So war das erste Halbfinale

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Die Ukraine steht auch in diesem Jahr wieder im Finale des Eurovision Song Contest (ESC) – zum 20. Mal in Folge seit ihrer ersten Teilnahme im Jahr 2003 (einmal zog die Ukraine zurück, einmal fiel der ESC wegen Corona aus). Die Bilanz ist damit makellos. Der Finaleinzug im ersten Halbfinale am Dienstagabend in der St. Jakobshalle in Basel kam nicht unerwartet. Schließlich leben viele Ukrainer kriegsbedingt überall in Europa verstreut, und in den beiden Vorrunden gibt es nur ein Televoting, keine Jurys. Die Band Ziferblat fällt allerdings deutlich ab im Vergleich zu all den starken Künstlern der Vorgängerjahre. Ihr Lied „Bird Of Pray“ ist total aus der Zeit gefallen, passt mit seiner Flowerpower-Ästhetik besser in die Siebzigerjahre.
Der Auftritt der Alternative-Rock-Band bleibt weit hinter allen Erwartungen zurück, ist weder kraftvoll noch löst er irgendwelche Emotionen aus. Dabei wollten die Bandmitglieder Valentyn Leshchynskyi, Daniil Leshchynskyi und Fedir Hodakov unbedingt zum ESC. Erst im dritten Anlauf klappte es beim ukrainischen Vorentscheid „Vidbir“, der im vierten Jahr des russischen Angriffskriegs wieder in einem Luftschutzbunker stattfinden musste. Nun singen sie sich in Schlaghosen durch eine rosafarbene Lollipopwelt, die klebrig wirkt und in der nur noch eine Herde Einhörner fehlt.
„Einfach in die Sauna gehen“
Ganz anders der diesjährige Favorit aus Schweden. Glaubt man den Buchmachern, dann führt genau dorthin im nächsten Jahr schon wieder die Reise der ESC-Fans. Die Saunagänger aus Finnland, die für ihr Nachbarland antreten, zeigen sich bei jedem ihrer Auftritte in Bestform. Erst werden Bäume gefällt, dann gehen Kevin Holmström, Axel Åhman und Jakob Norrgård in die Sauna. Genau so heißt auch das Lied des finnischen Comedy-Trios KAJ (ihr Bandname setzt sich aus den Anfangsbuchstaben ihrer Vornamen zusammen): „Bara bada bastu“ („Einfach in die Sauna gehen“).

Die Choreographie ist simpel, aber bis ins kleinste Detail durchinszeniert. So sieht Perfektion aus, die trotzdem heißgeliebt wird von den Zuschauern, weil sie beschwingt und witzig daherkommt. Schweden (in diesem Fall drei Finnen für Schweden) kann es einfach, das zeigen schon die nackten Zahlen: Seit 2015 hat die große Popnation beim ESC insgesamt 2882 Punkte eingefahren, Deutschland dagegen nur 525, wobei 340 Punkte alleine Michael Schulte für sich verbuchen kann, als er 2018 mit seinem „You Let Me Walk Alone“ einen hervorragenden vierten Platz in Lissabon holte.
Nur zwei Frauen unter den Teilnehmern
Zehn Länder kamen am Dienstagabend weiter, darunter auch Polen und Albanien. Das freut umso mehr, weil nur zwei Frauen unter den 15 Teilnehmern waren. Die Polin Justyna Steczkowska, die nach 30 Jahren zum ESC zurückgekehrt ist, und Beatriçe Gjergji, die mit Kolë Laca das Duo Shkodra Elektronike bilden. Für die 52 Jahre alte Justyna Steczkowska war der Dienstag ein besonderer Tag: Vor exakt 30 Jahren, am 13. Mai 1995, stand sie im Finale des ESC in Dublin. Ihr Lied „Gaja“ über Mutter Erde ist mystisch angehaucht, nicht umsonst wird sie „Schamanin der polnischen Musikszene“ genannt. Shkodra Elektronike singen „Zjerm“, ein Lied im Gegischen, einem Dialekt der albanischen Sprache. Sie verbinden auf dramatische Weise Elektro und Folklore.
Nicht weitergekommen ist Klemen (Slakonja) aus Kroatien, der in dem Lied „How Much Time Do We Have Left“ die Geschichte seiner Frau erzählt, die schwer erkrankt war, aber wieder gesund wurde. Am Ende stand sie mit ihm auf der Bühne. Ein Happy End für die beiden, besiegelt mit einem Kuss, aber kein glückliches Ende für das etwas zu traurige Lied.
Auch Claude, eigentlich Claude Kiambe, aus den Niederlanden erzählt seine Geschichte. Geboren in Kongo, flüchtete er mit neun Jahren mit seiner Mutter, drei Brüdern und drei Schwestern in die Niederlande – nach Enkhuizen in Nordholland, wo er später in einem Restaurant arbeitete. Am liebsten singt er noch immer in seiner Muttersprache Französisch. Sein Lied „C’est la vie“ („So ist das Leben“) entstand erst, nachdem sich der niederländische Fernsehsender AVROTROS für ihn als Kandidaten für Basel schon entschieden hatte.
AVROTROS hatte sich viel Zeit gelassen und lange überlegt, ob die Niederlande überhaupt am ESC in diesem Jahr teilnehmen sollten. Die Disqualifikation von Joost Klein im vergangenen Jahr in Malmö wegen eines vermeintlichen Übergriffs auf eine Kamerafrau hatte die Verantwortlichen verärgert. Joost Klein versicherte, die Frau nicht bedroht zu haben, die Staatsanwaltschaft in Schweden stellte die Ermittlungen nach wenigen Wochen ein, der Vorfall ist bis heute nicht aufgeklärt.
Österdahl hielt sich zurück
Da passte es, dass der Generalsekretär des ESC, Martin Österdahl, sich dezent zurückhielt. Der Schwede, der bisher stets das letzte Wort hatte, bevor die Ergebnisse bekanntgegeben wurden, schwieg dieses Jahr. Sonst hatte er den Moderatoren jeweils bestätigt, dass alle abgegebenen Stimmen ausgezählt, geprüft und für gültig befunden waren, mit dem für ihn typischen Satz „You‘re good to go“ („Ihr könnt loslegen“). Im vergangenen Jahr war er im Finale in Malmö aber ausgebuht worden, auch weil er und mit ihm die Europäische Rundfunkunion (EBU) die überstürzte Disqualifikation des Niederländers Joost Klein nicht angemessen händelte und vor allem auch schlecht kommunizierte.

