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#Wenn die Männerseele singt

Wenn ein Festivalmotto schon „In Freundschaft“ heißt, dann möchte man gar nicht anders darüber berichten als: in Freundschaft eben. Doch wo Neigung ist, sieht man oft auch die Defizite stärker. Bei den Musikfestspielen Potsdam Sanssouci – sie laufen noch bis zum Ende dieser Woche – ist das bezaubernde Zusammenspiel der Klänge mit den Bauten des friderizianischen Rokokos oder des Italien-Schwärmers Friedrich Wilhelm IV. einerseits das ständige Grundkapital des frühsommerlichen Musentreffs – erinnert aber gelegentlich auch daran, dass Musikaufführungen in diesen Galerien, Terrassen und Kabinetten selten der Hauptzweck waren; sowie an die Tatsache, dass man damals meist in kleineren Zirkeln und mit einem gelasseneren Zeitmanagement hörte.

So etwas fiel einem beispielsweise ein, wenn sich in Andrea Bernasconis „Festa teatrale“ mit dem schlichten Titel „L’Huomo“, einer allegorisch-didaktischen Serenata im XXL-Format, der Pfad eines jungen Menschenpaares Richtung Vollendung mit Fortschreiten der dreistündigen Spieldauer unter den schon etwas mehr als wohligen Temperaturen im Schlosstheater als zunehmend redundant erwies. Ein nicht nur steiniger, sondern auch arg langer Weg zur Tugend.

Der (von einem Forschungsprojekt der Bayreuther Universität unterfütterte) Ehrgeiz, die Uraufführung von 1754 nicht nur musikalisch, sondern bis in Tanzchoreographie, Bild und Kostüme hinein so getreu wie möglich wiedererstehen zu lassen, erschien trotz des farbenprächtigen, in manchen Aktionen sanft ironisch überhauchten Spektakels (Regie: Nils Niemann, Ausstattung: Johannes Ritter mit dezenter Video-Unterstützung von Christoph Brech) letztlich doch etwas übermotiviert. Als Wilhelmine von Bayreuth damit ihren besuchsweise ins Oberfränkische einreitenden Bruder Friedrich II. von Preußen überraschte – sie selbst hatte die Handlung entworfen –, dürften die Umstände entspannter gewesen sein.

„David et Jonathas“ in der Erlöserkirche

Da war man dann doch froh, dass die Potsdamer Schlösserlandschaft und ihr Umfeld auch großzügigere Räume im Angebot hat. Neben der Friedenskirche – in diesem Jahr Austragungsort einiger erlesen besetzter Kammermusik- und Kleinorchester-Konzerte – zählt auch die „bürgerliche“ Erlöserkirche dazu, wie diese eine Architektur des nostalgisch zurückträumenden 19. Jahrhunderts, und zwar schon außerhalb des Gartenareals, doch in Sicht- und Laufweite gelegen. Sie wurde schon in den zurückliegenden Jahrgängen bespielt, aber nie mit einer ausgewachsenen Musiktheater-Produktion. Die indessen, Marc-Antoine Charpentiers „David et Jonathas“ von 1688, erwies sich als „biblische Tragödie“ hier nicht nur bestens platziert, sondern überhaupt als großer und seine Wiederbelebung ausgesprochen lohnender Wurf.

Das liegt nicht zuletzt am kompakten Format, zu dem Charpentier und sein Librettist die immerhin sechs Akte des alttestamentarischen Stoffes verdichteten. Marshall Pynkoski und seine Choreographin Jeanette Lajeunesse Zingg folgten dem mit dramatisch-dynamischen Szenen- und Emotionswechseln im ideenreich bespielten Einheitsbild: einem raumhohen, als Thron, Feldlager und Orakelgrotte gleichermaßen brauchbaren Baldachin-Zelt (Antoine und Roland Fontaine mit den sinnenberauschenden Kostümen von Christian Lacroix). Kein müßiges Verweilen auch in der Art, wie Gaétan Jarry und sein Ensemble Marguerite Louise, dampfend eng zusammengedrängt zwischen Bühne und Auditorium, in geballter Plastizität und Dichte mit manchmal drastisch bildhaften, martialischen Klangeffekten nahe am Siedepunkt agierten: Immer ging es in Szene wie Musik um den extremen Zusammenprall heftigster Leidenschaften – Euphorie und Verzweiflung, verzehrende Sehnsucht wie tödliches Misstrauen.

Außer Frage stand dabei, dass das Verhältnis zwischen dem Titelpaar auch ein tief erotisches ist: ausgelebt oder sublimiert, jedenfalls persönlichkeitsprägend. Leider gibt das Programmheft keine Hinweise, mit welchen Stimmfächern die Rollen bei der Uraufführung am Pariser Jesuitenkolleg besetzt waren. Hier waren es der sehr helle, nachgerade jungenhafte Tenor David Tricou als David und als Jonathas die Sopranistin Caroline Arnaud, die erst spät in der Handlung erscheint, aber dann paradoxerweise gerade dadurch, dass sie ihr Weiblichsein weder stimmlich noch spielerisch limitiert, die homoerotische Dimension der Handlung besonders unterstreicht. Beide erhalten, wenn es tragisch wird, große, anrührende Lamenti – und trotzdem hatte man den Eindruck, dass Charpentier an solch hohem Edelsinn weniger Spaß hatte als am cholerischen Irrsinn und hinterhältigen Intrigengespinst des Umfeldes, voran bei König Saul, den David Witczak verkniffen gallig auf die Szene stellte.

Auch in der Bayreuther Aufklärungsfabel war das Weltböse allemal schnell zur Stelle, um die naiven Menschenkinder auf schlüpfrige Pfade zu führen. Wenn dann freilich eine ungeschlachte Satansfigur (Florian Götz) ihre üblen Verkündigungen auch noch grob gehobelt absang, war das vielleicht ein Schritt zu viel in der Rollenidentifikation. Ähnlich bei Philipp Mathmanns männlicher Seele, die, so recht herzensdämlich allen Versuchungen nachrennend, ihren Männer-Sopran in einem grotesken Nussknackerkleidchen schütter und instabil durch die Szenen lüftelte – was gut zum Rollencharakter passte, aber vielleicht doch nicht so gemeint war. Direkter rührte seine Partnerin Maria Ladurner. Die guten Geister der Handlung sangen zumeist dringlich mahnend, die Wollust und ein bäuerisch-schlitzohriger Amor (Anna Herbst/Simon Bode) mischten frech Laszives ein, und Festivalchefin Dorothee Oberlinger dirigierte ihr „Ensemble 1700“ mit Kondition und sichtlichem Spaß – nicht so plastisch und auf den Punkt gebracht wie die schon gut eingespielte französische Compagnie, aber frisch und federnd genug, um das Interesse am markgräflichen Pädagogik-Pasticcio in guter Balance zum bisweilen leise andrängenden Überdruss zu halten.

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