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#Ein erstaunlich vielgestaltiger Fluss

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Ein erstaunlich vielgestaltiger Fluss

Man sieht ihm sein Alter nicht an, und doch hat er viel mitgemacht. So sollte der seit Urzeiten sich durch Wälder wälzende Rhein einst plötzlich Grenze spielen, seine barbarischen Kinder hübsch sortiert: zivilisationswürdige zur Linken (Gallier), rechts der dumpfe Rest (Germanen). Aber bereits zu Vergils Zeiten rückte der Fluss ganz in die römische Welt hinein, wurde Wirtschafts- und Lebensader im Norden. Nach blühenden Jahrhunderten verklärten ihn Fackelfanatiker zum deutschen Strom schlechthin, bis er kurz darauf, ein halber Styx, zertrümmerte Brücken umspülte. Aus dem Ruin erstand er neu als europäischer Fluss par excellence. Vater Rhenus kümmert all das wenig, stoisch fließt er dahin, verbindet ewig jung die Epochen.

Und seine Faszination lässt nicht nach. Dieser Tage rückt der Rhein wieder erstaunlich prominent in den Blick. Hans Jürgen Balmes schmiegt sich sinnierend in sein Bett, und Karl-Heinz Göttert folgt dem Flusslauf durch die Literatur. Es muss alle Rheinliebhaber in Verzückung versetzen, dass ein prächtiger Bildband nun diesen emotionalen, symbolischen, wissenschaftlichen Annäherungen eine dezidiert optische an die Seite stellt: „Rhein. Der Fluss in der Fotografie seit 1846“. Mag es sich hierbei auch um eines der meistabgelichteten Motive des Landes handeln und sein erstes Fotoporträt vom Erfinder des Negativ-Verfahrens, William Henry Fox Talbot, höchstpersönlich stammen, fehlte bislang ein solch fundierter Überblick über die Beziehung zwischen dem Fluss und der mal sehnsüchtig, mal kess, aber dabei fast immer entwaffnend ehrlich auf diese Majestät blickenden Kamera.

Das große Pathos wirkt heute hohl

Helge Drafz, Herausgeber und Kurator der Auswahl an historischen, bis auf wenige Ausnahmen schwarzweißen Rhein-Lichtbilder, viele davon unbekannt, hat dieselben nicht nur kommentiert, sondern den üppig gestalteten Band auch mit medien- und kulturhistorischen Texten bereichert. Es handelt sich um einen Abriss der Geschichte der Fotografie selbst, verdichtet auf ein zentrales und doch erstaunlich vielgestaltiges Motiv. Was den in siebenjähriger Arbeit entstandenen Band auszeichnet, ist Drafz’ Begeisterung für nichtkanonische, in Privatarchiven gefundene Aufnahmen: Amateurfotos und Schnappschüsse etwa von Badenden (besonders eindrücklich: eine jüdische Familie planscht im Sommer 1936 ausgelassen bei Emmerich), die hier gleichberechtigt neben romantisierenden Stereofotografien, ikonischen Ansichten, überwältigenden Kunstwerken wie den Panoramen von August Sander bis Andreas Gursky oder teils dokumentarischen, teils ideologisch verzerrten Pressebildern (Hitler am Rhein; ein seltenes Adenauer-Foto) stehen. Sie bilden sogar den Fluchtpunkt des Bands, der im Zweifel den privaten Blick der künstlerischen Brillanz vorzieht.

Flößer auf dem Rhein, 1930er-Jahre





Bilderstrecke



Ein fotogener Strom
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Aufnahmen vom Rhein

Mit dem Siegeszug der Fotografie fiel aber nicht nur die Politisierung des Rheins zusammen, sondern ebenso die Entstehung des modernen Tourismus. Kitschige Postkarten waren nun gefragt. Die Fotografen der Kaiserzeit wiederum interessierte ganz besonders der ästhetische Modernismus der gewaltigen Brückenbauten. Ansonsten steht lange die Landschaft im Vordergrund; in frühen Bildern schweben Schlösser über magisch verwischten Wassern (was technisch noch nicht anders möglich war). Ende des neunzehnten Jahrhunderts tauchen dann immer mehr Menschen auf den Bildern auf. Sie rücken zunehmend ins Zentrum, was zugleich heißt: Der Rhein wird zur Kulisse, freilich zu einer der beliebtesten überhaupt. Mit den großen Kriegen macht sich die Militärfotografie über den Fluss her, doch in ihrer Wirkung kommen diese Aufnahmen kaum gegen die auch jetzt noch entstehenden Privatfotos an. Spaziergänger auf dem zugefrorenen Fluss schlagen jede Führer-Fährfahrt.

In der Bonner Republik schließlich wetteifern die Bilder vom industriellen Aufschwung mit jenen vom Rhein als Freizeit- und Naherholungsziel. Was die immer ehrlicher werdenden Fotos – kurz vor der digitalen Bilderflut – belegen ist, wie lässig diese Lebensader all ihre symbolische Aufladung weggespült hat. In der Fotografie hat das zum Glück ohnehin immer nur bedingt funktioniert. Das große Pathos wirkt heute hohl, aber all die Schnappschüsse von Anglern, Schiffern oder Badenixen sind uns so nah wie ein Spaziergang am Ufer entlang. Der Rhein, das ist und war immer bedeutend mehr quirliger Alltag als nationaler Schicksalsstrom.

Helge Drafz: „Rhein“. Der Fluss in der Fotografie seit 1846. Greven Verlag, Köln 2021. 384 S., Abb., geb., 40,– €.

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