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#Sie hatte schon einen Termin

Sie hatte schon einen Termin

Im Nachhinein bereut sie jedes einzelne Wort. Aber an diesem vorerst letzten Arbeitstag im Büro, an dem Alex Enders (Aylin Tezel) mit dem Kopf wieder über der Kloschüssel hängt und ihrem Vorgesetzten Paul Nowak (Özgür Karadeniz) am Waschbecken begegnet, da müssen diese Sätze raus, auch wenn sich so etwas nicht ziemt.

„Ey, wenn du wüsstest, wie oft ich mir in den letzten Monaten gewünscht habe, ich würd das Kind verlieren“, stöhnt sie. „Ich hatte sogar einen Termin, um es wegmachen zu lassen. Aber … fuck, ich hätt’s einfach machen müssen.“ Nowak, der zwei Kinder hat und überhaupt ein freundlicher Typ ist, deutet das Gesagte als pränatalen Blues. Er zieht Enders zurück ins Büro, wo die Belegschaft die werdende Mutter hochleben lässt und in Mutterschutz schickt.

Einige Tage später schleppt sich Alex Enders von einem Waldstück auf die Terrasse eines Einfamilienhauses und ruft um Hilfe: Sie trägt nur ein Hemd, hat Blut überall, sieht ähnlich beklagenswert aus wie die Anwältin Ellen Parsons (Rose Byrne), die zu Beginn des Legal-Thrillers „Damages“ blutüberströmt durch New York lief. Und im Bauch ist kein Kind mehr – die Auftaktszene von „Unbroken“, eine rundum gelungene, sehr dicht erzählte, extrem gut gespielte und auf Wucht und Wirkung getrimmte deutsche Serie, die ZDFneo in Auftrag gab.

Auf dem Papier hat der Sechsteiler viele Elemente, die auch in Standardkrimis zum Tragen kommen. Aber man ahnt schon am Ort der Handlung (das heilige Duisburg Schimanskis) sowie an der Kombination der Drehbuchautoren Andreas Linke (der bei einigen Episoden der „Toten vom Bodensee“ Regie führte) und Marc O. Seng (der an „Dark“ mitschrieb), dass „Unbroken“ kein Standardkrimi sein will.

Und das will auch Aylin Tezel, die als Nora Dalay von 2012 bis 2020 zum Dortmunder „Tatort“ gehörte und als traurig-wütende Kommissarin Alex Enders unter anderem auf die Erfahrung zurückgreifen kann, die sie 2012 mit Pola Becks „Am Himmel der Tag“ gesammelt hat. Damals bekam Aylin Tezel für ihre Darstellung einer ungewollt schwangeren Studentin den Deutschen Schauspielpreis in der Kategorie Nachwuchs. Für die Hauptrolle in „Unbroken“ müsste sie auch Preise bekommen, auch wenn man das bei einer hyperemotionalen Rolle wie dieser wahrscheinlich zu schnell in den Raum ruft. Schwangere Frau zweifelt, verliert das Kind wie im Albtraum, wimmert und trauert und glaubt an eine Baby-Entführung aus dem Körper heraus – da ist man als Zuschauer sofort an der Kante.

Aber stop: Eine Baby-Entführung? Ja, ganz genau. Das wäre eine Möglichkeit, das merkwürdige, von einem Gedächtnisverlust Enders vernebelte Geschehen im Wald zu deuten. Die schwangere Kommissarin könnte sechs Wochen vor dem errechneten Geburtstermin für einige Tage verschleppt worden sein – damit irgendein Geschäftemacher einer Familie mit unerfülltem Babywunsch ihr Kind übergeben kann. Eine Rückblende zu Serienbeginn, die uns den Kampf mit einem Vermummten zeigt, medizinische Befunde („natürliche Geburt“) und ein Mordfall, zu dem das Kommissariat Duisburg drei Monate später gerufen wird, setzen entsprechende Zeichen.

Die Entführung könnte sich aber auch nur im Kopf der seelisch gebrochenen, nun von der Polizeipsychologin Kathrin Brenner (Leslie Malton) behandelten Kommissarin abgespielt haben. Mit allem, was das bedeuten mag. Zweifelsohne stand die Schwangere unter Druck. Sie fürchtete der Aufgabe als Mutter nicht gewachsen zu sein, sah die Erwartungen ihres verliebten Ehemanns Leif (Sebastian Zimmler), litt unter der fortschreitenden Demenz ihres Vaters Richard (André Jung), der im Heim lebt, und einen Ex-Freund (Dawid Owe) gibt es auch noch. Das ist viel auf einmal, dazu der Job in der Mordkommission, den sie als einer der härtesten Cops in einer der härtesten Regionen des Landes besonders gut machen will.

Die Serie „Unbroken“, die Regisseur Andreas Senn im Stil modischer skandinavischer und amerikanischer Thriller aufzieht, schlägt aus dieser Unwägbarkeit bis zum Schluss Energie, und durch Leah Striker, die unlängst eine postapokalyptische Welt bebildert hat („Endzeit“), trägt das Grau der Drehorte zur Wirkung mit bei.

Ohne Aylin Tezel freilich, die als Kommissarin mit ramponierter Seele zuweilen wirkt wie Claire Danes als Carrie Mathison in „Homeland“ (und stolz über die Rheinbrücke brettert wie Sofia Helin als Saga Norén über „Die Brücke“ am Öresund, vielleicht sollten die drei mal eine Band gründen), würde das alles verpuffen. Die Schauspielerin hat bereits in diversen deutschen und internationalen Produktionen gezeigt, was sie kann, zuletzt als Delphine im Auswanderer-Drama „Der Club der singenden Metzger“. „Unbroken“ ist ein derart starker Auftritt, dass es möglicherweise auch im Ausland auf Resonanz stoßen könnte.

Unbroken beginnt heute um 21.45 Uhr auf ZDFneo.

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