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Was ist von Lars Klingbeil als Finanzminister zu erwarten?

Er selbst tut so, als sei die Sache noch gar nicht fix. „Es ist noch nichts entschieden“, heißt es aus seinem Umfeld, oder, wenn man direkt nach einem möglichen Finanzminister Lars Klingbeil fragt: „Wissen Sie mehr als ich?“ Solange die SPD-Mitglieder über den Koalitionsvertrag mit den Unionsparteien abstimmen, also noch bis Ende April, soll von Personalien so wenig wie möglich die Rede sein. Die Lage ist fragil genug, da will man den eigenen Genossen gegenüber nicht den Eindruck vermitteln, als sei man unangenehme Kompromisse bloß aus Karrieregründen eingegangen.

Dabei ist gar nicht so sehr die Frage, ob Klingbeil nach dem Amt des Finanzministers greifen will. Er muss, das finden jedenfalls viele, genauer gesagt: eigentlich alle, mit denen man in den Reihen der Koalitionsparteien spricht.

Es geht um Augenhöhe mit dem Kanzler am Kabinettstisch, es geht um die Möglichkeit, aus dem Finanzressort in alle anderen Ministerien hineinregieren zu können, auch um internationale Sichtbarkeit von der Eurogruppe bis zu den Treffen der G 20. Es geht auch um die Stabilität des Bündnisses: Würde Klingbeil einfach auf dem Posten des Fraktionschefs sitzen bleiben, sähe es so aus, als ginge er schon im Voraus auf Distanz zur Regierung. Es gab schon genug Aufregung um den Entschluss des CDU-Generalsekretärs Carsten Linnemann, einen viel unwichtigeren Kabinettsposten auszuschlagen.

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Es geht aber auch um einen Job, der ungemütlicher zu werden verspricht als in der Vergangenheit. Das hat mit der paradoxen Lage nach der Lockerung der Schuldenbremse zu tun. Einerseits haben jetzt viele den Eindruck, als gebe es für mögliche Staatsausgaben gar keine Grenze mehr.

Das trifft aber nur auf Verteidigung und Infrastruktur zu. Für alles andere wird das Geld in den kommenden Jahren ganz schön knapp, erst recht, wenn man die Ausgabenwünsche aus dem Koalitionsvertrag einrechnet – und seien es nur diejenigen, die als unverhandelbar gelten, weil sie etwa Wünschen der bayerischen CSU entspringen. Der Finanzminister könnte also in den kommenden vier Jahren jemand sein, der mehr sparen muss und dafür auf weniger Verständnis trifft als viele seiner Kollegen in den Jahren zuvor.

Manchmal geschieht es ja, dass Politiker aus früheren Fehlentscheidungen die falschen Konsequenzen ziehen. Der berühmteste Fall liegt inzwischen anderthalb Jahrzehnte zurück. Guido Westerwelle griff 2009 nach dem Außenministerium, weil er so beliebt werden wollte wie einst das FDP-Idol Hans-Dietrich Genscher – und scheiterte, weil inzwischen das Finanzressort wichtiger war, gerade auch für Westerwelles eigene Agenda.

Umgekehrt galt der Posten des Verteidigungsministers lange als potentieller Karrierevernichter, angesichts der Zeitenwende ist heute der Amtsinhaber der beliebteste deutsche Politiker. Es ist kein Naturgesetz, dass ein Finanzminister so populär wird wie einst Wolfgang Schäuble oder zum Kanzler aufsteigt wie Olaf Scholz.

Gegen die laxe Finanzpolitik der Union

Dass Klingbeil es werden will, das merkten die Unterhändler der Union in Koalitionsgesprächen schon früh. Und zwar daran, dass die SPD nichts verbindlich in den Vertrag schreiben wollte, was nicht finanziert war. Mit diesem Argument stutzten der mögliche Minister und seine Parteifreunde die Steuersenkungswünsche der Unionsparteien zurecht.

Und sie forderten bis kurz vor Schluss sogar neue Einnahmequellen wie eine Vermögen- oder höhere Erbschaftsteuer. Wie ernst es Klingbeil selbst damit war oder inwieweit er damit nur Wünsche der eigenen Basis befriedigte, spielt für den Koalitionspartner eine untergeordnete Rolle: Die Wirkung nach außen ist die gleiche. Am Ende schaffte es der Anwärter aufs Finanzressort damit vor allem, die Steuersenkungswünsche der Unionsparteien einzuhegen.

