#"Schreib, wenn du zu Hause bist": Was hilft gegen die Angst auf dem Heimweg?
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„"Schreib, wenn du zu Hause bist": Was hilft gegen die Angst auf dem Heimweg?“
Man muss keine großartige Traumdeutung betreiben, um herauszufinden, woher dieser Traum rührte. Die letzten Tage habe ich, wie viele andere Frauen auch, damit verbracht, die unzähligen Geschichten über Gewalt zu lesen, die auftauchten, nachdem die 33-jährige Britin Sarah Everard Anfang März auf dem Heimweg verschwand und eine Woche später tot aufgefunden wurde. Ermordet, mutmaßlich von einem Londoner Polizisten.
Schlüssel in der Faust, Telefon am Ohr
Als Reaktion auf den Mord wurden im Netz viele persönliche Erfahrungen geteilt. Der Hashtag #ReclaimTheseStreets trendete, darunter fanden sich Geschichten, von denen einige genauso furchtbar alltäglich klingen wie mein Albtraum von letzter Nacht. Geschichten von Schlüsseln zwischen den Fingern, von (Fake-)Telefonaten, von Umwegen, um dunkle Straßen zu vermeiden. Alles Sicherheitsmaßnahmen, die auch Sarah Everard sicherlich kannte und teilweise befolgte; kurz vor ihrem Verschwinden hatte sie noch mit ihrem Freund telefoniert.
Nichts davon ist neu für uns alle. Eine Freundin von mir trägt, seit ich sie kenne, immer oversized Hoodies, wenn sie abends das Haus verlässt. Weil sie sich sicherer fühlt in Kleidung, die ihren Körper versteckt. Sie zieht die Kapuze immer ganz tief ins Gesicht – tut sie es nicht, passiert es regelmäßig, dass ihr fremde Männer hinterherlaufen und sie aufdringlich ansprechen, weil ihnen ihre hellblonden Haare aufgefallen sind.
„Schreib, wenn du zu Hause bist“ – wie viele hundertmal habe ich diesen Satz schon zu Freundinnen gesagt? Wie oft nachgefragt, ob sie wirklich gut angekommen sind?
Dabei ist es natürlich komplett irrelevant, was wir anhaben – sexuelle Übergriffe passieren nicht, weil Frauen* sich auf eine bestimmte Art und Weise kleiden, sondern weil es Männer gibt, die eklige Arschlöcher sind. Die Frauen* als Objekte für den eigenen Lustgewinn betrachten, ein „Nein“ nicht akzeptieren können oder einfach nur gerne Macht ausüben.
„Schreib, wenn du zu Hause bist“ – wie viele hundertmal habe ich diesen Satz schon zu Freundinnen gesagt? Wie oft nachgefragt, ob sie wirklich gut angekommen sind? Zu männlichen Freunden sage ich das höchstens, wenn sie so besoffen sind, dass ich Zweifel habe, ob sie überhaupt noch den Weg zur U-Bahn finden.
Einer guten Freundin habe ich mal versprochen, ihr wirklich jedes einzelne Mal zu schreiben, wenn ich nach einem gemeinsamen Abend zu Hause angekommen bin, und seitdem habe ich es tatsächlich nicht mehr vergessen. Das ist schon ein paar Jahre her, es war kurz nachdem die Angst, die immer so selbstverständlich da war und trotzdem nie so ganz greifbar schien, auf einmal real geworden war: Ich war 17, und meine Freundin wurde auf dem Heimweg von zwei Männern überfallen, am frühen Abend, direkt vor ihrer Haustür. Es ist nicht meine Geschichte, deswegen steht es mir nicht zu, hier mehr darüber zu erzählen – aber in dem Sommer, der nach diesem Tag folgte, hatte jedes Mädchen in unserem Freund*innenkreis immer ein Pfefferspray dabei. Der Türsteher des Clubs, in den wir in dieser Zeit oft gingen, nahm es uns jedes Mal beim Reingehen ab – und gab es uns heimlich zurück, wenn wir uns auf den Heimweg machten.
