#„Suez war nur ein weiteres Problem“
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„„Suez war nur ein weiteres Problem““
Der Suezkanal ist wieder frei, die Probleme im globalen Frachtverkehr aber werden noch viele Monate bleiben. Deren Hauptgrund liegt aber nicht in der spektakulären Blockade der Wasserstraße durch den Containerfrachter Ever Given. Viel schwerer wiegt der durch die Corona-Folgen entstandene Mangel an Containern. Er wird verschärft durch die Welle von Schiffen, die nun in den europäischen Häfen Hamburg, Rotterdam und Le Havre erwartet werden.
Christoph Hein
Wirtschaftskorrespondent für Südasien/Pazifik mit Sitz in Singapur.
„Wir haben unsere Kunden in Europa gewarnt, dass es zu rund 20 Tagen Verzögerung bei der Auslieferung von Waren kommen kann“, sagt Otto Schacht, der die Seefracht für den Logistiker Kühne & Nagel aus Hamburg führt, im Gespräch mit der F.A.Z. „Darin eingeschlossen sind die sechs Tage, die unsere Schiffe vor dem Suezkanal verloren haben.“ Insgesamt waren rund 60.000 Standardcontainer (TEU) von Kühne & Nagel durch den Unfall an der Durchfahrt gehindert worden. Ägypten hatte sich bemüht, die am Ende fast 400 wartenden Schiffe nach dem Freischleppen der Ever Given so schnell wie möglich durch den Kanal zu bringen.
„Suez war nur ein weiteres Problem in einem schon komplizierten Gesamtbild“, sagt Schacht. Damit spielt er auf den Engpass bei Containern rund um die Erde an. Es gibt viel zu wenige der Stahlboxen, und viel zu viele von ihnen liegen in den Häfen des Westens fest, so dass eine Unwucht entstanden ist. Seit dem Jahr 2000 ist die Zahl der jährlich bewegten Container um 260 Prozent auf gut 700 Millionen gestiegen. Und doch reicht ihre Zahl nicht, um in Ausnahmesituationen die Handelsströme zu ermöglichen.
10 Prozent mehr Container wären nötig
Beispiel Amerika: Zum derzeitigen „Superstau“ vor den Häfen an der Westküste Amerikas führen zwei gegenläufige Entwicklungen: Auf der einen Seite hatte Corona das Löschen der Schiffe in den Häfen über Monate verlangsamt, auch weil viele Arbeiter erkrankt waren. Dann aber führte ein riesiger Nachholbedarf zu einer Konsumwelle, die Bestellungen in Ländern wie China oder Vietnam auslöste. Dort arbeiten und liefern die Fabriken zudem unter Volllast, weil Corona relativ schnell besiegt war. Die Zahl der Container, die in Los Angeles und Long Beach entladen werden müssen, steigt seit acht Monaten und liegt nun 45 Prozent über dem Vorjahreswert. Allein diese beiden Häfen stehen für rund 40 Prozent der Seefracht Amerikas.
Da nur zwei chinesische Firmen Container herstellen, lässt sich der Engpass nicht rasch beheben. Derzeit gibt es etwa 44 Millionen Container, ein Zehntel bauen die Chinesen jährlich neu, aber 2,2 Millionen werden zugleich verschrottet. Mindestens 10 Prozent mehr Container wären wohl nötig, um die Nachfrage am Markt derzeit abzudecken.
Auch weil sie fehlen, explodieren die Frachtpreise: Der Spotpreis für den Transport eines Großcontainers von 40 Fuß von Asien nach Europa hat sich von rund 1000 Dollar vor Corona auf mehr als 10.000 Dollar erhöht. Auch die vorgebuchten Preise für Lieferungen über ein Jahr haben sich in Jahresfrist verdreifacht.
Mit dem Preis steigen die Volumina, damit auch die Furcht: Immer größere Schiffe werden gebaut. Der Suez- und der Panamakanal wurden 2015 und 2016 ausgebaut, Häfen werden erweitert. Die gigantische Infrastruktur stellt ein wachsendes Risiko da, wenn etwas danebengeht. Terrorangriffe könnten die Straße von Malakka, die Arterie des Welthandels in Südostasien, oder die Straße von Hormus mit ihrem nur sechs Meilen breiten Fahrwasser blockieren. Allein 80 Prozent des Öls für Japan werden durch diese Enge transportiert.
Das Nachdenken über Ersatzrouten wird lauter
Geht etwas schief, wie nun im Suezkanal, folgen Fragen nach der Haftung. Wachsende Größen, wie diejenige der 400 Meter langen Ever Given, treiben die Summen. So fordert Ägypten nun einen Schadenersatz von einer Milliarde Dollar für den Unfall. Das Land, das den von den Briten gebauten Kanal verwaltet, hat täglich rund 15 Millionen Dollar Einnahmen durch die Blockade verloren. Großschiffe zahlen bis zu einer Million Dollar für die Passage. „Wir haben viel Mühe und Arbeit in die Rettung des Schiffs gesteckt. Wir haben täglich Einnahmen verloren. Uns steht eine Entschädigung zu“, sagte Usama Rabi, Vorsitzender der Kanalbehörde. In die Debatte um Entschädigung sind der japanische Eigentümer der Ever Given, ihr taiwanischer Reeder, die deutsche Managementgesellschaft, aber auch Versicherer von Tokio bis London eingebunden.
Ein Foto von Ende März: Schlepper arbeiten an der Freisetzung des auf Grund gelaufenen Containerschiffs „Ever Given“ im Suezkanal.
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Bild: dpa
Der Frachtwert der gut 18.000 Container an Bord der Ever Given beträgt rund 3,5 Milliarden Dollar. Für die Verspätung der Ladung auf den Schiffen, von Autoteilen bis zu lebenden Schafen, von Laptops über Ikea-Möbel bis zu Kleidung aus Vietnam, Schuhen oder Toilettenpapier im Gesamtwert von rund 10 Milliarden Dollar auf den wartenden Schiffen, gebe es für Reeder, Spediteure und Verbraucher wohl keine Entschädigung, meinen Fachleute. Da sie nicht verloren sei, sondern nun verspätet ankomme, sei das Risiko begrenzt.
Wohl aber wird das Nachdenken über Ersatzrouten lauter. Die Nordstrecke entlang der Arktis, die Moskau propagiert, ist immer noch schwierig, und viele Reeder lehnen sie aufgrund des Klimaschutzes ab. Die Südroute um das Kap der Guten Hoffnung dauert sieben Tage länger, kostet aber kaum mehr als das Nutzen des Suezkanals – ist der Ölpreis niedrig genug, kann sie sich lohnen. Die Bahnstrecke zwischen China und Deutschland ist bis zum Sommer vollständig ausgebucht. Der Suezkanal, der in seinem Südteil immer noch einspurig im Konvoi befahren wird, dürfte nach der Ever-Given-Erfahrung mittelfristig für Milliarden Dollar erweitert werden. Das Unglücksschiff selbst liegt weiter im Großen Bittersee in der Mitte des Kanals. Auf der Suche nach der Ursache des Kontrollverlustes wurde die 25-köpfige Mannschaft mehrfach von den Behörden befragt, die Datensammlung an Bord ausgewertet.
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