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#Segnung gleichgeschlechtlicher Paare: „Für uns in Deutschland ist diese Erklärung sogar ein Rückschritt“

Queere Menschen wurden in der katholischen Kirche fast 2.000 Jahre unterdrückt, und noch heute stellen sich viele konservative Bischöfe gegen jeden Versuch, das zu ändern. Vor wenigen Wochen nun veröffentlichte der Vatikan eine Erklärung von Papst Franziskus, in der erstmals die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare erlaubt wird. Wir haben fünf queere Menschen auf der ganzen Welt gefragt, was diese Nachricht für sie bedeutet. Spoiler: Nicht alle freuen sich.

Jens Ehebrecht-Zumsande hat #OutInChurch mitgegründet. Inzwischen sind 600 Menschen Teil der Bewegung. © privat

„Die Erklärung des Papstes zwingt uns, die Arbeit der vergangenen Jahre in die Tonne zu treten“

Jens Ehebrecht-Zumsande, 52, ist Referent beim Erzbistum Hamburg und einer der Initiatoren von #OutInChurch 

Ich bin 300 Meter neben einer Kirche aufgewachsen. Ich war Ministrant, habe mich in kirchlichen Jugendgruppen engagiert. Die Kirche war für mich etwas Positives, hier konnte ich gestalten. Es hieß „Es ist gut, dass du da bist.“ Und ich dachte, das ist überall in der Kirche so. Zu einem gewissen Grad war ich naiv. 

Mitten in der Ausbildung zum Gemeindereferenten merkte ich: Ich bin schwul. Ich habe lange dafür gebraucht, zu verstehen, dass nicht ich der Fehler bin, schon gar nicht das Evangelium, sondern dass die katholische Lehre in dem Punkt einfach menschenverachtend ist. Über die Neunziger muss man außerdem wissen: Es gab keine queeren Vorbilder in der Kirche. Für mich war es damals also undenkbar, mich zu outen. Irgendwann habe ich dann aber einen Mann kennengelernt, wir kamen zusammen. Ich wollte mit ihm durch die Stadt spazieren, Hand in Hand. 

Nach meinem Outing kamen Drohbriefe, ich wurde in meinem Bistum gemeldet. Aber ich durfte meinen Job behalten. Das war damals nicht selbstverständlich. 2021 las ich dann in der Zeitung von #actout, eine Kampagne, in der sich Medienschaffende gemeinsam outeten. Ich teilte den Artikel relativ unbedarft auf Instagram und schrieb, dass es sowas auch für die Kirche geben sollte. Sofort bekam ich dutzende Nachrichten von Menschen, die mitmachen wollten. So wurde #OutInchurch geboren. Inzwischen sind wir über 600. Gemeinsam haben wir einiges erreicht, zum Beispiel, dass in Deutschland niemand mehr wegen Queerness aus dem Kirchendienst entlassen werden kann. 

In der Weltkirche gibt es viele gegensätzliche Kräfte.

Jens Ehebrecht-Zumsande

In der Weltkirche gibt es viele gegensätzliche Kräfte. Die Erklärung des Papstes ist ein Signal an die ultrakonservativen Bischöfe, es kann aber nur ein erster Schritt sein. Für uns in Deutschland ist diese Erklärung sogar ein Rückschritt.   

So arbeiten wir in der katholischen Kirche in Deutschland seit Jahren an einer Seelsorge, die queere Menschen einschließt. Das beinhaltet auch die Gestaltung von queeren Gottesdiensten, Segnungen und vieles mehr. Durch die Erklärung ist nun aber ein ritualisierter Segnungsgottesdienst verboten. Eine Segnung kann also nur spontan und ohne Öffentlichkeit ablaufen. Das Paar darf sich nicht mal schön anziehen, nichts ist erlaubt, was nach einer Trauung aussehen könnte. Die Erklärung des Papstes zwingt uns, die Arbeit der vergangenen Jahre in die Tonne zu treten – außer wir gehen in den aktiven Ungehorsam.

Jeden Tag aufs Neue mache ich mir Gedanken, ob ich noch in der Kirche bleiben möchte. Es gibt viele Gründe, zu gehen, dafür müsste ich nicht einmal queer sein. Aber die Kirche ist auch meine Heimat. Und: Ich will für queere Menschen das Vorbild sein, das mir als 18-Jähriger selbst gutgetan hätte.

„Die Priester fangen jetzt erst an zu recherchieren, wie man gleichgeschlechtliche Paare segnet“

Eva Callueng, 40, hat die Organisation Rainbow Catholics in den Philippinen gegründet 

Die Idee, dass man als queerer Mensch ein Coming-out haben sollte, ist sehr westlich. In Asien ist das anders. Hier weiß meine Familie das einfach, aber es gibt deswegen keine Party. Meine Eltern und Geschwister haben immer akzeptiert, dass ich lesbisch bin. Und wie sie bin ich gläubige Katholikin.  

