Südwest-Grüne: Özdemir zum Spitzenkandidaten gewählt
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Um 12.25 Uhr feiern die 200 Delegierten Cem Özdemir mit frenetischem Applaus und begeisterten Cem-Rufen. Mit 97 Prozent, 194 Ja-Stimmen wird er auf dem grünen Parteitag zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 2026 gewählt.
Im blauen Anzug und blauen Hemd steht der 59 Jahre grüne Realo vor der Bühne und nimmt den Applaus emotional bewegt entgegen. Viel sprach Özdemir von seinem Aufstieg, seinem Lebensweg als Sohn eines Arbeiters und einer selbständigen Schneiderin, die aus der Türkei für ein besseres Leben nach Bad Urach ausgewandert waren. Özdemirs Lebenslauf kennt viele Höhen und auch Tiefen, er schaffte es vom Hauptschüler zum Studenten der Sozialpädagogik.
Auch bei den Grünen musste er manche Niederlage hinnehmen: 2008 verweigerte die Partei, die ihn jetzt mit einem Traumergebnis zum Spitzenkandidaten wählte und die ihn als Superrealo für die Landtagswahl dringend braucht, einen sicheren Platz auf der Bundestagsliste. Und Özdemir war einige Jahre Bundesvorsitzender seiner Partei und musste bei der Bildung der Ampel-Regierung 2021 mit dem Landwirtschaftsministerium Vorlieb nehmen, weil das Außenamt durch Annalena Baerbock blockiert war.
„Ich will kein Thronfolger sein“
Baerbock, Robert Habeck und die Ampel sind Geschichte – vor Cem Özdemir liegt eine Herkulesaufgabe und vielleicht auch noch eine größere politische Zukunft: Seine Aufgabe ist es nach dem Willen der Grünen, der zweite grüne Ministerpräsident der Republik und der erste mit Migrationshintergrund zu werden. Dazu soll er den Zehnprozentvorsprung der baden-württembergischen CDU in den nächsten zehn Monaten aufholen.
In seiner Rede konzentriert sich Özdemir auf die Themen Wirtschaft, Sicherheit, Bildung und Ökologie. „Ich will kein Thronfolger sein, wir leben nicht in der Monarchie, die Bürgerinnen und Bürger sind keine Angestellten. Ich will ein neues Kapitel aufschlagen“, sagte er. Es gehe darum, in Baden-Württemberg neue Wertschöpfung zu schaffen und nicht Ängste zu bewirtschaften. Das werde nicht ohne Zumutungen gehen, er werde als Spitzenkandidat den Menschen nicht „das Blaue vom Himmel“ versprechen.
Das alte deutsche Erfolgsmodell – billiges Gas, amerikanische Sicherheit, profitbringender Export – funktioniere nicht mehr. „Dagegen hilft keine Aserbaidschan- oder Russland-Connection, Teile davon sitzen noch im Bundestag und haben das deutsche Geschäftsmodell beschädigt.“ Die Grünen hätten schon früh vor der Abhängigkeit von Diktatoren gewarnt, seine Partei stehe für die „Deutschland- und Europa-Connection“ und die Stärkung des deutschen Wirtschaftsstandort.
„Die offene Gesellschaft wird robust attackiert“
Özdemir scheute auch kritische Töne zu beliebten grünen Erzählungen nicht: „Transformationsprosa“ allein helfe der Automobilindustrie nicht, denn bei Arbeitern und Arbeiterinnen gebe es „Tranformationsfrust“, denn die Autoindustrie stecke in einer tiefen Krise. Arbeiter und Arbeiterinnen könnten sich auf die Solidarität seiner Partei verlassen. Er wolle den Unternehmen in Baden-Württemberg die beste Rückendeckung geben, es sei ein neues Freihandelsabkommen nötig, Europa brauche ein europäisches Satellitenprogramm, weil man vorbereitet sein müsse, wenn Elon Musk „Starlink“ und Donald Trump GPS abstelle. „Kein Tag vergeht, an dem wir nicht auf Satellitennavigation angewiesen wären – wir können und müssen Technologieführerschaft anstreben. Wir brauchen auch ein europäisches Kooperationsprojekt für das autonome Fahren“, sagte Özdemir.
Die Sorgen über innere Sicherheit und Integrationsprobleme sprach Özdemir sehr deutlich an: „Machen wir uns nichts vor, die offene Gesellschaft wird robust attackiert, als Sozialpädagoge weiß ich, wenn Heimatfeste abgesagt werden, weil die Sicherheitsmaßnahmen zu teuer sind, dann läuft etwas gewaltig schief.“ Wer nach Deutschland einwandere und ein Problem mit der Gleichberechtigung von Frauen und Männern habe, wer Hass säe, wer Probleme mit dem Grundgesetz habe, der sei „im falschen Land“. Die demokratische Mitte müsse immer die besseren Antworten finden als die Nationalisten und Populisten.
Am Nachmittag wählten die Delegierten die Landesliste zur Landtagswahl am 8. März 2026. Auf Platz eins bewirbt sich Umweltministerin Thekla Walker, auf Platz zwei Cem Özdemir. In Baden-Württemberg gilt erstmals ein Zweistimmenwahlrecht.
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