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„Ein deutscher Finanzminister bleibt ein deutscher Finanzminister“, pflegte der spätere Kanzler Scholz während seiner Zeit als Ressortchef zwischen 2018 und 2021 zu sagen. Auch Klingbeil wird zeigen wollen, dass ein Sozialdemokrat mit Geld umgehen kann. Der Mann, der einst im Wahlkreisbüro von Gerhard Schröder arbeitete und im Bundestag als Digitalpolitiker anfing, pflegte immer gute Kontakte in die Unternehmen. Trotz aller Standortbekenntnisse brachte er allerdings eine geplante Neubaustrecke der Bahn zwischen Hamburg und Hannover zu Fall, weil sie in seinem Wahlkreis zu viel Widerstand hervorrief und seine soliden Erststimmenergebnisse gefährdete.

Als Finanzminister muss er nun mit dem Haushaltsstaatssekretär Steffen Meyer, der mutmaßlich bleibt, bis zur Sommerpause den aufgrund der Neuwahlen immer noch nicht beschlossenen Haushalt für 2025 aufstellen – und vor allem eine Finanzplanung, die auch in den Folgejahren noch aufgeht. Wenn er wie geplant am 6. Mai seine Ernennungsurkunde erhält, muss er praktisch vom ersten Tag an die Gespräche mit den Ministerkollegen führen, in der Woche danach wird die Steuerschätzung nähere Hinweise darauf geben, wie knapp das Geld tatsächlich ist.

Auf 130 bis 150 Milliarden Euro hatte der scheidende Finanzminister Jörg Kukies die aufsummierte Lücke für die kommenden vier Jahre zu Beginn der Sondierungsgespräche beziffert. Da waren die neuen Wünsche aus dem Koalitionsvertrag noch nicht mitgerechnet, allerdings auch nicht die Entlastungen durch die Reform der Schuldenbremse.

Die Spielräume sind gering

Die nötige Härte für diese Aufgaben hat Klingbeil, darüber kann auch sein stets freundliches, fast jungenhaftes Auftreten nicht hinwegtäuschen. Dafür steht nicht nur sein robuster Wahlkampfstil, der 2021 wesentlich zur Niederlage der Union beitrug. Die härteste Nervenprobe bestand der damalige Generalsekretär Klingbeil, als die SPD im Jahr 2019 die Partei- und Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles stürzte und zwei neue Vorsitzende wählte, die aus der Koalition mit den Unionsparteien aussteigen wollten.

Die allgemeine Erwartung war, dass die Tage des unterlegenen Olaf Scholz als Vizekanzler gezählt sein würden. Im Gespräch mit verdutzten Journalisten tat Klingbeil allerdings so, als sei gar nichts Besonderes geschehen, und machte einfach weiter. Mit dem Ergebnis, dass am Ende Scholz nicht stürzte, sondern Kanzlerkandidat und Kanzler wurde.

Die Aufgabe im Finanzministerium könnte ähnlich anspruchsvoll werden. Die Spielräume, die das Lockern der Schuldenbremse jenseits von Panzerkäufen und Brückensanierungen eröffnet, sind gering. Zwar werden die Verteidigungsausgaben nur noch bis zu einem Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung auf die Schuldenbremse angerechnet, das wären rund 44 Milliarden Euro. Der offizielle Verteidigungshaushalt ohne Sondervermögen umfasst derzeit 53 Milliarden Euro. Das ergibt also eine Summe von neun Milliarden Euro, die Klingbeil dann für andere Zwecke ausgeben kann.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Aber die Summe schrumpft, dafür sorgt schon die Inflation, da sich die Ein-Prozent-Regel an der nominalen Wirtschaftsleistung bemisst und die inflationsbedingten Mehreinnahmen womöglich schon anderweitig verplant sind. Immerhin: Der erweiterte Verteidigungsbegriff macht es möglich, auch Ausgaben etwa für den Zivilschutz über neue Schulden zu finanzieren.

Ähnlich sieht es mit den Geldern für die Infrastruktur aus. Hier haben die Grünen im Ringen um die Verfassungsänderung eine Klausel durchgesetzt, die den Spielraum des künftigen Finanzministers begrenzt: Zehn Prozent des regulären Haushalts muss er nach wie vor für Straße, Schiene und Ähnliches ausgeben. Zuletzt entfielen bis zu 14 Prozent auf derlei Investitionen.

