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Stromausfall in Spanien: Nichts geht mehr

Die Antwort lautet „nada“. Nichts läuft mehr in Spanien, überhaupt nichts. Gegen 12.30 Uhr beginnt auf der Iberischen Halbinsel die Mittagspause, die kein Ende mehr nimmt: Spanien, Portugal und Andorra sind ohne Strom und ohne Internet. Verzweifelt sucht die Verkäuferin in der Bäckerei an der Madrider Hermosilla-Straße im Dunkeln nach Papier und Bleistift. Lange muss sie die Summen nicht mehr mit der Hand und im Kopf addieren. Die Regale hinter ihr sind bald leergekauft. Kein Brot und kein Baguette sind gegen 14 Uhr mehr übrig.

Vor der Bäckerei hat sich rund um den Lieferwagen eines Schreiners eine Menschentraube gebildet. Aus der offenen Fahrertüre dröhnt das Autoradio auf den Bürgersteig. An vielen Straßenecken halten Handwerker mit ihren Fahrzeugen die Verbindung zur Außenwelt aufrecht. Viele Zuhörer sind jung, ungläubig starren sie auf die Bildschirme ihrer Mobiltelefone. „Kein Netz“, lautet die Anzeige, während der Akkustand bedrohlich weiter sinkt.

Die Live-Sendung des Senders „Cadena Ser“ übertrifft alle Befürchtungen. „Was“, fragen Passanten entsetzt, die nur einen Nachrichtenbrocken aufgeschnappt haben: Manche dachten, es habe nur Madrid getroffen und der Spuk wäre schnell wieder vorbei. Dann zählt der Sprecher auf: „Ganz Spanien, Portugal und Andorra“, angeblich fällt auch in Kroatien der Strom aus. Der konservative Regierungschef von Andalusien ist einer der Ersten, der von einer Cyberattacke spricht. Quellen des Inlandsgeheimdienstes CNI gingen dem Verdacht nach, heißt es im Rundfunk. Der flächendeckende Ausfall wirke, als wäre er koordiniert. „Jetzt bekommen wir die Rechnung für die Ukraine und Gaza“, sagt ein Mann; Spanien unterstützt Kiew und die Palästinenser. „Wir wissen doch noch gar nichts“, weist ihn ein Passant mit einem Brot unter dem Arm zurecht.

Krude Theorien machen die Runde

Bald tauchen weitere Theorien auf. Vor dem Ausfall soll eine Hochspannungsleitung in Südfrankreich gebrannt haben. Die Nachrichtenagentur Reuters zitiert den portugiesischen Netzanbieter REN, der von einem außergewöhnlichen atmosphärischen Phänomen spricht: Extreme Temperaturunterschiede im Landesinnern Spaniens sollen dazu beigetragen haben. Am Abend zog Reuters diese Meldung zurück.

Eduardo Prieto bringt es aus dem Lautsprecher des Autoradios auf den Punkt: „So etwas Außergewöhnliches hat es noch nie gegeben“, sagt der Direktor des spanischen Netzanbieters Red Eléctrica am Nachmittag. Bis zu zehn Stunden werde es dauern, um die Versorgung wiederherzustellen. Im Norden und im Südosten ging es angeblich bereits los; die Balearen und die Kanaren waren nicht betroffen – umso mehr der Rest Spaniens: Menschen stecken in Aufzügen fest und können keine Hilfe holen, da ihre Mobiltelefone kein Signal haben.

Ein kompletter Blackout

Der Handwerker lässt den Motor seines Wagens an, damit das Radio weiterlaufen kann. Er nimmt den roten Deckel einer Spraydose, hält sie den Umstehenden entgegen. Scherzend verlangt er „zwei Euro“ für seine Informationsdienste. Später stürmen einige zur Ikea-Filiale um die Ecke an die Goya-Straße. Dort soll es WLAN geben. Andere wollen es am Flughafen versuchen oder in einem Krankenhaus, um wenigstens die Batterien aufzuladen. Bei fast allen herrscht Blackout. Denn niemand besitzt mehr ein historisches Transistorradio. Auch die Autoradios laufen nicht unbegrenzt, denn der Motor braucht Benzin. Doch die Tankstellen müssen schließen, weil ihr Pumpen Strom brauchen.

Auf den Straßen des frühsommerlichen Madrid hört am Montag die Siesta nicht auf. Trotz der Ungewissheit breitet sich keine Panik aus. Die Plätze vor den Restaurants reichen nicht aus. Weil die Kühlung ausgefallen ist, serviert ein Wirt Austern. Dazu einen Verdejo, solange er noch kalt ist.