Ich bin bei fast allen Gottesdiensten in meiner Gemeinde dabei. Auch dort wissen viele Menschen, dass ich lesbisch bin. Aber man spricht nicht darüber. In den Philippinen ist es so: Erst gewinnt man das Herz einer Person, und dann ist alles andere nicht mehr so wichtig. Ich bin Teil meiner Gemeinde, seitdem ich zehn Jahre alt bin. Ich gehöre dazu.  

Mir ist das Herz in die Hose gerutscht.

Eva Callueng

Aber das läuft längst nicht in allen Kirchen in den Philippinen so gut. Viele Priester sagen negative Dinge über die LGBTQ-Community. Das führt dazu, dass sich queere Menschen von ihrem Glauben abwenden. Deshalb habe ich Rainbow Catholics gegründet. Wenn wir beispielsweise erfahren, dass sich eine Gemeinde diskriminierend über queere Menschen äußert, dann veröffentlichen wir eine Pressemitteilung darüber. Aber die philippinische Gesellschaft ist nicht sehr konfrontativ. Wer etwas ändern möchte, muss erst eine Beziehung zu den Menschen aufbauen.  

Kurz nachdem der Vatikan die Erklärung über die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare veröffentlicht hatte, saß ich in einem Gottesdienst. Als der Priester anfing, über die Erklärung zu sprechen, wurde ich ängstlich. Mir ist das Herz in die Hose gerutscht. Aber er sagte: „Wahrscheinlich hat Gott den Vatikan instruiert, diesen Schritt zu gehen.“ Das hat mich sehr glücklich gemacht.  

Freund:innen von mir, die Teil der LGBTQ-Community sind, wollen jetzt versuchen, sich segnen zu lassen. Ich glaube aber, dass das noch zu früh ist. Die Priester fangen jetzt erst an zu recherchieren, wie man gleichgeschlechtliche Paare segnet.

Eva Dreier freut sich, dass sich der Vatikan zumindest traut, sich mit Lebensrealitäten von echten Menschen auseinanderzusetzen. © privat

„Ich wusste schon vor der Erklärung, dass ich ein vollwertiger Mensch bin“

Eva Dreier, 27, arbeitet als katholische Theologin und ist Mitglied im Vorstand von #OutinChurch 

Als der Vatikan seine Erklärung veröffentlicht hat, fühlte sich das für mich im Ernst an wie ein Weihnachtswunder. Ich finde, es ist ein gewisser Grund zur Freude, dass sich der Vatikan endlich traut und sich mit den Lebensrealitäten von echten Menschen auseinandersetzt. Vorher wurde immer nur im Fragemodus über queere Gläubige gesprochen: „Da müssen wir mal drüber nachdenken“ oder „Es ist eine Frage, wie man damit umgeht.“ Trotzdem bin ich nicht zufrieden.  

Der Inhalt und der sprachliche Duktus des Schreibens sind katastrophal. Die Rede ist von „Paaren in irregulären Situationen“ und „gleichgeschlechtlichen Paaren“, deren Status aber nicht offiziell konvalidiert, also durch eine kirchliche Eheschließung gültig gemacht werden dürfe. Das klingt wieder so, als würden homosexuelle Menschen in Sünde leben – und fühlt sich an wie eine Ohrfeige. Dabei weiß ich, dass ich ein Segen bin, und dass ich gesegnet bin. Ich wusste schon vor der Erklärung, dass ich ein vollwertiger Mensch bin.  

Mir ist aber auch klar, dass sich viele Menschen in Deutschland sehr über diese Entscheidung des Vatikans freuen. Das möchte ich niemandem wegnehmen. Ich finde nur, dass es so klingt, als hätte die neue Erklärung etwas mit Gnade gegenüber homosexuellen Menschen zu tun.  

Ich werte sie deshalb eher als eine Art Eingeständnis des Papstes. Aber sie kann keine Wiedergutmachung für die Diskriminierung von queeren Menschen in der katholischen Kirche sein, da die Erklärung selbst die diskriminierende Haltung der Kirche erneut reproduziert und bekräftigt. Vielmehr muss die Kirche ihr grundsätzliches Menschenbild überarbeiten, nicht mehr nur in der Ordnung von Mann und Frau denken, und auch die Lehre von der Sexualität überarbeiten. Das wird schwierig und herausfordernd, aber es ist notwendig. Ich wünsche mir, dass sich nicht nur queere Menschen damit auseinandersetzen, sondern auch unsere Allys in der Kirche.

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