Vier Prozentpunkte Differenz, das macht bei einem Haushaltsvolumen von zuletzt 480 Milliarden Euro also bis zu 19 Milliarden Euro, die der Minister anderweitig verplanen kann. Allerdings schrumpft auch diese Summe zusammen, wenn der Haushalt inflationsbedingt größer wird – und damit auch der Anteil von zehn Prozent, der für Investitionen gebunden ist.

Auch die europäischen Regeln schränken ein

Teure Wünsche aus dem Koalitionsvertrag kommen hinzu. Das gilt umso mehr, als der Finanzierungsvorbehalt für die Anliegen der CSU nicht gilt, jedenfalls haben die beiden anderen Koalitionsparteien den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder so verstanden. Da wäre zunächst einmal die Ausweitung der Mütterrente, die 4,5 Milliarden Euro pro Jahr kostet. Hinzu kommen knapp vier Milliarden Euro für die geringere Mehrwertsteuer in Restaurants und eine Milliarde Euro für die höhere Pendlerpauschale, macht zusammen rund zehn Milliarden Euro pro Jahr oder 40 Milliarden Euro für die vierjährige Wahlperiode.

Erleichterte Abschreibungsmöglichkeiten für die Industrie, ursprünglich ein Anliegen der SPD, vermindern die Einnahmen noch mal um 7,5 Milliarden Euro im Jahr. Alles, was Steuern betrifft, zahlt der Bund zwar nicht allein. Aber da es sich durchweg um Wünsche der Bundesebene handelt, wird der neue Finanzminister den Ländern dafür einen Preis zahlen müssen, sodass er am Ende einen überproportionalen Teil der Kosten trägt.

Und zu alledem kommen auch noch die europäischen Fiskalregeln, die auch durch die Reformen an der deutschen Schuldenbremse nicht außer Kraft gesetzt sind. Um wie viel Geld es dabei genau geht, ist im Detail noch Verhandlungssache. Zum einen wegen der Pläne, Verteidigungsausgaben möglicherweise auch im europäischen Kontext nicht auf die Schulden anzurechnen. Zum anderen, weil sich die Tragfähigkeit des Haushalts im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung auch am künftigen Wachstumspotential bemisst – eine Prognose, über die sich naturgemäß streiten lässt.

Fest steht aber schon jetzt: Auch die europäischen Regeln schränken den Spielraum ein. In der Union glauben manche, dass sich der mutmaßliche Finanzminister kurzerhand darüber hinwegsetzen wird. Das würde aber auf erheblichen Widerstand der nördlichen EU-Länder stoßen, möglicherweise die Kreditwürdigkeit der ganzen Eurozone beeinträchtigen und auch dem sozialdemokratischen Beharren etwa in der Mi­grationspolitik widersprechen, europäisches Recht nicht einfach zu ignorieren wie etwa der ungarische Premier Viktor Orbán.

Konflikte wird es reichlich geben

Über alledem schwebt dann auch noch die Frage, ob sich die Regierung die zur Mitte der Legislatur geplante Steuersenkung für kleine und mittlere Einkommen wirklich leisten kann – mit der Pointe, dass Friedrich Merz zuletzt den Eindruck erweckte, als seien solche geringeren Steuern ein spezieller Wunsch der Sozialdemokraten, nicht der Union: eine interessante Konstellation, die für einen SPD-Finanzminister auch Profilierungschancen bietet.

Spätestens dann wird ein SPD-Finanzminister auch die Frage von höheren Sätzen wieder aufbringen, mindestens einen höheren Spitzensteuersatz in der Einkommensteuer ins Spiel bringen. Eine moderate Anhebung, die bisherige Sprünge im Tarifverlauf ausgleicht, können sich sogar viele Unionspolitiker vorstellen. Bislang scheiterten solche Vorstöße, wie sie auch Merz selbst schon unternahm, stets an innerparteilichem Widerstand. In der jetzigen Lage, in der die eigenen Leute dem künftigen Kanzler ohnehin schon zu große Nachgiebigkeit vorwerfen, erscheint ein solcher Schritt ohnehin ausgeschlossen.

Konflikte wird es also reichlich geben, mit dem Finanzminister stets im Zen­trum: Das ist Risiko und Chance zugleich.

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