Doch zurück zu Claude: Er widmet sein Lied seiner Mutter. Schon in jungen Jahren habe sie ihm beigebracht, Rückschläge im Leben wegzustecken. „Auch wenn es für einen Moment sehr düster aussieht, sollte man sich immer auf die positiven Seiten konzentrieren. Genau das möchte ich vermitteln“, sagt Claude. „Das Leben ist nicht immer einfach; es geht rauf, es geht runter und immer im Kreis, aber: ,C’est la vie!’“
Und so trifft er auf der Bühne auf sein junges Ich, das er im Spiegelbild sieht. Der Einundzwanzigjährige singt abwechselnd auf Französisch und Englisch und wird auf der Bühne von zwei Tänzern und drei Violinen begleitet. Sehr verdient zählt er zu den Finalisten. Ebenfalls in die Endrunde zogen noch Norwegen, Island, San Marion, Estland und Portugal ein.
Grußbotschaft von Céline Dion
Man darf gespannt sein, was im Finale geboten wird. Das erste Halbfinale machte Lust auf mehr. Es begann mit einem Urknall, der Entstehung der Alpen, einem Einzeller, der sich teilte, zu einem Herzen und dann zu ganz vielen Herzen wurde. Alphornbläser spielten auf, es wurde gejodelt. Die Eidgenossen nahmen sich immer wieder auf die Schippe, es begann bei Wilhelm Tell, dem eigentlichen Erfinder der Eurovision, und mündete in einer launigen Musicalnummer zum Thema „Made in Switzerland“ – mit Schweizer Taschenmesser, Müsli und Roger Federer.
Ein besonders emotionaler Moment war eine Grußbotschaft von Céline Dion, die 1988 den ESC für die Schweiz gewonnen hatte. Seit Monaten wird spekuliert, ob die schwer an dem Stiff-Person-Syndrom erkrankte Künstlerin, die kaum noch auftreten kann, als Ehrengast zum Finale kommt oder nicht. „Ich würde nichts lieber tun, als bei euch in Basel zu sein“, sagt die 57 Jahre alte Sängerin in dem Video. „Die Schweiz wird für immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben. Es ist ein Land, das an mich geglaubt und mir die Chance gegeben hat, Teil von etwas wirklich Außergewöhnlichem zu werden.“
Danach sangen vier ESC-Teilnehmer aus dem vergangenen Jahr, die Ukrainerin Jerry Heil, die Griechin Marina Satti, die Portugiesin Iolanda und der Litauer Silvester Belt, gemeinsam das Lied, mit dem die 20 Jahre alte Céline Dion den ESC 1988 in Dublin gewonnen hatte: „Ne partez pas sans moi“. Dazu spielte das Neue Orchester Basel, ein professionelles Sinfonieorchester aus jungen Musikern.
Ausgemacht ist es damit aber noch nicht, dass Céline Dion nicht doch noch am Samstag als Gast beim Finale des ESC auftritt. Das bestätigte auch der Pressesprecher des ESC, Adrian Erni, gegenüber der Schweizer Zeitung „Blick“: „Bezüglich Céline gibt es aktuell keine Veränderung – wir stehen weiterhin mit ihr in engem Austausch.“ Eine finale Entscheidung über einen möglichen Auftritt sei noch nicht gefallen.
Angeblich werden weiterhin zwei Minuten für den kanadischen Superstar freigehalten. Ein Auftritt, etwa auch im größten Fußballstadion der Schweiz, der Arena Plus gleich neben der St. Jakobshalle, ist durchaus denkbar, wenn es die Tagesform der Künstlerin zulässt. In der Arena Plus, die 36.000 Zuschauerplätze hat, wird Public Viewing angeboten, in die St. Jakobshalle passen 6500 Besucher. Dion war zuletzt überraschend bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Paris im Sommer aufgetreten. Dort hatte sie Édith Piafs Lied „L‘Hymne à l’amour“ („Loblied auf die Liebe“) gesungen.
So oder so darf man sich auf den Samstag freuen. Abor & Tynna, die beiden Vertreter Deutschlands, sind allerdings auch schon am Donnerstagabend erstmals bei diesem ESC mit ihrem Lied „Baller“ zu sehen – im zweiten Halbfinale.
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