#Sie zeigen keine Reue
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„Sie zeigen keine Reue“
Manchen Urlaubern ist Kambodscha ein Synonym für Angkor Wat, für die Ruinen des Königreichs der Khmer im Nordwesten des Landes, für gewaltige Tempelanlagen und Trampelpfade an einem Ort, an dem abends der Himmel glüht und morgens Hunderte mit Kameras auf den Sonnenaufgang warten. Die Motive ihrer Entrücktheit nehmen die Touristen mit, ihre Schönheit prägt den Ruf des Landes im Westen.
Die Hauptstadt von Kambodscha wiederum heißt Phnom Penh. Auch Phnom Penh ist gewaltig, eine Metropole, deren Verkehrssituation deutsche Besucher erschaudern lässt, mit Stadtgebieten, in denen sich kilometerweit Müllberge türmen und Menschen unter Bretterverschlägen hausen, Gegenden, in denen Kinder vom frühen Morgen an mit Holzkarren durch die Straßen ziehen und bis in die Nacht hinein Geld für ihre Familien verdienen. Wer in Phnom Penh war, kann sich vorstellen, dass Kindheit hier kein geläufiger Begriff ist, weil Kinder schnell erwachsen werden müssen.
Das Rechercheteam „Y-Kollektiv“, eine Gruppe junger Journalisten, die für Youtube und Funk Reportagen produziert, hat sich in Phnom Penh auf die schwierige Suche nach Auskünften zum Missbrauch von Kindern durch Urlauber begeben. Das Kollektiv veröffentlicht jede Woche eine Reportage, mal geht es um überforderte Ärzte, mal um Nordseeinseln. Die Aufgabe, vor allem aber die zu erwartenden Erkenntnisse bei dieser Recherche hatten ein anderes Belastungspotential, das beschreibt auch Frederik Fleig, der die Recherchearbeit vor Ort übernimmt und sonst für den Radiosender 1 Live arbeitet.
Prostitution im Hinterzimmer
Aus einer Untersuchung des Kinderrechtsausschusses der UN geht hervor, dass ein Drittel der Prostituierten in Kambodscha minderjährig ist. Dabei ist Prostitution verboten. In Thailand und auf den Philippinen hat der Druck auf die Behörden zugenommen, Sextourismus und sexuellen Missbrauch von Kindern zu verfolgen. Kambodscha hingegen war lange ein Paradies für Pädokriminelle. Für die Aufklärungsarbeit sind vor allem NGO-Mitarbeiter zuständig, wie Fleig feststellt. Aber mit ihm darüber reden will erst einmal keiner. Über sexuellen Missbrauch von Kindern zu berichten schade dem Ansehen des Landes, heißt es. Mit solchen Interviews brächten sich die NGOs auch selbst in Gefahr.
Dafür trifft Fleig auf mehrere Männer, die bereitwillig erzählen, wie sie in Kambodscha an Sex mit sehr jungen Frauen gekommen sind. In Rotlichtvierteln begegnet er älteren weißen Männern und kambodschanischen Kindern, die Blumen verkaufen. „Ich bezahle die Blume“, sagt einer. „Aber nur, wenn ich einen Kuss dafür bekomme.“ Fleig erfährt, dass sich die Prostitution von Kindern seit dem Verbot von Bordellen in Hinterzimmer von Biergärten, Karaokebars, Massagestudios und Hotels verlagert hat. In einer Pension werden ihm Mädchen angeboten: je jünger, desto teurer. Am teuersten sind Jungfrauen. Verkauft eine Familie den ersten Sex ihrer Tochter, kann sie bis zu zwei Jahre von dem Geld leben. Für das Mädchen ist der Weg in die Prostitution vorgezeichnet.
Zunächst will niemand reden
Schließlich findet Fleig doch noch eine NGO. Sie heißt APLE und wird von der kambodschanischen Regierung unterstützt. Die Mitarbeiter von APLE haben die Erlaubnis, Verdächtige zu beschatten. Mit ihnen fährt der Reporter in einen Vorort, beobachtet einen Amerikaner, seine junge kambodschanische Frau und deren zehnjährige Tochter. Aber noch gibt es nicht genug Beweise für den Missbrauch des Mädchens, die Ermittler ziehen weiter.
Zwei Typen von Tätern sind den NGOs geläufig, Männer mit pädophiler Neigung und solche, die spontane Gelegenheiten ergreifen. Manche von ihnen reisen mit Süßigkeiten und kleinen Geschenken an, manche erschleichen sich das Vertrauen ganzer Dörfer. Die Kinder sind im Schnitt zwölfeinhalb Jahre alt. „Einige der überführten Täter zeigen nicht die geringste Reue“, sagt Seila Samleang, der Leiter von APLE. Sie sprächen von einem fairen Deal.
Besonders der Missbrauch von Jungen sei ein Tabu, berichtet Chamreun Yaim, der Leiter der NGO First Step Cambodia. Jungen würden besonders oft selbst verantwortlich gemacht, geschlagen oder sogar verleugnet. Manche dissoziieren, trennen die Erinnerung von ihrem Bewusstsein ab. Das helfe beim Überleben, sagt Yaim. Zwei betroffene Jungen trifft der Reporter selbst. Vor dem Gespräch lässt er sich von einer Therapeutin beraten – und entscheidet sich dann doch nach ein paar Fragen, lieber Fußball mit den Jungs zu spielen.
Seine Betroffenheit thematisiert der Reporter mit ehrlicher Bestürzung: „Man sieht so viele Sachen, die einfach nicht klargehen.“ Das Mittel der Selbstreflexion im Selfiemodus ist ein nachvollziehbarer Zugang zu dem schwierigen Stoff, auch wenn er hier und da in Selbstbeschau kippt, wenn Fleig wieder mal mit wehendem Haar auf einem Roller sitzt oder im Hotelbett über ekelhafte alte Männer sinniert.
Umso drastischer sind die Momente, in denen ihm die Sprache wegbleibt. „Er war wie du. Ein weißer Mann, nur dicker“, sagt einer der Jungen auf dem Fußballplatz. Es ist der härteste Moment der Reportage. Auch für die Zuschauer.
Y-Kollektiv: Kindesmissbrauch in Kambodscha als Reiseziel im Podcast in der ARD Audiothek und bei funk.net
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