Juweliere bewachen ihre Geschäfte

Die Filiale einer französischen Supermarktkette hatte noch für kurze Zeit geöffnet, obwohl es drinnen stockdunkel war. Die Schlange vor der Kasse zog sich bis zur Fleischtheke. Brot, Wasser, Bananen und Rotwein sind gefragt, bis das Lesegerät für die Kreditkarten aufgab. Touristen auf der Goya-Straße um die Ecke suchen vergeblich nach einem funktionierenden Geldautomaten, der Bargeld ausspuckt. Zwischen Ostern und dem Maifeiertag ist Madrid voller Besucher.

Juweliere wagen es nicht, ihre geschlossenen Läden zu verlassen: Die Jalousien an den Eingängen brauchen Strom. Vor einigen Luxusgeschäften patrouillieren Wachleute. Abends berittene Polizisten auf den Straßen. Auf den großen Kreuzungen regelt die Stadtpolizei den Verkehr und ersetzt die ausgefallenen Ampeln. Menschenmengen strömen nach Hause, nachdem ihre Büros geschlossen haben. Die Metroeingänge sind mit Flatterband abgesperrt. Daneben türmen sich stinkende Müllberge. In Madrid ging gerade ein sechs Tage dauernder Streik der Müllabfuhr zu Ende.

Spanien steht am Montag still. In den Großstädten fahren nur Busse und Taxis. Die S-Bahnen und der Hochgeschwindigkeitsverkehr stoppten – zum Teil auf offener Strecke. Der Fernverkehr ruht noch mindestens bis Dienstag. Bahnhöfe wie Atocha in Madrid und Santa Justa in Sevilla wurden sofort geräumt. 116 Züge saßen heute fest. Um 21 Uhr Ortszeit waren es noch elf. Notaggregate versorgen Flughäfen und Krankenhäuser.

Im Madrider Salamanca-Viertel liegt ein dumpfes Brummen über der Velázquez-Straße. In einer Schweizer Großbank brennt die ganze Zeit Licht. Dafür sorgt ein Generator auf dem Dach. Der Klang der Krisen und Kriege hat eine der teuersten Straßen Madrids erreicht.

„Wir schließen keine Hypothese aus“

Nach knapp sechs Stunden meldet sich der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez zum ersten Mal zu Wort. „Wir kennen den Grund für den Ausfall nicht, aber wir schließen keine Hypothese aus“, sagte er bei einem Auftritt im Moncloa-Palast, der für viele nicht zu hören war. Besonders beim Mobilfunk stünden noch „kritische Stunden“ bevor. Wenn es wieder ein Netz gebe, sollten die Bürger „verantwortlich“ und möglichst kurz telefonieren; am besten sollten alle zu Hause bleiben. Während die konservative PP fordert, die Armee zu mobilisieren, betonte Sánchez, dass die Sicherheit nicht in Gefahr sei. Die Krankenhäuser funktionierten, wie die Häfen und der Flugverkehr; auch wenn er um zwanzig Prozent eingeschränkt worden ist. Zuvor hatte die spanische EU-Kommissarin Teresa Ribera gesagt, sie habe keine Hinweise auf einen Cyberangriff.

Ob der Strom bald wieder kommt? Madrider verlassen sich lieber auf die Chinesen in der Nachbarschaft. Der „China-Bazar“ ist bis zum Abend geöffnet. In den dunklen Regalgewölben suchen Kunden mit den Lampen ihrer Mobiltelefone Kerzen, Feuerzeuge, Taschenlampen und Toilettenpapier. Eine aufgeregte Amerikanerin fragt nach einer Powerbank. Der freundliche Inhaber schüttelt mit dem Kopf: „Haben wir nicht, wo sollte man sie auch laden“, sagt er, während er mit einem einfachen Taschenrechner den Bargeld-Preis des nächsten Käufers berechnet; die Schlange reißt bis zum Abend nicht ab.

Die vielen geschlossenen Läden zu Wochenbeginn erinnern an den großen Lockdown vor fünf Jahren, als die Pandemie ganz Spanien monatelang zum Stillstand brachte.Dieses Mal sind jedoch bis zum Einbruch der Dunkelheit viele Menschen auf den Straßen. Sie kämpfen mit neuen Herausforderungen. Ohne Whatsapp und Instagram können sie sich nicht verabreden. Und zu Hause geht nichts mehr: Kein Netflix, keine Musik, kein Kühlschrank, kein Tiktok. Bis am späteren Abend Straße für Straße Jubel ausbricht. Erst gehen in einigen Madrider Vierteln die Ampeln wieder an, dann die Straßenlampen. Wenig später die Lichter in den Wohnungen. Zur gleichen Zeit leuchtet auch Lissabon wieder.

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