#Migration des Distelfalters ist doch nicht genetisch bedingt

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Distelfalter sind Weltenbummler und legen mitunter weite Strecken zurück. Jährlich schwirren einige der bunten Schmetterlinge von Afrika nach Schweden und wieder zurück, wo sie sich nördlich und südlich der Sahara niederlassen. Andere Exemplare dieser Art legen hingegen nur kurze Distanzen zurück und bleiben am Mittelmeer. Warum sich die Insekten so unterschiedlich verhalten, ist unklar. Anders als bislang angenommen, ist das Migrationsverhalten zumindest nicht in der DNA des Schmetterlings gespeichert, wie Biologen jetzt herausgefunden haben. Stattdessen hängt die Falterreise wahrscheinlich von den saisonalen und regionalen Umweltbedingungen ab.
Distelfalter (Vanessa cardui) sind leuchtend orangefarbene Schmetterlinge mit einem kunstvollen schwarz-weißen Muster. Die farbenprächtigen Falter sind dafür bekannt, ausdauernde Langstreckenflieger zu sein: Jedes Jahr reisen die Distelfalter bis zu 10.000 Kilometer vom warmen Nordwesten Afrikas bis in die arktische Tundra in Schweden und wieder zurück, um die perfekten Umweltbedingungen zum Fortpflanzen, Brüten und Überleben zu finden. Dabei fliegen die Insekten im Frühjahr zunächst über das Mittelmeer nach Europa. Nachfolgende Generationen machen sich anschließend auf den Weg nach Großbritannien und Schweden, um dort den Sommer zu verbringen. Im Herbst kehren die Distelfalter dann in wärmere Regionen zurück.
„Jedes Individuum reist in einem Abschnitt des jährlichen Migrationszyklus und dessen Nachkommen setzten dann die Reise fort“, erklärt Co-Autorin Daria Shipilina von der Universität Uppsala. Diesem Staffelprinzip folgen alle Distelfalter, doch die Individuen fliegen dabei unterschiedlich weit: Während einige Schmetterlinge im Mittelmeerraum bleiben, reisen andere weiter nach Norden und später zurück nach Afrika und durchqueren sogar die Sahara. Warum das so ist, war bislang ein Rätsel. Forschende vermuteten allerdings, dass die Migrationsbewegungen der Falter genetisch gesteuert sind und sich in unterschiedlichem Aussehen widerspiegeln – ähnlich wie es bei einigen Zugvögeln nachgewiesen wurde.

DNA-Vergleich der Schmetterlinge
Ein Team um Erstautorin Megan Reich von der University of Ottawa hat nun zusammen mit Bürgerwissenschaftlern die unterschiedlichen Reiserouten der Distelfalter näher untersucht. Dafür reisten sie 2018 und 2019 in Regionen nördlich und südlich der Sahara – von Benin, Senegal und Marokko bis nach Spanien, Portugal und Malta – und sammelten dort mit Netzen 40 Distelfalter. Mithilfe von Isotopen-Geolokalisierung bestimmten sie dann die geografische Herkunft der einzelnen Schmetterlinge. „Das Prinzip dieser Methode besteht darin, dass die Zusammensetzung der stabilen Isotope von den Flügeln eines erwachsenen Schmetterlings die Isotopensignatur der Pflanzen widerspiegelt, die er als Raupe gefressen hat“, erklärt Shipilina. „Durch die Analyse von Wasserstoff- und Strontiumisotopen konnten wir die Herkunft dieser Schmetterlinge zurückverfolgen und abschätzen, wie weit sie gereist waren“, ergänzt Seniorautor Clement Bataille von der University of Ottawa. Zusätzlich sequenzierten die Biologen die DNA der Insekten und verglichen deren Gene.
Die Geoanalyse bestätigte das unterschiedliche Reiseverhalten der Distelfalter: 13 Individuen flogen mindestens 500 Kilometer weit, einige sogar bis zu 4000 Kilometer von Skandinavien in den Süden und überquerten sowohl Mittelmeer als auch die Sahara. Von den übrigen untersuchten Exemplaren flogen die meisten wahrscheinlich nur zwischen 140 und 240 Kilometer weit, von einem Startpunkt in Mitteleuropa aus, und blieben nördlich der Wüste im Mittelmeerraum. Die DNA-Analyse ergab allerdings wider Erwarten, dass es keinen genetischen Unterschied zwischen Kurz- und Langstrecken-Schmetterlingen gibt. Auch fanden die Biologen keine Verbindung der Reisemuster mit anderen körperlichen Faktoren wie dem Geschlecht, der Flügelgröße oder der Flügelform.
Entscheiden Umweltreize über Kurz- oder Langstrecke?
Aber wenn das Verhalten nicht an den Genen liegt, wie wird es dann gesteuert? Eine mögliche Erklärung für die unterschiedlichen Migrationsstile könnte sein, dass die Distelfalter die Streckenlänge als Reaktion auf Umweltbedingungen anpassen. Im schwedischen Spätsommer könnte beispielsweise die rasche Umstellung der Tageslänge der Startschuss für die Heimkehr in den Süden der Sahara sein, vermutet das Team. Im Gegensatz dazu nehmen die Falter in Südfrankreich, wo die Tage länger sind, diese Reize nicht wahr und fliegen daher nur kurze Strecken und verbleiben im Mittelmeerraum. „Es ist auch möglich, dass die hier beobachteten Unterschiede in der Migrationsdistanz ganz oder teilweise durch äußere Mechanismen erklärt werden können, darunter Unterschiede in der Parasitenlast, der Energiespeicherung und dem Stoffwechsel, der Windunterstützung und den Wetterereignissen oder sogar der Persönlichkeit“, schreibt das Team.
Folgestudien sollen nun klären, ob die Migration des Distelfalters tatsächlich auf Umwelteinflüsse zurückgeht und welche das sind. Dabei soll auch untersucht werden, ob sich Distelfalter in anderen Teilen der Welt, andere Schmetterlingsarten und andere Insektengruppen genauso verhalten oder ob das Phänomen einzigartig für den europäischen Distelfalter ist. Frühere Forschungen haben bereits gezeigt, dass Distelfalter eine 4200 Kilometer lange Überquerung des Atlantiks von Westafrika bis nach Französisch-Guayana in Südamerika bewältigen können. „Das Verständnis der Reisemuster von Insekten ist für den Naturschutz von entscheidender Bedeutung. Es ermöglicht, vorherzusagen, wie sich vom Menschen verursachte Umweltveränderungen in Zukunft auf die Insektenwanderung auswirken könnten“, erklärt Reich.
Quelle: Institute of Science and Technology Austria (ISTA); Fachartikel: PNAS Nexus, doi: 10.1093/pnasnexus/pgae586
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