Wenn 15-Jährige auf TikTok zeigen müssen, wie man Pfefferspray herstellt, läuft etwas falsch
Heute teilen meine Freundinnen ihre Geschichten auf Instagram, und es scheint endlich eine Art kollektives Bewusstsein dafür zu geben, dass wir das ALLE erleben. Aber hat sich etwas geändert seit dem Abend, an dem mein 17-jähriges Ich auf Nachrichten aus dem Krankenhaus gewartet hat? Vermutlich nicht, jedenfalls habe ich neulich gehört, dass junge Mädchen jetzt auf TikTok Tutorials drehen, in denen sie anderen zeigen, wie sie zu Hause ihr eigenes Pfefferspray herstellen können. What the fuck.
All diese Erfahrungen passieren in Deutschland. In dem gleichen Deutschland, in dem sich Menschen hinstellen und sagen, dass wir keinen Feminismus mehr brauchen. Dass Frauen Männern gleichgestellt sind, dass struktureller Sexismus und Diskriminierung aufgrund des Geschlechts Probleme sind, die unsere Gesellschaft längst überwunden hat. In einem Land, in dem selbst andere Frauen das sagen. Das ist übrigens das gleiche Deutschland, in dem alle drei Tage eine Frau durch häusliche Gewalt stirbt. Im Jahr 2019 wurden in Deutschland 267 Frauen getötet, weitere 542 überlebten Tötungsversuche.
Ich bin wütend, dass Eltern ihren Töchtern erklären, dass sie abends nicht allein nach Hause gehen können, während Männer in dem Bewusstsein aufwachsen, dass der öffentliche Raum ganz selbstverständlich ihnen gehört. Dass meine Eltern mich abends lieber irgendwo abgeholt haben, während mein Bruder alleine heimkommen durfte, obwohl er sogar vier Jahre jünger ist als ich. Dass meine Eltern das zwar gemacht haben, aber mir nie erklärt haben, dass es diese Strukturen gibt, die dafür sorgen, dass es nötig ist, und wie falsch das ist. Dass das kein höheres Gesetz ist, sondern ein scheußlicher gesellschaftlicher Missstand.
Not All Men: Was Männer tun können, damit wir uns sicherer fühlen
Warum bringen wir nur Mädchen bei, wie sie sich in der Öffentlichkeit zu bewegen haben? Klar, niemand geht davon aus, dass der eigene Sohn zum Täter werden könnte – aber neben „Sei kein übergriffiges Arschloch“ gibt ja auch ein paar andere Dinge, die man Männern mal beibringen könnte, um Frauen nachts auf dem Heimweg ein sichereres Gefühl zu geben. Wir hören meistens nur von den Extremfällen, von den Fällen, in denen tatsächlich etwas passiert ist. Genau deswegen haben die Männer, die überhaupt keine Absicht haben, übergriffig zu handeln, oft gar kein Bewusstsein dafür, dass sich auch ihr Verhalten auf unser Sicherheitsgefühl auswirken könnte.
Wir wissen, dass nicht alle Männer Täter sind. Wir alle wissen ganz genau, dass die Mehrheit der Männer, denen wir begegnen, uns nicht angreifen wollen. Das Problem ist, dass wir nicht wissen, welche es eben doch tun. Das sollte nicht so sein, aber solange es so ist: Bitte wechselt die Straßenseite, wenn ihr nachts hinter uns lauft. Bitte setzt euch nicht direkt neben uns oder gegenüber, wenn in der Bahn sonst alle Plätze frei sind. Bietet euren Freundinnen an, sie nach Hause zu bringen. Stellt andere Männer zur Rede, wenn sie sich übergriffig verhalten. Starrt uns nicht an – auch nicht, um uns zu versichern, dass ihr uns nichts tun wollt. Tut das alles, solange, bis es vielleicht nicht mehr nötig ist.
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