Bohrmaschine in das Zwitschern der Vögel.

Oleh Surow ist den ersten Tag zurück in seinem kleinen Laden im Nebengebäude. Eigentlich gibt es hier alles, was die Nachbarschaft so braucht. Wurst, etwas Gebäck oder Süßigkeiten für die Kleinen, aber jetzt sind die Regale spärlich besetzt. Der Einschlag vor der Nummer 9a, keine 30 Meter von Surows Laden entfernt, hatte die Fenster zerbersten lassen und die Auslagen durch den Laden geschleudert. In den Wochen darauf war niemand hier, die meisten Kunden hatten sich ohnehin aus Kiew in Sicherheit gebracht. „Aber es ist Zeit, dass es weitergeht“, sagt Surow und zieht mit seinen kräftigen Händen die nächste Schraube fest, mit der er eine Spanplatte im leeren Fensterrahmen fixiert. „Die Wirtschaft muss wieder in Gang kommen, ich muss Steuern zahlen und etwas für den Staat tun“, sagt er und lässt ein Lächeln durch sein mürrisches Gesicht huschen. „Der Frühling ist da, die Leute wollen zurück“, wirft Ludmilla, seine Kassiererin, ein.

Am 15. März um 4.10 Uhr war direkt vor der Tschernobylska 9a im Kiewer Westen eine russische Rakete eingeschlagen. Es heißt, sie sei nicht auf den Wohnblock gerichtet gewesen, sondern von einem ukrainischen Abwehrsystem aus der Luft geholt worden. Die Front im Kiewer Vorort Irpin war nur ein paar Kilometer entfernt, das Dröhnen der Gefechte ständig zu hören. In der 9a zerstörte die Detonation die unteren Etagen, riss sämtliche Fenster aus den Rahmen und setzte eine Gasleitung in Brand. Vier Menschen starben durch das Feuer, „darunter eine junge Frau von 26 Jahren und ein tauber älterer Herr“, erzählt eine Anwohnerin, die sich in der Nacht in den Friseursalon im Nachbarhaus gerettet hatte, wo sie zweimal die Woche putzt. Seit 1975 habe sie hier gewohnt, sagt sie, jetzt sei alles kaputt.

In die ukrainische Hauptstadt kehrt das Leben zurück. Am Unabhängigkeitsplatz zupfen Gärtner die Blumenrabatten zurecht, und die Züge, die von Westen her in den Kiewer Hauptbahnhof einrollen, sind wieder voller Menschen. Mehr als einen Monat ist es her, dass sich die russischen Truppen aus dem Norden des Landes zurückgezogen haben. Über Wochen tobten in Kiews Vororten heftige Kämpfe. Dort stehen noch die rußgeschwärzten Ruinen zwischen dem frischen Grün der Bäume. Doch die Straßen sind geräumt und die Bürgersteige gefegt.

Normalität im Wiederaufbau: Oleh Surow verkleidet in seinem Laden die zerborstenen Fenster. Kassiererin Ludmilla bedient Kunden.


Normalität im Wiederaufbau: Oleh Surow verkleidet in seinem Laden die zerborstenen Fenster. Kassiererin Ludmilla bedient Kunden.
:


Bild: Daniel Pilar

Polina Oleynischuk wohnte seit 1975 in der Tschernobylska 9a


Polina Oleynischuk wohnte seit 1975 in der Tschernobylska 9a
:


Bild: Daniel Pilar

„Die Rückkehr war unglaublich“, sagt Nelia Vakhovska, während sie auf einem Sessel neben dem Balkon ihrer kleinen Altbauwohnung in der Innenstadt sitzt. „Ich habe Kiew nie so geliebt.“ Vakhovska war für mehrere Wochen erst in ihrer Datscha westlich von Kiew gewesen, als die Front auch dort näher rückte, flüchtete sie weiter nach Westen. „Ich habe so eine tierische Freude empfunden, dass die Stadt heil geblieben ist“, sagt sie. „Die Menschen sind plötzlich alle freundlich zueinander, und die Stadt ist so gemütlich.“

Viele sagen, es fühle sich beinahe an wie ein andauerndes Wochenende. Die Cafés haben ihre Tische in die Sonne gestellt, nirgendwo herrschen Stress und Gedränge. Die Staus, die im dichten ­Verkehr der Hauptstadt immer zum Alltag gehörten, bilden sich bisher allenfalls an den Ausfallstraßen, wo immer noch gut ausgerüstete Kontrollpunkte und Abwehrstellungen für mögliche neue russische Angriffe bereitstehen. Die U-Bahnen fahren in lockerer Taktung, und die Menschen auf den Bürgersteigen schlendern ohne Zeitdruck. Denn sosehr die Menschen und das Leben zurückkehren, zur Realität des Krieges gehört, dass die Wirtschaft weiter am Boden liegt und kaum jemand einen Grund haben könnte, eilig ins Büro zu hetzen.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!