Solange du atmest“ bietet wenig Genuss

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Das nennt man wohl köfte kombiniert. „Es gibt nur einen Ort in Bremen, der Lamm mit Safran mit Sauerkraut anbietet“, informiert Kripo-Gehilfe Christian (Alexander Swoboda) die wieder im eigentlich zugewandten Dauerclinch liegenden Kommissarinnen Linda Selb (Luise Wolfram) und Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer); Der Charaktergegensatz Roboterautistin und rotzige Göre kommt dramaturgisch schnell an seine Grenzen. Im Magen eines in der Weser treibenden Toten nämlich wurde obige Mischung gefunden („Köfte, denke ich“). Als wolle das Drehbuch (Judith Westermann) zeigen, dass es um die arg spekulative Dimension der Schlussfolgerung durchaus weiß, lässt es Liv noch fragen: „Was ist, wenn sich unser Opfer das Essen selbst gekocht hat?“
Ja, was ist dann? Oder wenn die drei Zutaten nicht gleichzeitig im Magen gelandet sind? Dann wäre man wohl nicht bei Radio Bremen, denn hier führt der Weg über die Imbissbude zackig zur Identifikation des Toten. Es handelt sich um Marek Kolschak (Jonathan Berlin), den eine Nebenhandlung längst als echten oder eingebildeten Verfolger der alleinerziehenden Mutter Rani (Via Jikeli) und ihrer Tochter Mia (Pola Friedrichs) präsentiert hat. Die Stalking-Hinweise sind stark: Jemand ist offenbar in Ranis mit der Mitbewohnerin Paula (Sarina Radomski) geteilte Wohnung eingedrungen und hat – Psycho-Alarm! – alle Augen aus den Familienfotos an der Wand geschnitten. Andererseits scheint es Rani selbst mental nicht gut zu gehen. Wird ihre Perspektive eingenommen, sind Bild und Ton verzerrt: ein seit anno dazumal verwendeter Effekt, um psychische Derangiertheit oder Drogenräusche anzudeuten. Hat Rani in Verfolgungspanik Marek erschlagen und in die Weser befördert? Andererseits war Marek, da ächzt der Plot bereits, auch noch Investigativjournalist. Es geht um brisante Informationen, die – wie eigentlich immer – auf einem USB-Stick gespeichert sind.
Betreutes Krimiknobeln für Anfänger
Dann massieren sich die haarsträubenden Zufälle. Mal sucht Paula, die Rani vermisst melden möchte, es sich dann aber doch anders überlegt, just die Empfangstheke von Livs und Lindas Dienststelle auf, und zwar in dem Moment, als auch die beiden dort herumlungern. Mal fangen Kameras an Bankautomaten entscheidende Szenen ein. Mal verbinden sich zwei Fälle der Ermittlerinnen zufällig miteinander. Dann erinnert sich Christian an eine wichtige Telefonnummer. Auch da wieder die augenzwinkernde Thematisierung des Erstaunens: „Du kannst dir Nummern merken, nachdem du sie einmal gelesen hast?“ Es wird mit einer Schnapszahl erklärt. Einen dieser Zufälle wäre man sicher hinzunehmen bereit, hier aber beruht die Handlung auf deren einfallsloser Aneinanderreihung.

Hinzu kommen wahllos eingestreute Relevanzsätze: „Arbeitslos, alleinerziehend, das ist die klassische Armutsfalle.“ Das als Tschechows Waffe bekannte Erzählprinzip wird derweil auf die Spitze getrieben. So überdeutlich fuchtelt der Plot mit den Instrumenten herum, die späterhin wichtig werden, dass nicht Prägnanz entsteht, sondern Vorhersehbarkeit. Kein schlechter Einfall immerhin ist es, viele Beteiligte zwischen den Positionen Verdächtige und Zeugen changieren zu lassen. Wer aber gerade wohin gehört, erklärt sich nicht aus einer konsistenten oder gar zwingenden Handlung heraus, sondern vor allem dadurch, dass Liv oder Linda es in ihren vielen umständlichen Rekapitulationen des Geschehens vermuten. Das ist betreutes Krimiknobeln für Anfänger.
Wie sich der Fall schließlich (und lange angedeutet) auflöst, erinnert in seiner frappierenden Unglaubwürdigkeit an sehr alte „Tatort“-Rezepte, die zum Glück immer seltener werden. Als wüssten Täter, dass sie nach neunzig Minuten ohnehin geschnappt werden: Da können sie auch durchdrehen. Dass dieser gegen alle Regeln der Kunst schlecht erzählte Provinzkrimi von der Stange auch ästhetisch wenig zu bieten hat – Regie (Franziska Margarete Hoenisch) und Bildgestaltung (Martin L. Ludwig) kommen ohne eine einzige frische Idee aus –, rundet die Chose passend ab. Als stimmiges kulinarisches Symbol bietet sich statt multinationaler Sauerkraut-Köfte wohl eher der Zitronen-Industriekuchen aus der Packung an, mit dem die Episode endet.
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