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#Sie sind schon zum zweiten Mal auf der Flucht

„Sie sind schon zum zweiten Mal auf der Flucht“

Hunger und Ratten. Das sind Larisa Dzuenkos Erinnerungen an die Flucht vor den Nationalsozialisten. Unmittelbar nachdem deutsche Truppen im Sommer 1941 große Teile der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik besetzt hatten, begann der systematische Mord an der jüdischen Bevölkerung. Die damals gerade zwei Jahre alte Larisa überlebte, weil ihre Mutter mit ihr nach Usbekistan floh, den Vater verlor sie im Krieg.

Julia Anton

Redakteurin im Ressort Gesellschaft bei FAZ.NET

„Dort hat uns niemand erwartet, wir mussten alles verkaufen, was wir hatten, und trotzdem hat Mamas Geld nicht gereicht“, erinnert sich die Dreiundachtzigjährige. Die Wohnung sei voller Ratten gewesen, und das Brötchen, das ihre Mutter mittags als Buchhalterin bekam und ihrer Kleinen überließ, habe sie stets hastig verschlungen. „Wir waren so schmal, als wir nach Kiew zurückkehrten“, sagt sie und hält ihren kleinen Finger in die Höhe.

Fast ein ganzes Leben später musste Larisa Dzuenko Kiew wieder verlassen. Diesmal ist es Russland, das die Ukraine angreift – und dabei ausgerechnet eine „Entnazifizierung“ des Landes propagiert. Zuflucht hat die Holocaust-Überlebende ausgerechnet im Land der damaligen Feinde gefunden, im Pflegeheim der Henry-und-Emma-Budge-Stiftung in Frankfurt. Hier ist Dzuenko vor zwei Wochen mit Tatjana Zhurawliowa sowie einer weiteren Holocaust-Überlebenden untergekommen, inzwischen ist auch noch eine weitere eingetroffen.

Sicher in Frankfurt: Larisa Dzuenko


Sicher in Frankfurt: Larisa Dzuenko
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Bild: Maximilian von Lachner

„Nie im Leben“ hätte sie damit gerechnet, dass es noch mal Krieg gibt, sagt Tatjana Zhurawliowa. „Hauptsache, kein Krieg“, sei das Mantra ihrer Generation gewesen. Auch sie ist 83 Jahre alt, auch sie ist zum zweiten Mal auf der Flucht. Ihre Eltern verließen Odessa 1941 und brachten sich mit der Zweijährigen in Kasachstan vor den Morden an der jüdischen Bevölkerung in Sicherheit. Eigene Erinnerungen an diese Zeit hat sie nicht.

„Der Mensch kann viel ertragen“

Umso eindrücklicher schildert sie ihre Flucht aus Kiew. „Es ging früh los, morgens um acht“, berichtet sie. Je ein Kranken­wagen holte die Frauen von zu Hause ab. Doch nach Berichten von Angriffen auf Sanitärfahrzeuge habe sie sich vor Be­schuss gefürchtet, erzählt Zhurawliowa. Die Krankenwagen, die an dem Morgen in Kiew aufbrachen, seien deshalb auch nicht als Kolonne gefahren, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Auf der Höhe von Lemberg (Lwiw) konnten sie Schüsse hören. Doch alles ging gut, abends erreichten sie die polnische Grenze. Dort stiegen sie in andere Krankenwagen um, die sie nach Frankfurt brachten. Insgesamt waren sie mehr als 30 Stunden unterwegs. Dabei habe man sich gut um sie gekümmert, stets ihre Gesundheit im Blick gehabt, erzählen die beiden Frauen. Trotzdem habe sie angesichts der langen Fahrt gedacht, sie schaffe es nicht, sagt Zhurawliowa. „Aber der Mensch kann viel ertragen.“

In Gedanken zu Hause: Tatjana Zhurawliowa hält über ihr Smartphone Kontakt zu Freunden und Bekannten in Kiew.


In Gedanken zu Hause: Tatjana Zhurawliowa hält über ihr Smartphone Kontakt zu Freunden und Bekannten in Kiew.
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Bild: Maximilian von Lachner

Damit Rettungsaktionen wie diese ge­lingen können, hat Rüdiger Mahlo in den vergangenen Tagen unzählige Stunden am Telefon verbracht. Er ist Repräsentant der Jewish Claims Conference in Deutschland, die sich für jüdische NS-Opfer einsetzt und ein häusliches Fürsorgeprogramm finanziert. Ge­meinsam mit dem Partner in der Ukraine, dem Joint Distribution Committee, konnte er schon für mehr als 50 jüdische Frauen und Männer den Transport nach Deutschland und die Unterbringung hier organisieren. Rund 10.000 Holocaust-Überlebende gibt es noch in der Ukraine, 6000 von ihnen werden mit Pflegeleistungen versorgt. Etwa zehn Prozent von ihnen sind schwerstpflegebedürftig, so Mahlo. „Wenn wir die Pflege wegen des Kriegs nicht mehr gewährleisten können, über­leben diese Menschen nicht lange.“

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Das Organisieren sei die große Herausforderung: „Einige Evakuierungen haben zunächst nicht geklappt, weil die Ambulanzen auf dem Weg zu den Überlebenden vom Militär beschlagnahmt wurden.“ Auch an der Grenze muss alles gut organisiert sein: Die Rettungswagenfahrer seien häufig im wehrfähigen Alter und dürften diese nicht passieren, entsprechend muss ein Rettungskorridor eingerichtet werden. Die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland übernimmt die Suche nach einem freien Platz in einem Pflegeheim – idealerweise bei einem jüdischen Träger oder zumindest mit Anbindung an die jüdische Gemeinde an Ort und Stelle sowie Personal, das Russisch spricht, um die Kommunikation zu ermöglichen.

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